Editorial

Von Forschern,
die Wettkämpfe mögen

(28.04.2023) Das moderne Forschungssystem erzeuge zu viel Konkurrenzdruck, klagen viele. Aber ist wirklich ausschließlich das System schuld?
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Oft klagen sie ja, die armen Forscherinnen und Forscher, dass das überhitzte System sie in einen gnadenlosen Wettbewerb miteinander zwinge. Gäbe es nicht diese elende Gemengelage aus Kurzzeitverträgen, Publikationsdruck und Job-Engpässen, dann... – ja, dann wären sie einander durchweg in allerbester Freundschaft verbunden. Niemand würde dem einen etwas neiden oder der anderen etwas Böses wollen.

Nein, sie würden fröhlich ihre Ergebnisse und Ideen austauschen, möglichst oft miteinander kooperieren – und sich ein Loch in den Bauch freuen, wenn drüben in Japan der Kollege Hamaguchi endlich das Problem gelöst hat, an dem man schon lange selber dran war. Schließlich ist der Fortschritt der Wissenschaft das Einzige, was zählt – wer konkret sie weiterbringt, spielt da überhaupt keine Rolle.

Editorial

Klare Sieger, klare Verlierer

Klingt zu schön, um jemals Wirklichkeit zu werden? Sicher. Aber müsste man nicht einfach „nur“ radikal das System ändern, und alles würde besser?

Nun ja – irgendwie will so gar nicht dazu passen, was uns neulich ein Forscher am Telefon erklärte: „Wissen Sie, ich bin ein überzeugter Anhänger des olympischen Gedankens!“ Womit er natürlich gerade nicht „Dabeisein ist alles!“ meinte. Nein, „citius, altius, fortius“ – „schneller, höher, stärker“ – gab Pierre de Coubertin seinerzeit als Motto der Olympischen Bewegung aus. Und genau so wollte der Anrufer seinen Satz auch verstanden haben: knallharter Wettbewerb mit klaren Siegern und Verlierern.

Den Laborjournal-Redakteur erinnerte das umgehend an einen Vortrag, den er einst von Marshall Nirenberg, einem der Entzifferer des genetischen Codes, hörte. Darin erzählte er, wie er als junger Forscher in den frühen 1960ern das Labor des Nobelpreisträgers Severo Ochoa besuchte und feststellen musste, dass dieser sich mit seiner großen Gruppe ebenfalls daran gemacht hatte, den Triplett-Code zu entschlüsseln.

Wettstreit angenommen

Zunächst war Nirenberg entsetzt über die mächtige Konkurrenz, zumal eine Zusammenarbeit aufgrund Ochoas speziellem Ego offenbar nicht in Frage kam. Doch der Schock hielt nicht lange an, wie Nirenberg weiter erzählte: „Nur kurze Zeit später stellte ich zu meiner eigenen Überraschung fest, dass ich diesen Wettkampf wirklich mögen würde.“ Und wie wir heute wissen: Zusammen mit seinem damaligen Postdoc Heinrich Matthaei gewann er ihn – während Ochoa, ganz nach „The Winner Takes It All“, leer ausging.

Es scheint also beileibe nicht immer nur das System zu sein, das die Forscher in den Wettstreit miteinander treibt.

Ralf Neumann

(Zeichnung KI-kreiert via Craiyon)

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Letzte Änderungen: 28.04.2023