Editorial

Tipp 253: PCR-Recycling

(12.12.2023) Mit einem von der Natur inspirierten Recyclingsystem für Nukleinsäuren kann man die in einer PCR eingesetzten Primer, dNTPs und Templates aufbereiten und erneut für die PCR einsetzen.

Kreislaufwirtschaft gilt als Schlüssel zu einer nachhaltigeren Ökonomie. Im Vergleich zum traditionellen linearen Wirtschaftsmodell, das im Wesentlichen aus Produzieren, Verwenden und Wegwerfen besteht, nimmt sie gegenwärtig jedoch nur eine kleine Nischenrolle ein. Das gilt insbesondere auch für Forschungs-, Lehr- oder Diagnostiklabore, in denen jeden Tag Unmengen an Müll produziert werden. Der Müll sei notwendig, argumentieren Forschende, weil nur so eine ausreichende Reinheit und Präzision sichergestellt ist, zum Beispiel bei sehr spezifischen und sensitiven Methoden wie der PCR.

Die PCR ist in den vergangenen Pandemie-Jahren besonders stark in den Fokus gerückt – im Guten wie im Schlechten. Denn gerade die Detektion von SARS-CoV-2 mit der PCR beziehungsweise der quantitativen PCR (qPCR) hat die Grenzen des Einweg-Systems bei Labormaterial sichtbar gemacht: Zu Spitzenzeiten der Pandemie kamen die Hersteller mit der Produktion kaum noch hinterher. Selbst alltägliche Laborartikel wie Reaktionsgefäße waren nur noch schwer zu bekommen, auf Filterspitzen wartete man unter Umständen mehrere Monate. Das Gleiche galt auch für SARS-CoV-2-PCR-Kits – die Tests wurden knapp und dadurch notwendige Schutzmaßnahmen erschwert.

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Das Sammeln und Recyclen von Spitzenboxen, Reaktionsgefäßen und anderem Plastikkram aus dem Labor ist schon mal ein erster Schritt. Noch besser wäre es, wenn man auch den Inhalt von Kits wiederverwerten könnte. Foto: Hao Nguyen

Natur als Vorbild

Wie man solchen Engpässen mit dem Recycling von PCR-Kits vorbeugen könnte, zeigt Francesco Stellaccis Gruppe am Institute of Materials der École Polytechnique Fédérale de Lausanne (EPFL) in einem aktuellen Paper (ACS Sustainable Chem. Eng. 11: 5524-36). Schließlich macht es die Natur vor: In der Zelle werden Polymere wie Proteine und DNA in ihre Monomere zerlegt, die anschließend wiederverwendet werden – unter anderem, um aus ihnen neue Aminosäure- oder Nukleotidsequenzen zu synthetisieren. Warum sollte das nicht auch in vitro funktionieren?

Das Team hatte bereits in einer früheren Arbeit gezeigt, wie sich DNA wiederverwerten lässt (Adv. Funct. Mater. 32: 2109538). Um DNA zu recyceln, sind zwei Schritte notwendig. Im ersten muss die Kette aus Nukleotiden in ihre Bestandteile zerlegt werden. Das besorgen Exonukleasen – allerdings mit einem kleinen Schönheitsfehler in puncto Recycling: Die entstehenden Desoxynukleotidmonophosphate (dNMPs) besitzen nur noch eine Phosphatgruppe, sodass eine erneute Phosphorylierung der Moleküle notwendig ist, um sie wieder in die benötigten Desoxynukleotidtriphosphate (dNTPs) zu verwandeln. Aber auch für diesen zweiten Schritt halten Zellen passende Enzyme bereit, sie stehen ja vor demselben Problem.

Für die ersten Versuche verwendeten die Forschenden Kalbsthymus-DNA, weil deren Nukleotidgehalt relativ ausgewogen ist. Für das Nukleotid-Recycling ist entscheidend, dass die Monophosphatgruppe am 5‘-Ende der Monomere bestehen bleibt. Der Schnitt muss also am 3‘-Ende der terminalen Phosphodiesterbindung erfolgen. Das erledigen Exonukleasen mit passender Aktivität: Die Exonuklease III knabbert dNMPs am 3‘-Ende doppelsträngiger DNA ab, wenn diese ein stumpfes Ende oder einen 5‘-Überhang besitzt. Das trifft aber nicht auf alle DNA-Fragmente zu. Stellaccis Mannschaft ergänzte den Enzymcocktail daher durch die Exonuklease I, die Einzelstrang-spezifisch arbeitet und schrittweise die Ablösung von dNMPs vom 3‘-Ende des Strangs in 5‘-Richtung katalysiert.

Schon die ersten Versuche verliefen vielversprechend und zeigten, dass die DNA nahezu vollständig zu den erwünschten Produkten abgebaut wurde. Die Schweizer belegten dies mit Gelelektrophorese und Flüssigkeitschromatographie-Massenspektrometrie (LC-MS). Da die enzymatische Reaktion nicht sequenzspezifisch ist, lässt sich die Methode auf alle Arten von DNA anwenden. Einziger Wermutstropfen: Die Effizienz lag bei lediglich 84 Prozent. Vermutlich, weil in der DNA auch 3‘-Überhänge enthalten waren, die die Enzyme nicht angriffen.

Phosphorylierungs-Tricks

Als Nächstes stand die Phosphorylierung der dNMPs zu dNTPs auf dem Plan. Keine leichte Aufgabe, denn in diesen Prozess sind je vier unterschiedliche dNMPs (dAMP, dTMP, dCMP und dGMP) sowie Desoxynukleotiddiphosphate (dNDPs) involviert. In Zellen katalysieren Phosphotransferasen und Kinasen diese Reaktionen. Das Team verwendete daher ein E.-coli-S30-Lysat, das diese Enzyme enthält. Allerdings ist die Effizienz des Lysats insbesondere bei der Phosphorylierung von dTMP relativ gering, während dAMP und dGMP überdurchschnittlich gut phosphoryliert werden. Um dies auszugleichen, ergänzte die Gruppe das Zelllysat mit der T4-Mononukleotid-Kinase, die spezifisch dTMP, dCMP und dGMP phosphoryliert. Als Phosphat-Donoren dienten ATP sowie Acetyl-Phosphat. Anhand kommerziell erhältlicher dNMPs, die sie dem Ansatz in identischen Konzentrationen zusetzten, optimierten die Forschenden die Reaktionsbedingungen und testeten die Effizienz per HPLC. Das Ergebnis hätte kaum besser sein können: rund 97 Prozent Ausbeute, keine nachweisbaren dNMPs und nur geringe Konzentrationen der als Intermediär-Produkte auftretenden dNDPs. Mit recycelten dNMPs lag die Ausbeute etwas niedriger bei 79 Prozent. Dennoch erzielte das Team Konzentrationen zwischen 190 und 280 µM, die für die PCR völlig ausreichend sind. Von der nativen Kalbsthymus-DNA bis zu den fertigen dNTPs lag die Recycling-Effizienz bei durchschnittlich 62 Prozent.

Per Filtration entfernten die Forschenden die Enzyme aus der Lösung und verwendeten die frisch recycelten dNTPs als PCR-Substrat für die Amplifikation einer für das grün fluoreszierende Protein (GFP) codierenden Sequenz. In einem zellfreien Transkriptions-/Translationssystem exprimierte das Team anschließend das GFP. Die Ausbeute war nur zwanzig Prozent niedriger als bei der Positivkontrolle, die kommerzielle dNTPs enthielt. Eventuell verhinderte in den recycelten dNTPs enthaltenes 5-Methylcytosin als epigenetischer Regulationsfaktor eine bessere Expression.

Auch in der qPCR schnitten sowohl die aus Kalbsthymus- als auch die aus E.-coli-DNA generierten dNTPs gut ab. Die Zyklusschwellenwerte (CT-Werte) der mit recycelten dNTPs durchgeführten qPCR waren nur unwesentlich höher als bei den Kontrollen mit kommerziellen dNTPs. Das Detektionslimit von 0,001 Nanogramm Template-DNA blieb ebenfalls unverändert. Die amplifizierten Fragmente hatten die korrekte Länge und auch die CT-Werte für die Negativkontrolle unterschieden sich kaum.

Von diesen Ergebnissen ermutigt, nahmen die Schweizer die nächste Stufe der Wiederverwertung in Angriff: Wenn die DNA recycelt werden kann, müsste das Verfahren auch mit den in der PCR enthaltenen Nukleinsäuren (Primer, Template und amplifizierte DNA) funktionieren. Aber gelingt es mit dem Enzymcocktail, die PCR-Produkte abzubauen und gleichzeitig die Primer unversehrt zu lassen?

Die Antwort ist: Ja – aber nur, wenn die Primer chemisch modifiziert sind (ACS Sustainable Chem. Eng. 11: 5524-36). Ist dies nicht der Fall, zerschnippeln die Exonukleasen diese zusammen mit allen anderen DNA-Fragmenten. Daher ersetzte das Lausanner Team bei der Synthese die letzten vier Phosphodiesterbindungen am 3‘-Ende des Primer-Rückgrats durch Thiophosphodiesterbindungen. Letztere sorgen zum Beispiel auch für die Stabilität von Oligonukleotid-Pharmazeutika gegenüber Nukleasen. Die bei der initialen PCR verwendete Polymerase beeindruckte die Veränderung wenig, die Exonukleasen dafür umso mehr: Sie bauten die modifizierten Primer nicht ab.

Für die Zerkleinerung der PCR-Produkte fügte die Gruppe der Lösung Restriktionsenzyme mit multiplen Schnittstellen innerhalb der Amplikons zu. Endo- und Exonukleasen bauten die DNA zu dNMPs ab, die Phosphorylierung erfolgte wie zuvor mit E.-coli-S30-Lysat sowie T4-Mononukleotid-Kinase. Wieder war die Effizienz gut und die als Zwischenprodukte entstandenen dNDPs lediglich in geringer Menge nachweisbar. Die Konzentration der Nukleotide sank durch die Verdünnung bei den Recycling-Schritten für alle vier vorhandenen dNTPs auf etwa 100 µM – für PCRs ist dies jedoch immer noch ausreichend.

Noch Optimierungsbedarf

Allerdings traten bei genauerem Hinsehen auch Schwachpunkte zu Tage. So hatten die Enzyme einige PCR-Produkte nicht vollständig zu dNTPs abgebaut und drei bis sechs Basen lange Oligonukleotide übrig gelassen. Auch die Primer blieben nicht so unversehrt, wie die Forschenden gehofft hatten: Per MALDI-TOF-Massenspektrometrie wiesen sie leicht verkürzte Primer nach, denen ein bis drei Nukleotide am 3‘-Ende fehlten. Offenbar hatte das chemisch veränderte Rückgrat die Hydrolyse lediglich verlangsamt und nicht komplett unterbunden.

Dennoch erfüllten die recycelten Primer und dNTPs in einer erneuten PCR ihre Aufgabe. Die erzielte Menge des PCR-Produkts war zwar etwas geringer als in der Positivkontrolle. Die Ergebnisse zeigten jedoch, dass sowohl das alte Template als auch die PCR-Produkte vollständig hydrolysiert worden waren. Auch in der qPCR gaben die recycelten Primer und Nukleotide eine gute Figur ab: Sowohl die CT-Werte als auch die Detektionsgrenzen von recycelten Proben und Kontrollen waren nahezu gleich. Allerdings beobachtete die Gruppe in der Negativkontrolle ohne Template mit recycelten Primern deutlich niedrigere CT-Werte als mit neuen Primern. Das könnte auf Verunreinigungen in den recycelten Primern hindeuten.

Perfekt ist das Protokoll noch nicht, geben Stellacci und Co. zu. Vielleicht ließe sich mit anderen Modifikationen am Primer-Rückgrat eine bessere Stabilität erzielen. Eventuell könnten auch Eingriffe in die Stereoselektivität helfen. Dennoch ist die Methode ein erster Schritt auf dem Weg zu einem geschlossenen PCR-Kreislauf aus Polymerisation, Depolymerisation und erneuter Polymerisation – und damit zu mehr Nachhaltigkeit im Labor.

Angela Magin