Editorial

Epibiose

von Larissa Tetsch (Laborjournal-Ausgabe 3, 2024)


(21.03.2024) Wörtlich übersetzt bedeutet Epibiose „auf Leben“. Jedoch wird der Begriff nicht ausschließlich auf belebte Substrate angewandt. Häufig trifft man in diesem Zusammenhang auch auf das Wort Biofouling, also den unerwünschten Bewuchs von Unterwasserstrukturen wie Schiffsrümpfen durch Mikroben, Algen, Muscheln und Kleinkrebse. Unbelebtes Substrat stellt jedoch nur eine limitierte Ressource dar, sodass auch Lebewesen als Substrat herhalten müssen.

In aquatischen Lebensräumen sind derartige Epibiosen häufig - zum Beispiel zwischen Miesmuscheln und Seepocken. Die Muscheln verspinnen untereinander ihre Byssusfäden – Haftfäden aus dem Sekret ihrer Fußdrüsen –, deren dreidimensionales Geflecht dient dann anderen Lebewesen wie eben den Seepocken als Lebensraum. Als sessile Lebewesen sind diese Rankenfußkrebse auf ein stabiles Substrat angewiesen. Im Wattenmeer, dessen Sandkörner sich ständig umlagern, bieten die Schalen der Miesmuschelbänke daher den perfekten Zufluchtsort. Aus Mangel an Alternativen ist die Epibiose für die Epibionten – also die auf der Körperoberfläche der Miesmuscheln lebenden Krebse – obligat, während die Muscheln als Basibionten auch problemlos alleine leben können.

Schwieriger ist es in terrestrischen Ökosystemen. Hier müssen Epibionten Wasser und Nährstoffe aus der Luft aufnehmen, weshalb sich terrestrische Epibiosen vor allem auf Gegenden mit hoher Luftfeuchtigkeit wie den Tropen konzentrieren. Doch auch in unseren heimischen Wäldern existieren sie, etwa in Form der Algen und Flechten auf Baumstämmen. Unter den Gefäßpflanzen sind vor allem Bromelien und Orchideen dafür bekannt, als Epiphyten die Baumkronen zu erobern und dadurch ihren Zugang zum Licht zu verbessern.

Seepocken als Epibionten einer Echten Krabbe
Seepocken als Epibionten einer Echten Krabbe. Foto: P. van der Sluijs

Vor- oder Nachteil?

Die meisten Epibiosen sind wenig spezifisch. Viele Epibionten bevorzugen sogar unbelebtes Substrat, wenn ihnen dieses zur Verfügung steht (MEPS. doi.org/d9ht9g). Auch können sich die meisten Epibionten auf verschiedenen Basibionten ansiedeln, während ein Basibiont oft unterschiedliche Epibionten trägt.

Manche Epibiosen dienen lediglich zu Transportzwecken und können jederzeit aufgelöst werden. So heften sich Schiffshalter, eine Familie der Stachelmakrelenverwandten, für eine Mitfahrgelegenheit mittels ihrer dorsalen Saugplatten an Großfische, Meeressäuger und Schiffsrümpfe. Ein positiver Nebeneffekt beim Hitchhiking auf Raubfischen ist es, dass bei deren Mahlzeiten wohl auch Futterreste für den Mitreisenden anfallen.

Die Vorteile für die Epibionten liegen also auf der Hand. Doch was haben Basibionten davon? Tatsächlich lässt sich das nicht verallgemeinern. Basibionten können profitieren, etwa weil der Bewuchs sie besser tarnt oder vor Verdunstung oder Strahlung schützt. Allerdings kann starker Bewuchs auch das Gewicht des Basibionten erhöhen oder seine Strömungseigenschaften negativ beeinflussen. Pflanzen müssen eventuell mit ihren Epiphyten um Licht konkurrieren, und Ausscheidungen des Epibionten können Körperstrukturen des Basibionten angreifen.

Oft nutzt der Epibiont den Basibionten aus, ohne ihm Schaden zu zufügen. Epibiosen können sich aber auch zu Symbiosen oder Parasitismus weiterentwickeln. Insbesondere ein konstanter, gegenseitiger Nutzen führt durch Koevolution früher oder später zu einer engen, obligaten Vergesellschaftung der Beteiligten.

Komplett hilflos sind Basibionten indes nicht. Sie können durchaus steuernd in ihre Besiedlung eingreifen. So spielen ihre Rauigkeit, ihre Benetzbarkeit, ihre Größe und auch ihre Langlebigkeit für die Besiedlung eine Rolle. Zudem betreiben marine Tiere und Algen auch ein aktives Anti-Biofouling. Zu ihren Abwehrmechanismen gehören unter anderem „chemische Kampfstoffe“, die die Forschung inzwischen als mögliche Antibiotika im Blick hat. Demgegenüber gibt es aber auch Basibionten, die Epibionten durch chemische Moleküle anlocken, wenn auch unspezifisch und fakultativ. Ganz zufällig sind Epibiosen also nicht.

Selten oder nicht?

Eine wahre Fundgrube verschachtelter Epibiosen sind Phytotelma, also Kleinstgewässer in einer Vertiefung einer lebenden Landpflanze wie etwa die Blattrosetten von epiphytischen Bromelien. Die in ihnen lebenden Frösche werden von kleinen Muschelkrebsen genutzt, um von einer Bromelie zur nächsten zu gelangen. Die Krebse tragen wiederum Wimperntierchen mit sich herum.

Und selbst unter den Kleinsten finden sich Aufsitzer: 2002 beschrieb eine Regensburger Arbeitsgruppe eine hoch spezialisierte Epibiose zwischen den beiden hitzeliebenden Archaeen Ignicoccus hospitalis und Nanoarchaeum equitans (Nature. doi.org/drfqds). N. equitans, der „reitende Urzwerg“, ist mit seinen 400 Nanometern Durchmesser und einem Genom von nur 0,5 Megabasen selbst für einen Prokaryoten klein. Ob zwischen ihm und Ignicoccus eine kommensale, symbiotische oder parasitische Beziehung besteht, ist noch immer ungeklärt – auch weil er sich nicht ohne seinen Basibionten kultivieren lässt (J Bacteriol. doi.org/bscjzq).

Nimmt man Mikroorganismen hinzu, stellt sich ohnehin die Frage, wie weit der Begriff Epibiose gefasst werden sollte. Immerhin trägt jedes vielzellige Lebewesen ein Mikrobiom mit sich herum. Nach der obigen Definition wäre somit auch unser Hautmikrobiom eine Epibiose und wir wären Basibionten.