Editorial

Doppelsträngige
Mückenwaffe

(10.07.2023) Insektenforscher zeigen, wie man mit RNA-Interferenz tropische Plagegeister eindämmen könnte. Damit sind sie den Behörden jedoch zu weit voraus.
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Herrlich, so ein lauer Sommerabend. In der schwülwarmen Luft tummeln sich schulterfrei bekleidete und kurzhosige Köstlichkeiten, hellhäutig, rot- oder braungebrannt. Das Büffet ist eröffnet. Frischfleisch, so weit das Facettenauge reicht.

Neben dem lästigen sssssssum, pieks und großflächigem Juckreiz birgt die eine oder andere Stechmücke eine echte Gefahr. Über 3.000 Arten gibt es, einhundert sind in Europa heimisch. Klimawandel und Globalisierung sei dank haben sich Mückenarten invasiv in Europa verbreitet, die hier eigentlich gar nicht hingehören. Unter ihnen sind wirklich fiese Vertreter wie die Asiatische Tigermücke (Aedes albopictus), der Japanische Buschmoskito (Aedes japonicus) oder die Gelbfiebermücke (Aedes aegypti).

Editorial

Exoten auf dem Weg in den Norden

Diese exotischen Quälgeister können Viren an Bord haben und ursprünglich tropische Krankheiten nun auch hierzulande übertragen. Dank Mückentaxi hat es beispielsweise das West-Nil-Virus schon nach Deutschland geschafft, während im Mittelmeer­raum Dengue- und Gelbfieber­infektionen kursieren. Früher oder später werden Stechexoten mit Sicherheit auch den Norden erobern. Höchste Zeit für Schutzwall oder Gegenangriff!

Zum Beispiel mit Impfstoffen. Die Forschung hierzu läuft, doch in Sichtweite liegt ein ausgereiftes Produkt momentan noch nicht. Und auch niemand wird den Sommer in Quarantäne oder in Ganzkörper­rüstung verbringen wollen. Um Infektionen vorzubeugen, muss sich die Abwehr gegen die Überträger richten. Erfreu­licherweise hat ein Forscher­konsortium aus Frankfurt/M. und Gießen mit dem korrespon­dierenden Autor und Insekten­biotechnologen Andreas Vilcinskas bereits eine systematische Kampfstrategie ausgearbeitet. Es legt im Biotechnology-Advances-Review den Stand der Technik auf allen Stufen der Insektizid­entwicklung dar und wägt für jede Stufe mögliche, bisher beforschte Optionen ab.

Was sich herauskristallisiert, ist eine „Roadmap“, die vom Design bis zum zugelassenen marktreifen Produkt führt. Und es soll europäischen Anforderungen entsprechen, womit schon einmal chemische Waffen und genetisch manipulierte Organismen tabu sind. Die Biodiversität darf auch nicht leiden. Sämtliche Mücken auszulöschen, würde den Zusammen­bruch von Ökosystemen bedeuten.

Der siRNA-Weg

RNAi-basierte Strategien erlauben es hingegen, den Feind hochspezifisch anzusprechen. Entsprechende Genom­sequenzen sind bekannt. Ebenfalls bekannt ist, dass es in Insekten drei RNAi-Wege gibt, darunter der siRNA-Weg.

Diesen nutzen Insekten, um Viren und Transposons zu unterdrücken. Er lässt sich aber auch mit synthetischer dsRNA ankurbeln. Längere dsRNA wird von mücken­eigenen Proteinen zu siRNA prozessiert (21-24 nt), welche als RNA-induzierter Silencing-Komplex (RISC) komplementäre Zielsequenzen aufspürt und deren Zerschneiden bewirkt. Was wären geeignete Zielsequenzen? Spezifisch und überlebens­wichtig müssten sie sein. Konstitutiv exprimierte Gene wie die für Aktin oder Tubulin, aber auch die für die vakuoläre ATPase, ebenso wie Gene der Chitinsynthese oder Zellzyklus-Regulation haben sich in der Grundlagen­forschung als geeignet erwiesen. Solche Gene kommen aber nicht nur in den zu bekämpfenden Mückenarten vor, weshalb auf hochspezifische Sequenz­abschnitte geachtet werden müsste. Alternativ wählt man gleich spezifische(re) Gene, wie jene, mit denen die Tiere Menschen­fleisch riechen oder -blut verdauen.

Lieber Larven?

Dennoch wäre es günstiger, Mückenlarven statt erwachsene Individuen zu attackieren, denn Larven haben einschlägige Tummelplätze (Gewässer), und im Frühsommer ist die beste Zeit für einen Einsatz. Dass erwachsene Tiere für Mikro­injektionen zugänglicher sind, hat zwar im Labor, für die Praxis aber null Bedeutung. Ein guter Weg, die dsRNA ins Tier hineinzu­bekommen, scheint die Clathrin-vermittelte Endocytose zu sein. dsRNA passiert vom Darm der Tiere die Epithelzell­membranen. Vorzugsweise wählt man längere (200-500 bp) dsRNA-Moleküle, da Zellen diese leichter aufnehmen.

Vorher muss die Mücke ihre giftige Kost aber finden und schlucken. Zwar haben Fütterungen mit genetisch manipulierten Bakterien vielversprechende Ergebnisse gebracht, doch GMOs verbieten sich in Europa. Somit bleibt nur, synthetische dsRNA einzuschleusen und zwar in Form verzehrbarer Nanopartikel. Kationische Liposomen, aber auch das kationische Polymer Chitosan bilden Komplexe mit der anionischen RNA und stabilisieren sie zugleich. Beide Verpackungs­materialien wären appetitlich, biologisch abbaubar und ökologisch unbedenklich.

Als sprühbare Lösung würde man die Nano-Mücken-Köder in einschlägigen Regionen – Seen, Tümpeln etc. – ausbringen. Damit die Partikel nur dort wirken, wo sie sollen (im Tier), könnte man – so zumindest eine Idee der Forscher – einen pH-abhängigen Entlade­mechanismus einbauen. Im Mückenmagen ist es mit pH>9 wesentlich alkalischer als in Gewässern. Erstrebenswert seien mindestens 80 % Mortalität einer Population, was mit mindestens 80 % geringerer Virus­ausbreitung einherginge.

Behörde unvorbereitet

Die RNAi-Strategen denken aber auch schon einen Schritt weiter. Was, wenn die anvisierten Mücken Resistenzen entwickeln? Je höher die dsRNA-Dosis, desto höher der Anreiz für Mutationen. Eine Möglichkeit wäre, Zielsequenzen mit Methionin- und/oder Tryptophan-Resten zu wählen, weil es für diese Aminosäuren jeweils nur ein Codon und somit keine stille Mutation gibt. Möglichkeit Nr. 2 wäre es, auf einer dsRNA gleich mehrere siRNAs pro Zielgen zu beherbergen. Homologien in Nicht-Ziel­organismen sollten keinesfalls länger als 19 Nukleotide lang sein. Außerdem: Eine Umwelt­risikoprüfung muss umfangreich sein und darf sich nicht auf die (bisher einschlägig verwendeten) Spezies Daphnien und Bienen beschränken.

Wenn all diese Produkt­entwicklungs­schritte demnächst bravourös absolviert wären, geht die Arbeit (sowie Warterei) erst richtig los, nur verlagert sie sich zum Schreibtisch. Die rechtlichen Rahmen­bedingungen der für Biozide zuständigen Behörde, die European Chemical Agency, wissen mit dsRNA-basierten Mittelchen nichts anzufangen. Zwar würden sie in Produkt­kategorie 18 fallen (Mittel gegen Insekten, Milben, Arthropoden), doch lassen sie sich keiner der beiden Klassen – Chemische Stoffe beziehungsweise Mikro­organismen – zuordnen. Somit heißt es wohl noch eine ganze Weile: sssssssum, pieks, aua.

Andrea Pitzschke

Müller R. et al. (2023): RNA interference to combat the Asian tiger mosquito in Europe: A pathway from design of an innovative vector control tool to its application. Biotechnol Adv, 66:108167

Bild: Pixabay/fleur-valest (Mücke) & Pixabay/kreatikar (Nukleinsäure)


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Letzte Änderungen: 10.07.2023