Editorial

Tipp 255: Das Northern-Blot-Revival

(21.03.2024) Ja, der von vielen bereits tot geglaubte Northern Blot lebt noch. Und mit ein paar kleinen Kniffen und Modifikationen lässt sich noch einiges aus dem bald fünfzig Jahre alten Verwandten von Southern- und Western-Blot herausholen.

Wer macht heute noch Northern Blots? Neben all den schicken RT-qPCR- oder RNA-Seq-Techniken wirkt die 1977 von Alwine, Kemp und Stark entwickelte Kombination aus denaturierender Gelelektrophorese, Membrantransfer und anschließender Hybridisierung mit spezifischen DNA-Sonden wie aus der Zeit gefallen (PNAS 74 (12): 5350-54). Was nicht zuletzt daran liegt, dass viele den Northern Blot nur mit radioaktiven Sonden kennen – und wer will schon radioaktiv arbeiten, wenn es nicht unbedingt sein muss?

Aber bei genauerem Hinsehen hat der gute alte Northern Blot durchaus noch etwas zu bieten. Im Gegensatz zu den konkurrierenden Methoden ist es mit dem Northern Blot zum Beispiel möglich, die Größe der fraglichen RNAs zu bestimmen und hierdurch größere Deletionen, Duplikationen, alternative Splice-Varianten oder degradierte RNA zu erkennen. Auch das Expressionslevel ist mittels Northern Blot abschätzbar. Und verglichen mit der manchmal ziemlich zickigen qPCR, deren extrem hohe Sensitivität Fluch und Segen zugleich ist, funktioniert der Northern Blot robust und zuverlässig – er ist sozusagen das Modell T der Molekularbiologie, das sich immer noch gegen moderne, aber anfällige Formel-1-Boliden behaupten kann. Diese Analogie funktioniert auch in anderer Hinsicht. Denn so wie man an Fords Modell T ohne besondere Werkzeuge herumschrauben konnte, um ihn wieder in Gang zu bringen, so lässt sich auch der Northern Blot mit einfachen Mitteln optimieren. Dazu reicht meist die Ausrüstung, die schon im Labor herumsteht, auch wenn sie eigentlich für andere Methoden gedacht ist. Nach diesem Motto haben einige Arbeitsgruppen den Northern Blot etwas aufgepeppt – wobei sie sich mit ihren jeweiligen Modifikationen auf ganz unterschiedliche Aspekte des Northern Blots fokussierten.

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Das Hantieren mit dem schlabberigen Gel ist beim Northern Blot noch das kleinste Problem. Viel unangenehmer ist das Labeln der DNA-Sonden mit radioaktiven Nukleotiden im Heißlabor. Foto: National Cancer Institute

Nianhui Zhangs Gruppe am College of Life Sciences der Universität Sichuan, China, störte zum Beispiel die Radioaktivität nicht. Ihr ging es darum, das Detektionslimit für mRNAs mit niedriger Kopienzahl zu verbessern (BMC Genomics 23: 66). Außerdem wollten die Chinesen die arbeitsintensive Methode vereinfachen und besser kontrollieren.

Bei der üblichen Färbung des kompletten Gels mit Ethidiumbromid führt das im Gel vorhandene Formaldehyd zu einem hohen Fluoreszenz-Hintergrund. Direkt nach dem Start der Elektrophorese sind die RNA-Banden nicht zu erkennen. Die Forschenden färbten die RNA-Proben daher bereits vor dem Auftragen auf das Gel mit Ethidiumbromid und konnten so jederzeit sehen, ob die RNA gut separiert und nicht degradiert war.

Nicht zu stark waschen

Auf die üblichen Reinigungsschritte beim Labelling der Sonden, die nicht eingebaute radioaktive Nukleotide entfernen sollen, verzichtete das Team – und modifizierte zudem die Waschschritte nach der Hybridisierung. Üblicherweise sind diese zweistufig: Zuerst wird bei niedriger Stringenz die Hybridisierungslösung mit den überschüssigen Sonden entfernt; im zweiten Schritt wäscht man bei stringenteren Bedingungen die nur teilweise hybridisierten Sonden ab. Diese Waschroutine wirkt sich jedoch negativ auf die Sensitivität aus.

Zhang und Co. wuschen die Membran deshalb nur mit mittlerer Stringenz. Selbst bei niedriger Expression der mRNAs und mit heterologen DNA-Sonden erzielten sie damit gute Ergebnisse. Einen kleinen Wermutstropfen gab es jedoch: Der Hintergrund war etwas stärker. Die Waschschritte kontrollierten die Forschenden mit dem Geigerzähler. Sank die Radioaktivität auf 20 bis 50 Counts pro Sekunde signalisierte das eine ausreichende Wasch-Effizienz. Nach der Detektion entfernte das Team die Sonden per Stripping und verwendete die Membran mitsamt der darauf befindlichen RNA erneut. Das funktionierte bis zu achtmal.

Mit dem Protokoll der chinesischen Gruppe spart man Zeit und Arbeit. Darüber hinaus lassen sich die einzelnen Schritte besser kontrollieren. Aber, ganz ehrlich. Umweltfreundlicher wird der Northern Blot dadurch nicht, und das Problem der radioaktiven Markierung löst das Protokoll genauso wenig. Genau die ist aber ein Pferdefuß der Methode – nicht nur aus Gründen der Arbeitssicherheit.

Das üblicherweise für den Northern Blot genutzte radioaktive Isotop 32P hat eine Halbwertszeit von lediglich 14 Tagen. Sonden auf Vorrat synthetisieren und im Tiefkühler aufheben, scheidet also aus. Was also tun, wenn der Isotopen-Hersteller nicht so schnell liefern kann wie gewohnt? Oder die radioaktiven Nukleotide schlicht zu teuer werden? Hier setzt Aaron Goldstrohms Gruppe an der Universität von Minnesota, Minneapolis, USA, an (bioRxiv doi.org/mkct). Statt die gewohnten Sonden radioaktiv zu markieren, versahen die Forschenden diese während der In-vitro-Transkription mit einer Biotin-Markierung. Dazu verwendeten sie eine Mischung von dNTPs, in der Biotin-16-UTP und UTP im Mengenverhältnis 1:2 vorhanden waren. Da Biotin nicht im UV-Spektrum absorbiert, konnte das Team die Konzentration der RNA-Sonden ganz einfach photometrisch bestimmen. Zudem ließen sich die markierten Proben problemlos bei -80 Grad Celsius lagern.

Für den ersten Versuch verwendete Goldstrohms Mannschaft Reporterplasmide und transfizierte mit diesen humane sowie Drosophila-Zellen. Der Transfektion folgte die übliche Northern-Blot-Prozedur, angefangen mit der RNA-Isolation bis zum UV-Crosslinking auf der Membran. Bei der Hybridisierung kamen die neuen biotinylierten Sonden ins Spiel. Für deren Detektion setzten die Forschenden das sowieso im Labor vorhandene Western-Blot-Equipment ein: an Streptavidin gekoppelte Meerrettich-Peroxidase, ein Enhanced-Chemolumineszenz-Kit sowie ein Western-Blot-Imaging-System. Die Software des Imagers erlaubte sogar eine Quantifizierung der Signale.

Kurz warten genügt

Eine Sekunde Expositionszeit reichte, um zu wissen: Es funktioniert, egal ob mit fünfzig oder fünfhundert Nanogramm Sonde pro Milliliter. Autoradiographie-Filme müssen im Gegensatz dazu oft mehrere Tage im Freezer inkubieren, bis ein Signal sichtbar ist. Die neue Nachweismethode beschleunigt den Versuchsablauf, ohne dabei die Vorteile des Northern Blots aufzugeben – Goldstrohm und Co. wiesen auch einen klaren linearen Zusammenhang zwischen der Menge des transfizierten Reporterplasmids und der Signalintensität nach.

Das von den Autoren als Chemi Northern bezeichnete Verfahren ist hochsensitiv. Bereits 250 Nanogramm Gesamt-RNA aus den transfizierten Zellen genügen. Trugen die Forschenden die Ziel-RNA in definierten Konzentrationen auf, detektierten die Sonden diese ab einer Menge von 0,05 Nanogramm. Das entspricht 240 Attomol (10-18 Mol). Die Sensitivität ließ sich durch einen größeren Anteil biotinylierter dUTPs bei der Sonden-Synthese sogar noch erhöhen.

Wie aber sieht es mit endogenen mRNAs aus, die deutlich schwächer exprimiert werden als Plasmid-codierte Reportergene? Als Beispiele wählte das US-Team β-Actin sowie die lange nicht-codierende RNA 7SL und detektierte diese mit den am 5‘-Ende biotinylierten DNA-Sonden. Zufrieden stellten die Forschenden fest, dass schon 500 Nanogramm Gesamt-RNA ein gutes Signal lieferten, obwohl jede DNA-Sonde nur ein einziges Biotin-Molekül trug. Ein linearer Zusammenhang zwischen der aufgetragenen RNA-Menge und der Signalintensität war ebenfalls vorhanden.

Neben dem Vorteil, keine radioaktiven Nukleotide mehr zu benötigen, nennt das Team weitere Vorzüge der Methode. Sowohl das dazu nötige Equipment als auch die Reagenzien sind in den meisten molekularbiologischen Laboren vorhanden und günstig. Die Kosten pro Blot belaufen sich auf nicht einmal 100 Euro. Außerdem beschleunigt das einfach durchzuführende Verfahren aufgrund der schnellen Detektion die Experimente – ein kompletter Durchlauf dauert nur zwei Tage. Dass sich die Sonden auf Vorrat synthetisieren und bei -80 Grad Celsius lagern lassen, vereinfacht zudem das Handling. Darüber hinaus liefert die Methode reproduzierbare Ergebnisse und lässt aufgrund der Linearität sogar eine Quantifizierung der Expression zu.

Biotin-gelabelte Sonden verwendete auch Feng Lis Gruppe an der Huazhong Agricultural University in Wuhan, China, für die Untersuchung von Pflanzenviren (Viruses 14: 2664). Die Forschenden ärgerten sich darüber, dass Northern Blots von viralen siRNAs mit niedrigem Molekulargewicht und Northern Blots von viraler genomischer RNA mit hohem Molekulargewicht unterschiedliches Equipment erforderten. Während sie die kleinen siRNAs mittels vertikaler Polyacrylamid-Gelelektrophorese auftrennten, benötigten sie für die genomischen RNAs Agarosegele.

Aber, so stellten die Chinesen fest, auch Agarosegele können vertikal laufen, wenn man sie analog zu den Polyacrylamid-Gelen zwischen zwei Glasplatten gießt. Ein paar Anpassungen bei den Laufparametern sowie der Blotting-Prozedur und schon konnte das Team alle beim siRNA-Northern eingesetzten Geräte auch für hochmolekulare virale Genom-RNA verwenden.

Zusätzlich setzte Lis Team beim Sonden-Design an. Statt die üblichen Labeling-Methoden zu verwenden, entwarfen die Forschenden Oligonukleotid-Sonden mit einer Einzelstrang-Sequenz aus Guanin und Thymin (GT) sowie einer Haarnadel-Struktur am 3‘-Ende. Die Haarnadel-Struktur dient als Primer für die T4-DNA-Polymerase; ein Adenosin oder Cytosin trennt die GT-Sequenz vom Rest der Sonde. Für die Synthese verwendete die Gruppe nur dATP und Biotin-gelabeltes dCTP. Die T4-Polymerase stoppt hierdurch am Adenin beziehungsweise Cytosin vor der eigentlichen Sondensequenz und nur der neusynthetisierte doppelsträngige GT-Abschnitt nach der Haarnadelstruktur ist mit Biotin markiert. Beide Modifikationen funktionierten wie gewünscht. Die Forschenden wiesen mit ihnen diverse Pflanzenviren-RNAs mit hohen Molekulargewichten nach.

Infraroter Northern Blot

Mingyi Xies Mannschaft an der Universität von Gainesville, Florida, USA, wollte weder radioaktiv arbeiten noch die Expression der fraglichen RNAs via Biotin-Streptavidin und Peroxidase detektieren (RNA 24: 1871-77). Stattdessen wählte sie für den sogenannten irNorthern fluoreszierende Farbstoffe mit Emissionswellenlängen zwischen 650 und 900 Nanometern. Die Farbstoffe binden mittels kupferfreier Klick-Chemie kovalent an Azide, die in die Nukleotide eingefügt sind. Die Signale detektierten die Forschenden mit einem Fluoreszenz-Imaging-System für Western Blots.

Die Möglichkeiten der Methode zeigte das Team sowohl anhand von DNA- als auch RNA-Sonden. Mit dem Infrarot-Farbstoff IRDye 800 CW DBCO gelabelte DNA-Sonden erreichten eine Sensitivität, die nur geringfügig unter der von 32P-gelabelten Nukleotiden lag. Bei einem Detektionslimit von 0,02 bis 0,05 Femtomol (10-15 Mol) der kleinen RNAs benötigen sie sogar noch etwas weniger Ziel-RNA als Goldstrohms Team mit der Detektion via Biotin-Label. Allerdings ist beim irNorthern eine Verstärkung durch multiple Labels nicht möglich, weil benachbarte Farbstoffmoleküle ihre Aktivität gegenseitig quenchen. Die Sonden überstanden auch eine längere Lagerung bei -80 Grad Celsius problemlos.

Die Infrarot-Farbstoffe katapultiere den Northern Blot in eine neue Dimension, schreiben die Forschenden in ihrem Paper. Sie koppelten verschiedene Sonden an Farbstoffe mit unterschiedlichen Emissionswellenlängen. Diese verwendeten sie simultan auf demselben Blot und machten so aus dem einfachen Northern Blot einen Multiplex-Northern-Blot.

Die neuen Northern-Variationen machen neugierig auf die Zukunft: Könnte der Northern Blot vielleicht rechtzeitig zu seinem fünfzigsten Geburtstag im Jahr 2027 ein Revival erleben? Warten wir’s ab.

Angela Magin