Editorial

Pflanzliche PSY-Peptide

von Larissa Tetsch (Laborjournal-Ausgabe 1-2, 2023)


(07.02.2023) Pflanzen können ihren Standort nicht selbstständig verlassen und sind deshalb im besonderen Maße darauf angewiesen, sich an vorherrschende Bedingungen anzupassen. Dafür verfügen sie über eine Vielzahl an Signalwegen, mit denen sie auf unterschiedliche Stressfaktoren reagieren können. Angeschaltet werden diese Wege beispielsweise durch die bekannten Pflanzenhormone Auxin, Abscisinsäure und Ethylen. Es gibt aber auch eine große Gruppe von sezernierten Signalpeptiden, die durch proteolytische Prozessierung und posttranslationale Modifikation aus Vorläuferpeptiden gebildet werden.

Merkmal Tyrosin-Sulfatierung

Eine wichtige posttranslationale Modifikation in diesem Zusammenhang ist die Tyrosin-Sulfatierung. Bereits in den 1990er-Jahren wurde mit dem Wachstumsfaktor Phytosulfokin das erste Pflanzenpeptid beschrieben, das sulfatierte Tyrosine für seine Aktivität benötigt (PNAS, doi.org/cfq589). In den folgenden Jahren wurden weitere Signalpeptide mit dieser Modifikation entdeckt – unter ihnen die plant peptides containing tyrosine sulfation (PSY)-Familie in Arabidopsis thaliana (PNAS, doi.org/frkmnx).

Lange Zeit war nur PSY1 näher charakterisiert. Das Peptid ist in seiner reifen Form 18 Aminosäuren lang und besitzt drei posttranslationale Modifikationen: ein sulfatiertes Tyrosin und zwei hydroxylierte Proline. Einer der Prolinreste trägt außerdem drei Arabinose-Einheiten. Zur Biosynthese von PSY1 dirigiert eine N-terminale Signalsequenz dessen Präpropeptid ins endoplasmatische Reticulum und wird dort abgespalten. Im Golgi-Apparat übertragen Prolyl-4-Hydroxylasen (P4H) die beiden Hydroxylgruppen, von denen eine als Brücke für die Arabinosylierung dient. Die erste L-Arabinose-Einheit wird durch die Hydroxyprolin-O-Arabinosyltransferase (HPAT) angehängt; die zweite und dritte Einheit können wohl durch verschiedene Enzyme übertragen werden. Als Letztes katalysiert die Tyrosyl-Protein-Sulfotransferase (TPST) die Sulfatierung am Aspartat-Tyrosin (DY)-Motiv. Die abschließende proteolytische Prozessierung erfolgt vermutlich durch Serinproteasen aus der Gruppe der Subtilisine.

Da posttranslationale Modifikationen energetisch teuer sind, ist davon auszugehen, dass die PSY-Peptide wichtige Funktionen in der Zelle übernehmen. Für PSY1, das in vielen Pflanzengeweben gebildet wird, fand sich schnell ein passender Rezeptor – die Leucine-rich repeat receptor kinase (LRR-RK), die nach Liganden-Aktivierung die H+-ATPase AHA2 in der Plasmamembran phosphoryliert und ihrerseits aktiviert (PNAS, doi.org/frkmnx). Der dadurch aufgebaute Protonengradient ermöglicht den Großteil des aktiven sekundären Transports über die Plasmamembran. Experimente haben gezeigt, dass PSY1 sowohl die Zellexpansion als auch die Zellproliferation in den Wurzeln und im Hypokotyl fördert und regulierend in das pflanzliche Immunsystem eingreift.
Ungleiche Expressionsmuster

Inzwischen sind in A. thaliana acht PSY-Homologe bekannt; weitere finden sich in verschiedenen ein- und zweikeimblättrigen Pflanzen sowie dem Moos Physcomitrella patens. Die A.-thaliana-Homologe wurden mithilfe von bioinformatischen Methoden und Transkriptionsanalysen bereits recht gut charakterisiert (Genes, doi.org/js4x). Während die Sulfatierungsstelle DY unverzichtbar zu sein scheint, fehlen die hydroxylierten Proline zumindest teilweise. Aus ihren Expressionsmustern lässt sich schließen, dass die PSY-Homologe unterschiedliche Aufgaben erfüllen: Während die Gene für PSY1 und PSY8 im Wesentlichen überall in der Pflanze abgelesen werden, ist die Expression von PSY2 und PSY5 weitgehend auf die grünen Pflanzenteile, die Expression von PSY3, PSY 4 und PSY6 auf die Wurzeln beschränkt. PSY7 wird nur in der späten Blühphase im Blütengewebe exprimiert und reagiert im Gegensatz zu den anderen sieben Familienmitgliedern weder auf abiotische noch auf biotische Stressfaktoren.

Diese unterschiedlichen Funktionen der PSY-Peptide legten nahe, dass neben LRR-RK weitere Rezeptoren existieren. Letztes Jahr gelang es Forschern um den Entdecker des Phytosulfokins Yoshikatsu Matsubayashi tatsächlich, drei weitere Rezeptorkinasen aus der LRR-RK-Gruppe in A. thaliana aufzuspüren (Science, doi.org/gq2pz9). Alle drei Rezeptoren binden PSY-Signalpeptide und vermitteln verschiedene Stressantworten. Pflanzen, denen die Rezeptorkinasen fehlen, sind anfälliger gegenüber hohen Salzkonzentrationen, gegen Temperaturschwankungen sowie gegen Pathogenbefall.

Stressantworten abschalten

Überraschenderweise beobachteten die Japaner außerdem, dass Pflanzen, die keine Tyrosine sulfatieren können, eine bessere Stressantwort zeigen als ihr Wildtyp. Die Bindung der Liganden muss die Rezeptoren folglich inaktivieren. Der offensichtliche Vorteil: Verletzte oder gestresste Zellen sind oft metabolisch eingeschränkt und können keine „teuren“ Signalmoleküle mehr bilden. Erst ihre Abwesenheit leitet die Stressantwort ein. Gesunde Zellen können unterdessen durch die Hemmung des PSY-Rezeptor-Signalwegs vermehrt Energie in Wachstumsprozesse stecken. Damit lassen sich die PSY-Peptide als Hormone betrachten, die ein Trade-off zwischen Stressantworten und Wachstumsprozessen ermöglichen. Pflanzenforscher wittern deshalb bereits Potenzial für die Landwirtschaft und spekulieren, dass sich Agrarerträge durch ein Ausschalten der PSY-Rezeptoren steigern lassen könnten.

Auch eine weitere Beobachtung ergab nun endlich Sinn: Das Pflanzen-Pathogen Xanthomonas oryzae pv. oryzae bildet mit RaxX ein PSY1-ähnliches Peptid, das ihm die Infektion von Wirtspflanzen erleichtert (New Phytol, doi.rg/gpdg7w). Seine Wirkung wird aber nicht durch den PSY1-Rezeptor vermittelt. Matsubayashis Arbeitsgruppe zeigte, dass RaxX an die neu entdeckten Rezeptoren bindet und Stressantworten der Wirtspflanze unterdrückt.