Editorial

Lepra

von Mario Rembold (Laborjournal-Ausgabe 09, 2013)


Echo vom Anfang

Gürteltiere sind aufgrund ihrer relativ niedrigen
Körpertemperatur ideale Wirte für Mycobacterium leprae.
Foto: hakoar / Fotolia

Schon zu biblischen Zeiten litten Menschen unter Lepra. Obwohl sich bereits im alten Testament Vorschriften zum Umgang mit „Aussätzigen“ finden, entdeckte man erst im 19. Jahrhundert den Auslöser der Erkrankung: Kein göttlicher Fluch, sondern ein Bakterium: Mycobacterium leprae. Der Arzt Armauer Hansen war dem Erreger im Februar 1873 auf die Schliche gekommen, was diesem den Namen „Hansen-Bazillus“ bescherte. Kurz darauf, in den 1880er Jahren, erbrachte der Dermatologe Eduard Arning auf Hawaii den Nachweis, dass Lepra von Mensch zu Mensch übertragbar ist. Er entnahm einer erkrankten Patientin ein Lepraknötchen und implantierte es einer gesunden Versuchsperson – einem Polynesier namens Keanu. Dieser bezahlte Arnings skrupelloses Experiment mit dem Leben, denn er erkrankte an Lepra und starb 1889.

Neurologische Schäden bleiben

Heute gehören Menschenversuche dieser Art glücklicherweise der Vergangenheit an, doch Leprastudien außerhalb des menschlichen Körpers stellen eine Herausforderung dar. Bislang lässt sich M. leprae nämlich nicht im Petrischälchen kultivieren, und klassische Labortiere wie Mäuse und Ratten taugen nur eingeschränkt als Modell zur Aufklärung der Krankheitsmechanismen. Zwar gelang es 1960, den Erreger in Mäusen zu vermehren (J Exp Med 1960, 112(3):445-54), doch blieb die Infektion auf die Pfoten der Tiere beschränkt. Was die Erkrankung beim Menschen aber besonders problematisch macht und sich in der Form nicht im Mausmodell reproduzieren lässt, ist die Schädigung des peripheren Nervensystems. Obwohl sich Lepra heute durch Antibiotika-Gabe behandeln und der Körper von den Erregern befreien lässt, sind die entstandenen neurologischen Schäden oft irreversibel.

Lepra verläuft nicht bei jedem Patienten gleich. Grob kann man zwei Verlaufsformen unterscheiden: Bei der tuberkoloiden Lepra bleiben die Symptome auf wenige Hautregionen und Nervenbahnen beschränkt. Die Konzentration der Bakterien und damit das Ansteckungsrisiko ist gering. Die lepromatöse Lepra hingegen geht mit einer starken Vermehrung der Erreger einher. Die Infektion greift über auf Blutbahn, Schleimhäute und Muskelzellen. Die Betroffenen leiden unter Taubheitsgefühlen, insbesondere in den Gliedmaßen, und ziehen sich unbemerkt Verletzungen zu, wodurch es zu Infektionen und schlimmstenfalls zum Tod kommen kann. Darüber hinaus gibt es Berichte von Menschen, bei denen das Bakterium nachweisbar ist, die aber keinerlei Lepra-Symptome zeigen.

Die Übertragungswege von M. leprae sind nicht im Detail geklärt, denn Inkubationszeiten von Monaten bis Jahrzehnten machen es schwer, die genauen Umstände einer Infektion exakt nachzuvollziehen. Offenbar ist das Ansteckungsrisiko gering und betrifft vor allem unterernährte Menschen mit einem geschwächten Immunsystem, die über längere Zeit Kontakt zu Lepra-Infizierten haben. Mehr als die Hälfte der rund 220.000 Neuinfektionen pro Jahr trifft Bürger in Indien, darüber hinaus sind vor allem Länder in Südasien, Afrika und Südamerika betroffen. In der industrialisierten Welt hingegen spielt Lepra heute praktisch keine Rolle mehr, von seltenen Einzelfällen abgesehen, in denen Reisende sich im Ausland angesteckt haben.

Rückprogrammierung

Wie genau der Erreger vorgeht, wenn er seinen menschlichen Wirt befällt, ist noch immer Gegenstand aktueller Forschungen. Neues Licht ins Dunkel bringt eine Arbeit, die Toshihiro Masaki und Kollegen Anfang des Jahres veröffentlichten (Cell 2013, 152(1-2):51-67). Da M. leprae zunächst Schwannsche Zellen, also Gliazellen des peripheren Nervensystems, die für die Myelinisierung der Axone verantwortlich sind, befällt, entnahmen Masaki et al. diese aus Mäusen und infizierten sie in vitro mit dem Bakterium. Es zeigte sich, dass Gene wie Sox 10, die typischerweise in Schwann-Zellen besonders stark exprimiert sind, herunterreguliert waren, und dafür embryonale Gene verstärkt aktiviert. Sogar die Muster der DNA-Methylierung veränderten sich. Die Gliazellen verloren ihre Identität und wurden anscheinend zu mesenchymalen Stammzellen rückprogrammiert. Sie können nun zu Muskelzellen differenzieren und die Bakterien damit auch in andere Gewebe transportieren. Diese Wirkung war aber nur bei hoher Konzentration der Erreger in den Schwann-Zellen zu sehen, berichten die Autoren.

Möglicherweise liegt hierin ein Schlüssel für die Entwicklung neuer Lepra-Medikamente. Vielleicht könnte M. leprae umfunktioniert werden, als Werkzeug zur Rückprogrammierung ausdifferenzierter Zellen zu Stammzellen. Doch um Ergebnisse wirklich auf den Menschen übertragen zu können, bräuchte man ein Säugermodell, um den Erreger in vivo zu untersuchen, samt den beim Mensch beobachteten Symptomen. Ein Hindernis könnte hierbei in der zu hohen Körpertemperatur vieler Säuger liegen. Offenbar wird es M. leprae bei Temperaturen um die 37 °C zu warm, weshalb sich die Bakterien im Menschen eher an kühleren Körperregionen wie der Haut und den Gliedmaßen aufhalten.

Die Gürteltiere und wir

In den 1970er Jahren wurde man auf das Neunbinden-Gürteltier aufmerksam, dessen Körpertemperatur sich lediglich zwischen 32 und 35°C bewegt. Man stellte fest: Die Tiere lassen sich nicht nur im Labor mit dem Lepra-Erreger infizieren, sie werden auch in freier Wildbahn von dem Bakterium heimgesucht und sind damit neben dem Menschen der einzige bekannte M. leprae-Wirt. Noch dazu gibt es offenbar viele Gemeinsamkeiten zur Infektion beim Menschen, etwa die Infektion Schwannscher Zellen inklusive neurologischer Beeinträchtigungen des peripheren Nervensystems. Möglichweise könnte sich das Gürteltier künftig also als Tiermodell für Lepra etablieren (Dis Model Mech 2013, 6(1):19‑24).



Letzte Änderungen: 29.08.2013