Auf den Stuhl gesetzt
(16.02.2021) Therapieansätze mittels Stuhltransplantationen ziehen mittlerweile in die Kliniken ein, bergen allerdings immer noch Risiken und Probleme.
Auch in Deutschland, Österreich und der Schweiz infizieren sich Menschen mit dem Bakterium Clostridioides difficile und sterben daran. Seit 2016 ist eine C.-difficile-Infektion (CDI) in Deutschland meldepflichtig. 2018 erkrankten fast 3.000 Personen an einer CDI und hatten einen schweren Verlauf, knapp ein Viertel verstarb.
C. difficile ist ein grampositives, endosporenbildendes Stäbchenbakterium, das den Darm von etwa drei bis fünf Prozent der gesunden Bevölkerung besiedelt. Bei Antibiotika-Gabe kann der Erreger im Darm die Oberhand gewinnen, wodurch sich das Verdauungsorgan entzündet. Die Folgen sind Durchfall und gegebenenfalls eine lebensbedrohende pseudomembranöse Kolitis. Besonders widerspenstig sind die Sporen des Keims: Weder gängige Desinfektionsmittel, Austrocknung und sogar Hitze können ihnen etwas anhaben.
Alternativlos
Hat sich der Erreger im Darm eines Patienten ausgebreitet, bricht der behandelnde Arzt die dafür verantwortliche Antibiotika-Therapie meist ab und verabreicht im Gegenzug ein Antibiotikum gegen C. difficile. Doch gerade bei Betroffenen über 65 Jahren kann es zu einem oder mehreren Krankheitsrückfällen kommen. Treten mindestens zwei solcher Rezidive auf oder ist der Krankheitsverlauf besonders schwer, bleibt dem behandelnden Arzt oft nur noch eine Option – die Therapie mittels fäkalem Mikrobiota-Transfer (FMT).
In Deutschland gibt es etwa 35 Kliniken, die Stuhltransplantationen regelmäßig durchführen beziehungsweise durchgeführt haben, schätzt Alexander Link, Facharzt für Innere Medizin und Gastroenterologie sowie Leiter der Sektion für Molekulare Gastroenterologie und Mikrobiota-assoziierte Erkrankungen des Universitätsklinikums Magdeburg.
Doch um Stuhl zu transplantieren, muss erst einmal geeignetes Biomaterial gesammelt werden – und das stellt sich immer noch als Herkulesaufgabe heraus. Denn unter anderem sind die Kriterien für Stuhlspender teils noch schärfer als für Blutspender. Beispielsweise dürfen Personen mit Übergewicht Blut spenden, für eine Stuhlspende ist ein zu hoher Body-Mass-Index hingegen ein K.-o.-Kriterium. Auch das Alter der Probanden spielt eine Rolle. Während in Deutschland noch Menschen bis zu einem Alter von 75 Blut spenden dürfen, ist bei der Stuhlspende schon bei 50, spätestens 60 Jahren Schluss.
Noch ausreichend Vorrat
Eine möglicherweise hilfreiche Maßnahme, unter anderem dem Mangel an Stuhlspendern entgegenzuwirken, sind Stuhlbanken. Doch in Deutschland, Österreich und der Schweiz gibt es bislang keine internationalen oder nationalen Stuhlbanken, wie OpenBiome in den USA, die seit Eröffnung über 30.000 Präparate ausgeliefert haben. Vielmehr verfügen ein paar Kliniken – zum Beispiel in Köln, Jena oder Innsbruck – über eigene kleine Stuhlbanken, die den hauseigenen Bedarf decken.
Auch bei Link in Magdeburg gibt es Stuhl auf Vorrat: „Wir haben eine eigene Stuhlbank und Probanden, die vor der Corona-Pandemie regelmäßig Stuhl gespendet haben. Wenn wir eine Probe bekommen, testen wir diese und frieren sie anschließend ein. Dadurch steht uns auch jetzt noch genug Biomaterial für die sofortige Nutzung zur Verfügung.“ Die Zahl der Probanden variiere zwar, meint Link. „Aber mit drei Probanden bin ich zufrieden, die halten das dann am Laufen.“
Stuhlbank verboten
Ein Versand der Stuhlpräparate in andere Einrichtungen ist jedoch nicht möglich. Grund dafür ist die Klassifizierung der Stuhltransplantation, gegen die hiesige Gastroenterologen seit ein paar Jahren ankämpfen. Denn die Therapie „fäkaler Mikrobiota-Transfer“ wird dem Arzneimittelgesetz zugeordnet und kann – sei es über eine Duodenalsonde oder eine oral verabreichte Kapsel – nur als individueller Heilversuch stattfinden.
Das bedeutet erstens, der behandelnde Arzt muss erst alle anderen Therapien (zum Beispiel Antibiotika-Behandlung) ausgereizt haben, um dem Patienten eine Stuhltransplantation vorschlagen zu können. Und zweitens (und das ist der Knackpunkt für Stuhlbanken) muss die gesamte Stuhltransplantation im Beisein des behandelnden Arztes ablaufen – und somit auch die Präparation der Stuhlspende. Eine Stuhlbank, die fäkales Biomaterial für Kliniken in ganz Deutschland versandfertig macht, ist demnach bislang noch gesetzeswidrig.
Ungerechtfertigt teuer
Die Fehlklassifizierung von FMT als Medikament birgt aber noch ein weiteres Problem: Denn die Einstufung als Arzneimittel führt zu zeitaufwendigen und kostspieligen Registrierungsprozessen und einem starken, ungerechtfertigten Kostenanstieg der Präparate. In Europa betragen die Kosten für ein Ready-to-use-Stuhlpräparat derzeit 1.050 bis 1.700 Euro.
Eine Standardisierung des Präparats, so befürchtet ein Gastroenterologen-Team 2019, könne zu Problemen bei der Verfügbarkeit und beim Einsatz individueller Einzelspenderlösungen führen (United European Gastroenterol J, 7(10): 1408-10). Die Gruppe (darunter auch Link) fordert, die Transplantation von fäkalen Mikrobiota als Transplantationsprodukt einzustufen und nicht als Medikament. Denn: „Stuhl ist kein standardisiertes Produkt, das in einer Fabrik hergestellt wird, sondern eine äußerst vielfältige und spenderspezifische Substanz menschlichen Ursprungs […]“, schreiben die Autoren.
Die Therapie von morgen
Eine Ausnahme gestehen sie dennoch ein: Sollten zukünftige Forschungsarbeiten einen FMT mittels standardisierter Bakterienmischungen bereithalten, sollte dieser tatsächlich als Arzneimittel oder pharmazeutisches Produkt reguliert werden. In diesem Ansatz sieht auch Internist Herbert Tilg von der Medizinischen Universität Innsbruck die Zukunft des FMT. „In der Therapie von morgen möchten wir nicht unbedingt Stuhl transplantieren. Vielmehr wollen wir die Bewohner im Darm so gut kennenlernen, dass wir mit dem Wissen ein Präparat oder Medikament mit einer speziellen Keim-Komposition generieren können, mit der wir dann Krankheiten inner- oder außerhalb des Darms behandeln können – das wäre unser Traum.“
Juliet Merz
Bild: Juliet Merz (mehr Illustrationen von Juliet gibt’s hier)
Dieser gekürzte Artikel erschien zuerst in Laborjournal 1-2/2021. In diesem Heft spricht u. a. Andreas Meyer-Lindenberg über die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Psyche und wir stellen Basen-Editoren fürs Genom-Editieren genauer vor.