Editorial

Wirkstoff des Monats: Aducanumab

von Karin Hollricher (Laborjournal-Ausgabe 6, 2022)


Stichwort

(13.06.2022) „Aus“ heißt es für Aducanumab, einem Antikörper, der zuvor als „Breakthrough Therapy“ zur Behandlung der Alzheimer-Erkrankung gehandelt wurde und über den wir schon einmal berichtet haben (LJ 12/19, Seite 33, Link). Der Hersteller Biogen (USA) zog die Reißleine etwa ein Jahr, nachdem die US-amerikanische Gesundheitsbehörde FDA den Wirkstoff zugelassen hatte. Warum? Was ist passiert?.

Aducanumab ist ein monoklonaler Antikörper, der an Amyloid-Beta(Aβ)-Moleküle bindet, die zu Plaques verklumpt sind. Durch die Antikörper-Bindung wird das Immunsystem auf die krankheitsauslösenden Proteinaggregate aufmerksam und sorgt für deren Abbau. Im Mausmodell und bei Patienten funktionierte das Prinzip abhängig von der Dosis und der Dauer der Therapie (Nature 537: 50-6; J. Prev. Alzheimers Dis. 9: 197-210). Die Frage aber ist: Verbessert die Zerstörung der Plaques auch die kognitiven Fähigkeiten der an Alzheimer Erkrankten oder verzögert es zumindest das Auftreten weiterer, schwererer Symptome?

Das war und ist anscheinend unklar. 2019 brach Biogen zwei klinische Studien ab, nachdem die Zwischenergebnisse von etwa 1.700 Betroffenen widersprüchlich erschienen. Die Entwickler durchforsteten daraufhin ihre Daten gründlich. Während dieser Überprüfung liefen die Studien weiter. Die Auswertung der Ergebnisse von 1.500 weiteren Probanden ließ Biogen aufatmen: Anscheinend hat Aducanumab dann positive Effekte auf den kognitiven Zustand, wenn es früh genug und in hoher Dosierung angewendet wird.

2021 ließ die FDA den Wirkstoff in einem beschleunigten Verfahren zu, obwohl 10 der 11 beteiligten Experten dagegen waren (Nat. Rev. Drug Discovery 20: 496). Biogen wurde jedoch auferlegt, mit einer die Vermarktung begleitenden Phase-4-Studie nachzuweisen, dass der vermeintliche Effekt tatsächlich vorhanden ist. Dies ist ein übliches Verfahren bei beschleunigten Zulassungen in den USA.

Während dieser Beobachtungsphase entschied kürzlich der Krankenversicherer Medicare, nur noch sehr begrenzt die Kosten der Therapie zu übernehmen – nämlich nur noch für die Personen, die bereits mit dem Wirkstoff behandelt wurden. Dies nahm die Firma nach eigenen Angaben in ihrem Geschäftsbericht zum ersten Quartal 2022 zum Anlass, die Vermarktung des Antikörpers einzustellen.

Die europäische Zulassungsbehörde EMA verpasste Biogen Ende 2021 eine Abfuhr, da sie die Wirkung von Aducanumab als nicht ausreichend belegt und die Nebenwirkungen als zu groß ansah. Biogen legte Widerspruch ein, den die Firma nun zurückzog.

Trotz des Rückschlags will Biogen weiter an Alzheimer-Präparaten forschen. Die Firma kooperiert mit Eisai (Japan) bei der Entwicklung des Antikörpers Lecanemab, der aktuell in der klinischen Prüfung ist. Firmenangaben zufolge würden die Ergebnisse im Herbst bekannt gegeben, die Unterlagen für die Beantragung einer beschleunigten Zulassung seien fertiggestellt.