Editorial

Bakterielle Genotoxine

von Mario Rembold (Laborjournal-Ausgabe 12, 2022)


(12.12.2022) Unter den Mikroorganismen tummeln sich ein paar Schurken, die schädliche Substanzen herstellen. Denken wir beispielsweise an das Botulinumtoxin aus Clostridium, das als eines der stärksten Gifte überhaupt gilt. Andere Bakterien produzieren Stoffe, die DNA schädigen. 2016 hatte Teresa Frisan vom Karolinska-Institut in Stockholm für einen Review-Artikel zu zwei Gruppen bakterieller Genotoxine recherchiert und deren Wirkmechanismen zusammengefasst (Biochim Biophys Acta., doi.org/f3vhdg).

Zum einen ging es um die Cytolethal Distending Toxins (CDT), hergestellt von einigen gramnegativen Bakterien, etwa aus den Gattungen Aggregatibacter, Helicobacter, Shigella oder Campylobacter, mitunter aber auch von E. coli. Zum anderen beschreibt Frisan im Review den Wirkmechanismus des Typhus-Toxins aus Salmonellen des Serotyps „Typhi“. Beides sind sogenannte AB-Toxine; es sind Proteinkomplexe mit zwei funktionellen Domänen. Gemeinsam ist ihnen eine Untereinheit, die auf dem Gen cdtB codiert und für die DNAse-Aktivität verantwortlich ist. Außerdem gibt es eine Bindedomäne, über die sich diese Genotoxine gezielt bis zum Kern vorarbeiten.

Zielsicher gegen die DNA

CDT wird in der Regel von Bakterien außerhalb der Zelle produziert und gelangt über Zellmembran und den retrograden Golgi-Transport ins endoplasmatische Retikulum und schließlich in den Kern. Typhus-Bakterien dringen gleich selbst in die Zelle ein und setzen dort das Typhus-Toxin frei.

Warum aber zielen einige Bakterien so gerichtet auf die DNA? Wenn Doppelstrangbrüche so sehr überhand nehmen, dass sie die Reparaturmechanismen überfordern, so leitet die Zelle ihren eigenen Tod per Apoptose ein, oder aber sie stoppt ihre Teilung und verharrt in einem Zustand der Seneszenz. Dabei haben es einige CDT-produzierende Bakterien offenbar auf die T-Zellen abgesehen, wie Sarah Mathiasen et al. 2021 berichteten (Cell Rep., doi.org/gk5wbh). Die Gruppe isolierte CD4-T-Zellen aus dem Blut gesunder Spender und setzte diese in verschiedenen Experimenten CDT aus. Dabei zeigte sich, dass die Proliferation der T-Zellen gehemmt wird. Das Autoren-Team schreibt im Ergebnisteil von DNA-Schäden und es findet auch molekulare Indikatoren für Seneszenz. Eine Funktion dieser Genotoxine besteht also wohl darin, das menschliche Immunsystem auszubremsen, um sich möglichst ungestört zu vermehren.

Neben Proteinen gibt es auch kleine Moleküle aus dem bakteriellen Stoffwechsel, die als Genotoxine wirken. Ein Beispiel dafür ist das Colibactin einiger E.-coli-Stämme. Es leuchtet ein, dass solche Substanzen, wenn sie im menschlichen Darm permanent von einigen mikrobiellen Mitbewohnern produziert werden, nachhaltig unsere Gesundheit schädigen könnten.

Vor diesem Hintergrund hat ein Team um Noah Palm von der Yale School of Medicine in New Haven ein Screening-Verfahren entwickelt, um Genotoxine im Darmmikrobiom nachzuweisen. Für eine im Oktober in Science erschienene Arbeit analysierte das Yale-Team Bakterien aus Spendern, die unter einer chronisch-entzündlichen Darmerkrankung leiden (Science, doi.org/gq47nc). Palm et al. berichten über eine ganze Reihe bakterieller Small-Molecule-Metaboliten mit genotoxischer Aktivität aus ihren Proben. Sie fanden auch ein Muster von DNA-Schäden, das sich von jenen unterscheidet, die vom Colibactin bekannt sind. In diesen Isolaten gab es auch keine Hinweise auf Stoffwechselwege, wie sie für andere bekannte Genotoxine typisch sind. Schließlich stießen die US-Amerikaner auf eine neue Gruppe genotoxischer Small Molecules, die sie dem Bakterium Morganella morganii zuordnen konnten. Ihre neu entdeckten Genotoxine nennen die Autoren „Indolimine“.

Darmkrebs in Mäusen

Man vermutet, dass Genotoxine im Mikrobiom entzündliche Prozesse auslösen oder zumindest begünstigen können. Naheliegend ist außerdem, dass die permanent induzierten DNA-Schäden auch das Risiko für Darmkrebs erhöhen. Die Gruppe aus New Haven versetzte daher den Darm keimfreier Mäuse mit M. morganii und stellte als Kontrolle eine Indolimin-freie Mutante des Bakteriums her. Die Mäuse mit den Wildtyp-Bakterien zeigten eine erhöhte Darm-Permeabilität sowie Transkriptom-Sig­naturen, die auf abnormale DNA-Replikation hinweisen. Außerdem entwickelten die „Indolimin-Mäuse“ häufiger Darmtumore als die Kontrollgruppe mit den Bakterien ohne Indolimin-Produktion.

Ursache oder Wirkung?

Wie so häufig bleibt zu klären, ob diese experimentellen Daten auch auf den Menschen übertragbar sind. Dass man im Darmmikrobiom von Spendern mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen häufiger Bakterien findet, die Genotoxine produzieren, ist zunächst nur eine Korrelation. Möglicherweise können sie sich in einem gestörten Darmmilieu einfach besser vermehren und sind nicht zwangsläufig Auslöser der Krankheit.

„Mutationen in der menschlichen DNA sind ein zentraler Bestandteil der Krebsentstehung und es ist verblüffend, wie weit verbreitet die Fähigkeit hierzu in unseren Darmmikroben ist“, kommentiert Jens Puschhof, Forschungsgruppenleiter am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg, die aktuelle Studie. Er betont aber, dass sichere Rückschlüsse auf den Beitrag dieser neu identifizierten genotoxischen Bakterien auf ein Krankheitsgeschehen derzeit noch nicht möglich seien. An dieser Stelle hält Puschhof fest: „In der Tat sind sowohl eine Anreicherung dieser Bakterien in einer entzündeten Mikroumgebung im Darm als auch ein Beitrag dieser Bakterien zur Entzündung plausible Szenarien, die sich nicht gegenseitig ausschließen. Es wird besonders wichtig sein, zu untersuchen, ob diese Bakterien in entzündlichen Darmerkrankungen das Risiko der Krebsentwicklung durch DNA-Schädigung erhöhen.“