Editorial

Die Self-made-Meerjungfrau

(02.02.2023) Das Münchner Start-up Mermaid Bio werkelt an intrazellulären Antikörpern – und zwar ganz ohne universitäre Unterstützung. Wie geht das?
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Intrabodys an der Angel: Mermaid-Mitgründer und Geschäftsführer Chris Baldwin (li.), Gründerin und Geschäftsführerin Ranja Salvamoser und Science Director James Vince

Die Geschichte deutscher Biotech-Start-ups ist meist recht ähnlich: Forschungs­treibende haben eine Idee, die sich kommer­zialisieren lässt und gründen ein Unternehmen aus der Universität aus. Nicht so jedoch bei der Münchner Mermaid Bio GmbH, wie Gründerin und Direktorin Ranja Salvamoser stolz erzählt: „Wir haben das ganz allein auf den Weg gebracht.“ Doch wie kommt man dazu, ein solches Wagnis einzugehen?

Der Weg dorthin beginnt einige Jahre zuvor, als Salvamoser für ihre Doktorarbeit nach Australien zieht. Dort forscht sie am Walter and Eliza Hall Institute for Medical Research in Melbourne an Erkrankungen im Zusammen­hang mit dem Zelltod. Im Anschluss an ihre Promotion arbeitet die Biologin einige Zeit bei dem in Melbourne ansässigen Pharma­unternehmen Exopharm. „Dort habe ich mich mit Exosomen beschäftigt und versucht, diese als Transport­vehikel für Medikamente zu nutzen“, erzählt sie.

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Die gläserne Decke

Salvamoser steigt im Unternehmen auf. Als Leiterin der Forschungs- und Entwicklungs­abteilung ist für sie aber zunächst Schluss. „Ich hatte da das sogenannte glass ceiling erreicht – also die gläserne Decke, durch die man nur schwer weiter aufsteigen kann.“ Salvamoser sieht jedoch in sich und ihren Kollegen sehr viel ungenutztes Potenzial, dem die starren Unternehmens­strukturen keinen Raum zur Entfaltung geben. Bereits zu diesem Zeitpunkt reift in ihr der Gedanke, etwas Eigenes auf die Beine zu stellen.

„Während der Corona-Pandemie hatten wir in Melbourne dann einen harten Lockdown, was mir viel Zeit gegeben hat, um mir über Wissenschaft Gedanken zu machen.“ Für die Biologin und ihre Kollegen Chris Baldwin und James Vince ist schnell klar, dass Exosomen noch weit entfernt von einem therapeutischen Einsatz sind. Allerdings eröffnen die im Zuge der Pandemie zugelassenen mRNA-Vakzine eine neue, interessante Transport­option: Lipid-Nanopartikel (LNPs), also kleine Fett­tröpfchen, die auch große Moleküle effizient in Zellen transportieren können. „Wir haben zu dritt viel gebrain­stormed und sind dann darauf gekommen, dass die LNPs auch den Transport von Antikörpern beziehungsweise deren mRNA in die Zelle ermöglichen könnten“, sagt Salvamoser.

Um diese Idee in Form eines eigenen Unternehmens in die kommerzielle Tat umzusetzen, geht es von Salvamosers Wahlheimat Australien wieder zurück nach Deutschland. „Ich habe lange Zeit in München gearbeitet und ein gutes Netzwerk hier“, begründet die Biologin den Schritt. Zusammen mit ihren ehemaligen Kollegen Chris Baldwin und James Vince gründet sie im Februar 2022 die Mermaid Bio GmbH.

Auf eigenen Beinen

Doch wie gründet man ein Biotech-Unternehmen ohne die Unterstützung einer Universität? „Learning by doing“, entgegnet Salvamoser und lacht. „Wir hatten großes Glück, dass Chris Baldwin unter anderem Erfahrung bei einer großen Unternehmens­beratung sammeln konnte, die uns viel geholfen hat.“ Trotzdem gestaltet sich die Suche nach Fördermitteln schwierig. Viele Geldtöpfe in der deutschen Biotech-Landschaft sind univer­sitären Ausgründungen vorbehalten. Dennoch ergattert Mermaid Bio eine Förderung der Bundesagentur für Sprung­innovationen, SPRIN-D. Da das jedoch nicht ausreicht, befindet sich das Unternehmen in Verhandlungen mit sogenannten Angel Investors. Danach soll eine Seed-Runde mit Wagnis­kapital­gebern folgen. Mittlerweile unterhält Mermaid Bio sogar eine Tochterfirma in Melbourne. Dazu kommt ein Labor an der LMU München in Zusammen­arbeit mit der Arbeitsgruppe von Heinrich Leonhardt.

An beiden Standorten werkelt Salvamosers Team am Produkt des Start-ups: in LNPs verpackte mRNA für intrazelluläre Antikörper. Die Immunglobuline haben einen entscheidenden Vorteil gegenüber konven­tionellen Therapeutika, wie die Gründerin erläutert: „Antikörper bieten die Möglichkeit, Proteine zu neutralisieren, für den Abbau zu markieren oder – und das ist unser Ansatz – ganze Signalwege zu modulieren.“ So könne man etwa über­exprimierte Proteine ausschalten oder Transkriptions­faktoren am Eintritt in den Zellkern hindern und das alles mit der hohen Spezifität von Antikörpern.

Stabile Nanokörper

Das Münchner Unternehmen arbeitet zu diesem Zweck jedoch mit einer reduzierten Form von Antikörpern: sogenannten Nanobodys. Diese verfügen nur über die Antigen-Bindestelle und messen etwa ein Zehntel eines konven­tionellen Immun­globulins. Durch ihre geringe Größe lassen sie sich auch mit weiteren Proteinen fusionieren, um spezielle Aufgaben zu erfüllen. „Ein weiterer Vorteil der Nanobodys ist ihre Stabilität im Zellinneren. Im Gegensatz zu herkömm­lichen Antikörpern bestehen sie nicht aus mehreren Unter­einheiten und benötigen daher keine Disulfid­bindungen zwischen den Ketten. So können sie gut im reduzierenden Milieu des Cytosols funktionieren“. Mithilfe dieser Minimal-Antikörper hofft Mermaid Bio, auch bisher nicht erreichbare Proteine, sogenannte „undruggable targets“, adressieren zu können.

Da in den Körper eingebrachte LNPs hauptsächlich in der Leber landen, konzentriert sich das Münchner Start-up zunächst auf hepato­zelluläre Karzinome, also eine Form von Leberkrebs, für die es nur wenige Therapie­möglichkeiten gibt. Für den Rest des Jahres wollen die Münchner ihre Intrabodys im Tierversuch testen. Mitte des Jahres, so Salvamosers Hoffnung, sollen dann erste Ergebnisse zur Sicherheit und Wirksamkeit der Wirkstoff-Kandidaten vorliegen. Das ambitionierte Ziel der Biologin: bereits 2025 soll eine „First-in-Human“-Studie gestartet, der Wirkstoff also erstmalig im Menschen getestet werden. „Wir wollen auch bald mit Pharma­unternehmen kollaborieren. Zum einen für unsere klinischen Studien, aber auch, um unsere Technologie mit anderen Indikationen zu testen“, beschreibt Salvamoser den weiteren Plan.

Abschließend bleibt noch zu klären, wie es ausgerechnet eine Meerjungfrau in den Firmennamen geschafft hat. Auch hier wählte das Start-up einen eher ungewöhn­lichen Ansatz, wie seine Chefin erklärt. „Wir wollten einen Namen, der ansprechend und einladend wirkt, nicht einschüch­ternd oder zu sehr Technik-orientiert. Und in unserer Wissenschaft geht es darum, die Natur für den Menschen zu nutzen, und eine Meerjungfrau kann die Einheit von Mensch und Umwelt symbolisieren.“

Tobias Ludwig

Bild: Mermaid Bio & SPRIN-D


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Letzte Änderungen: 02.02.2023