Editorial

BacPROTAC

von Larissa Tetsch (Laborjournal-Ausgabe 11, 2022)


(09.11.2022) Bakterielle Infektionen verursachen weltweit jedes Jahr über eine Million Todesfälle – Tendenz steigend –, weil Resistenzen die Erreger unempfindlich gegenüber bekannten Antibiotika werden lassen.

Die Entwicklung neuer Wirkstoffe – am besten solcher mit neuen Wirkprinzipien – ist deshalb dringend notwendig. Ein neuer Ansatz rückt bakterielle Proteine in den Fokus der Aufmerksamkeit. Dabei ist die Idee, essenzielle Proteine von Krankheitserregern nicht nur auf herkömmliche Weise in ihrer Aktivität zu hemmen, sondern sie gleich ganz aus der Zelle zu entfernen. Das Risiko für die Entstehung von Resistenzen sollte dadurch gering sein.

Zielgenaue Degradierung

Designermoleküle, die Zellproteine gezielt zerstören, indem sie mit einem der zellulären Proteinabbausysteme interagieren, sind in der Krebstherapie bereits Realität: Beispielsweise interagieren die sogenannten Proteolysis Targeting Chimeras (PROTACs) mit dem Ubiquitin-Proteasom-System (PNAS 98: 8554-59), das als Teil der zellulären Qualitätskontrolle fehlerhafte Proteine zerhäckselt. Seine Zielproteine erkennt das Multiproteinsystem anhand von Markierungen aus einer oder mehreren Einheiten des Polypeptids Ubiquitin.

PROTACs sind kleine Moleküle mit zwei Bindungsdomänen. Eine davon interagiert mit der E3-Ubiquitin-Ligase, die Ubiquitinreste an ein Zielprotein heftet. Die andere bindet das Zielprotein, bringt es in die räumliche Nähe der Ubiquitin-Ligase und erzwingt so die Übertragung des Abbausignals. Auf diese Art kann jedes beliebige Protein für den Abbau markiert werden – insofern ein passendes Bindemodul existiert.

Einem Forschungsteam um Tim Clausen und Markus Kaiser von den Universitäten Wien und Duisburg-Essen ist es nun gelungen, das Konzept der PROTACs auf Bakterien zu übertragen und damit einen Weg für die Entwicklung neuartiger Antibiotika zu eröffnen (Cell, 185: 2338-53). Dabei mussten sie berücksichtigen, dass Bakterien kein Ubiquitin-Proteasom-System besitzen und nutzten stattdessen bakterielle Proteasen und deren Abbausignale. Sie konzentrierten sich auf ClpC:ClpP (ClpCP) als eine der bekanntesten Proteasen in Gram-positiven Bakterien. Diese besteht aus der ATP-getriebenen Entfaltungsmaschine ClpC und der eigentlichen Protease ClpP, die ihre Zielproteine anhand eines phosphorylierten Arginins (pArg) erkennt.

Wie die ursprünglichen PROTACs sind auch die bakteriellen Varianten bifunktionale Moleküle: Ein Modul bindet das Zielprotein, das andere bringt es in die Nähe der N-terminalen Domäne der Unfoldase ClpC. Als Bindemodul für ClpC setzten die Forscher im ersten Anlauf auf das natürliche Signal pArg und kombinierten es mit verschiedenen Modulen für die Bindung des Zielproteins. Als erstes Modellprotein wählten Clausen und Kaiser Streptavidin, da dafür mit Biotin bereits ein passender Ligand bekannt war. Der BacPROTAC-Prototyp bestand also aus Biotin und pArg, die über einen Linker miteinander verbunden waren. In vitro konnte es das ClpCP des Gram-positiven Bakteriums Bacillus subtilis tatsächlich zum Abbau von Streptavidin veranlassen.

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Feuertaufe bestanden

Im nächsten Schritt passten die Biotechnologen ihr System an die den Gram-positiven Bakterien nahestehenden Mykobakterien an. Zu ihnen gehören Pathogene wie der Tuberkulose-Erreger Mycobacterium tuberculosis, der aufgrund seiner undurchlässigen Zellhülle nur schwer zu bekämpfen ist. Aufgrund der Ähnlichkeit zwischen seiner Protease ClpC1P1P2 und ClpCP funktionierte das BacPROTAC aus pArg und Biotin auch in Mykobakterien. Allerdings brachte es für die Medikamentenentwicklung verschiedene Nachteile mit sich. Glücklicherweise aber war ein Molekül bekannt, das spezifisch an eine Bindungstasche der N-terminalen Rezeptordomäne von ClpC1P1P2 bindet: das auch als Antibiotikum eingesetzte zyklische Peptid Cyclomarin.

Um zu untersuchen, ob ein BacPROTAC mit Cyclomarin im lebenden Organismus eine antibakterielle Wirkung ausübt, ließ das Forschungsteam um Clausen und Kaiser den Modellorganismus Mycobacterium smegmatis die Bromodomäne des Proteins BRDT exprimieren. Ein BacPROTAC aus dessen natürlichen Liganden JQ1 und Cyclomarin überwand die Zellhülle der Mykobakterien und führte im Zellinneren den Abbau der BRDT-Bromodomäne herbei.

Jetzt kam der eigentliche Clou: Die Forscher bastelten das Gen der Bromodomäne im Chromosom von M. smegmatis vor zwei verschiedene Gene, deren Proteinprodukte für das Überleben des Bakteriums essenziell sind. Durch die Anwesenheit des BacPROTACs erkannte ClpC1P1P2 beide Fusionsproteine als Substrate und baute sie ab. Die Bakterien konnten nicht mehr wachsen.

Breite Anwendbarkeit

Die Herausforderung besteht jetzt darin, BacPROTACs zu entwickeln, die ohne derartige Hilfsmittel an Zielproteine von Pathogenen binden. Da Clp-Proteasen bei Eukaryoten nicht vorkommen, in Bakterien aber weit verbreitet sind, eignen sie sich hervorragend zur Entwicklung maßgeschneiderter Antibiotika mit vermutlich geringem Resistenzrisiko.

Bereits das BacPROTAC mit JQ1 als Bindungsdomäne verspricht erheblichen Nutzen. So lassen sich konditionelle Gen-Knockouts über chromosomale Fusion mit dem Gen der Bromodomäne erzeugen, was aufgrund der häufig polycistronisch organisierten Gene von Bakterien bisher schwierig war. Auf diese Weise könnten die Funktion von Proteinen untersucht – und ganz nebenbei neue Ziele für Antibiotika-Therapien aufgespürt werden.