Tempo hui,
Präzision pfui
(15.05.2023) Kölner Forschungsteams decken auf: Im Alter wird die RNA-Polymerase II schneller, aber fehleranfälliger. Wie lässt sie sich wieder verlangsamen?
Im Alter geht ja bekanntlich alles langsamer. Alles? Zumindest was einen entscheidenden Schritt in der Genexpression angeht, ist wohl eher das Gegenteil der Fall. Das zeigt die Arbeitsgruppe von Andreas Beyer von der Uni(Klinik) Köln federführend in einer aktuellen Studie in Nature. Aber der Reihe nach.
Der erste Schritt vom Gen zum Protein besteht bekanntlich in der Transkription und deren Präzision lässt mit dem Alter nach. Dadurch entstehen zunehmend fehlerhafte mRNAs, so weit, so schon lange in der Literatur bekannt (Cell, 153(6):1194-217). Die Folge: zelluläre Seneszenz, welche sich unter anderem in Diabetes, kardiovaskulären oder neurodegenerativen Erkrankungen sowie verschiedenen Krebsarten manifestieren kann.
RNA-Polymerase II – Bummel- oder Schnellzug?
Beyer et al. sind dem Einfluss der Transkriptionsgeschwindigkeit auf den Alterungsprozess nun genauer auf den Grund gegangen und haben dazu Eukaryonten unterschiedlichster Komplexität untersucht. Vom tausendzelligen Wurm Caenorhabditis elegans über die Fruchtfliege Drosophila melanogaster bis zu den Mammaliern Maus, Ratte und Mensch. Zunächst bestimmte das Forschungsteam die altersabhängige Elongationsgeschwindigkeit der RNA-Polymerase II (Pol II) in diesen Organismen. In der Literatur finden sich durchschnittliche Syntheseraten von etwa 15-60 addierten Nukleotiden pro Sekunde, bestimmt durch Methoden wie Genome-wide run-on sequencing (GRO-seq) oder Chromatin immunoprecipitation followed by sequencing, kurz ChIP–seq (EMBO J, 40(15):e105740).
Andreas Beyer und Mitarbeitende nutzten RNA-Sequenzierung (RNA-seq) in Introns und bestimmten anhand der Häufigkeit verschiedener Transkriptlängen die relative Geschwindigkeit der Polymerase unter verschiedenen Bedingungen. Je mehr intermediäre Transkripte verschiedener Länge vorliegen, desto langsamer die Elongation, so lässt sich dieser Ansatz interpretieren. Zur Bestätigung der Ergebnisse quantifizierten sie 4-Thiouridin gelabelte Transkripte, als Resultat eines Pulse-chase-Ansatzes. Im Fall des Menschen analysierte das Team unter anderem Blut von 21-70 Jahre alten Personen. In allen untersuchten Proben konnten die Alternsforscher nachweisen, dass die Geschwindigkeit der Pol II altersabhängig nicht, wie man vielleicht vermuten würde, ab-, sondern zunimmt.
Langsame Polymerase, längeres Leben – und umgekehrt
Bekanntlich kann man viel für einen gesunden Lebenswandel tun: Sport, bewusste Ernährung, Stressabbau etc. Im Tiermodell kann die Inhibition des Insulin-IGF-Signalwegs sowie, im Fall von Mäusen, eine 60-prozentige Reduktion der Futtermenge einen solchen Lebenswandel imitieren. Und tatsächlich ließ sich die Geschwindigkeit der Pol II in C. elegans, D. melanogaster und der Maus in den meisten Fällen durch diese Interventionen drosseln.
Auf der Suche nach Ursache und Wirkung griffen Beyer und Co. auf Insulin-IGF-Signalweg-Mutanten von C. elegans (daf-2; codiert für IGF-1) und D. melanogaster (dilp2-3,5; codieren für Drosophila Insulin-like peptides) zurück und stellten fest: in diesen Mutanten verläuft die Elongation um einiges langsamer. Und das bedeutet für Wurm und Fliege ein um zehn bis 20 Prozent längeres Leben. Dieser Effekt ließ sich durch Reversion der Mutationen zum Wildtyp wieder umkehren.
Auch für die posttranskriptionelle Kontrolle ist die Geschwindigkeit der Pol II relevant. Eine galoppierende Polymerase „übersieht“ möglicherweise beim Spleißen Exons, oder es entstehen gehäuft zirkuläre RNA (circRNA)-Moleküle – genau das sahen Erstautor Cédric Debès et al. ebenfalls. Vergleichsweise wenig überraschend zeigten die Kölner eine mit zunehmendem Alter korrelierende gesteigerte Mutationsrate, aber auch eine gegenläufige Entwicklung unter Bedingungen, die die Lebensspanne verlängern.
Reichlich Chromatin bremst
Auch DNA-bindende Proteine wie Histone können die Pol II bremsen. Um mehr darüber in Erfahrung zu bringen, sequenzierte die Forschergruppe nach Nukleaseverdau von Chromatin die noch übrig gebliebene – mononukleosomale – DNA (Histonoktamer plus verpackte DNA-Sequenz) aus „jungen“ und „alten“ Zellen (MNase-seq). Dabei stellte sich heraus, dass zum einen die Introns seneszenter Zellen weniger mit Nukleosomen assoziiert waren als diejenigen von proliferierenden Zellen. Zudem waren bei ersteren die Nukleosomen weniger präzise positioniert.
Um nun zu untersuchen, ob die Pol-II-Geschwindigkeit und die Alterung in humanen Zellen durch Veränderungen in der Nukleosomendichte verursacht werden, überexprimierten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zwei Fluoreszenz-markierte Histon-Typen. In beiden Fällen verlangsamte sich die Pol II, was zu einer Kompensation des altersbedingten Histon-Verlusts und wiederum zu verlangsamter Alterung führte.
Molekulare Betrachtung der Alterung
Die zelluläre Seneszenz ist ein komplexes Wechselspiel verschiedener biochemischer und genetischer Prozesse, von zunehmend dysfunktionaler Protein-Homöostase über genomische Instabilitäten bis hin zu fehlregulierter Signalweitergabe über den Ernährungszustand – um nur einige Beispiele zu nennen. Die Arbeit von Andreas Beyer et al. zeigt, dass auch die Elongationsgeschwindigkeit der RNA-Polymerase II bei Alterungsprozessen eine Rolle spielt. Der gezeigte Zusammenhang zwischen Ernährung und Alterung auf molekularer Ebene kann perspektivisch dazu beitragen, gezielte Maßnahmen in der Ernährung zu ergreifen, um betagt gesünder zu bleiben.
Ralph Bertram
Debès C. et al. (2023): Ageing-associated changes in transcriptional elongation influence longevity. Nature, 616:814–821
Bild: Pixabay/Publicdomainpictures
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