Editorial

Schleimpilz-Immunität

von Matthias Nawrath (Laborjournal-Ausgabe 11, 2007)


Schleimpilz-Immunität
Ohne die spezialisierten Zellen des Immunsystems würde der Organismus von Parasiten überschwemmt werden. Bisher nahm man an, dass Immunsysteme sich nur bei Pflanzen und Tieren entwickelt haben.

Jedoch: Schleimpilze besitzen offenbar einen bisher unbekannten Zelltyp, der in seinem Verhalten den Makrophagen der tierischen Organismen ähnelt. Er exprimiert sogar homologe Immun-Proteine.


Gesellige Einzelgänger

Schleimpilze wie Dictyostelium discoideum bilden die Grenze zwischen Ein- und Mehrzellern. In guten Zeiten leben sie als solitäre Amöben im Waldboden und ernähren sich von Bakterien. Wird die Nahrung knapp, werden sie gesellig.

Als Folge des Hungers wird in den Einzelzellen eine Batterie von Genen eingeschaltet, die unter anderem die Bildung von cAMP-Rezeptoren an der Zelloberfläche steuern. Einige Amöben sondern cAMP als extrazelluläres Signalmolekül ab und bewirken bei ihren Nachbarn eine Signalverstärkung, sodass ein konzentrischer cAMP-Gradient entsteht. Eine Massenwanderung von Zellen zum Zentrum des Gradienten ist die Folge.

Bis zu 50.000 Einzelzellen aggregieren zu einem nacktschneckenförmigen Organismus, der sogar fürs bloße Auge sichtbar ist. Er enthält zwei Zelltypen, die sich in ihrer Genexpression unterscheiden. Von einer Schleimhülle umgeben verlässt der Zellhaufen sein Substrat und wandert einer Lichtquelle entgegen. Erreicht er eine passende Stelle, bilden sich Stiel und Fruchtkörper aus. Der Fruchtkörper setzt Sporen frei, die zur sexuellen Fortpflanzung in der Lage sind.


Schützende Spezialisten

Der Waldboden, über den der Schleimpilz seine Fracht aus Sporenvorläuferzellen transportiert, ist voll von Mikroben. Diese stellen eine Gefahr für den Pilz dar. Ein Befall bedeutet möglicherweise eine Einschränkung der Sporenbildung und somit des Fortpflanzungserfolgs. Schutz gewährleistet ein dritter Zelltyp von Dictyostelium discoideum, die sogenannten Schutzzellen. Das wurde jüngst von Adam Kuspa und seinen Kollegen vom Baylor College of Medicine in Houston gezeigt.

"Schon an sich ist dieser Fund ziemlich sensationell", sagt Gernot Glöckner vom Institut für Molekulare Biotechnologie in Jena. 2005 hat er mitgeholfen, das Genom von Dictyostelium discoideum zu entschlüsseln. "Beim Abschluss unserer Arbeit haben wir nicht gewusst, dass es einen dritten Zelltyp geben könnte."

Dass die Schutz- oder Wächterzellen (sentinel cells), wie Kuspa und seine Kollegen ihren Fund genannt haben, tatsächlich Aufgaben eines Immunsystems erfüllen, ist noch sensationeller.


Selbstlose Opferbereitschaft

Die Applikation von fluoreszierenden Substanzen wie Ethidiumbromid, das in hohen Konzentrationen toxisch ist, ins Gewebe des Schleimpilzes zeigt, dass sich diese nach einer gewissen Zeit in Schutzzellen akkumuliert.

Schutzzellen entfernen offenbar Giftstoffe aus dem Gewebe und bewahren die Sporenvorläuferzellen vor toxischem Stress. Zum anderen fressen sie bakterielle Erreger wie Legionella pneumophila, die dem normalen Verdauungsweg des Schleimpilzes entkommen. Das zeigen Experimente, in denen Legionella mit einer Nadel ins Gewebe injiziert und kurze Zeit später nur noch im Inneren der Schutzzellen gefunden wurden.

Dabei ist die Hilfe von Schutzzellen ein selbstloser Akt, wie fluoreszenzmikroskopische Analysen zeigen. Auf der Suche nach Giftstoffen zirkulieren sie frei zwischen den anderen Zellen. Ist ihre Aufnahmekapazität für Ethidiumbromid erschöpft, verklumpen sie zu Gruppen aus fünf bis zehn Zellen, werden mit der Schleimhülle des Pilzes ausgeschieden und auf dem Weg zurückgelassen.

Mit welchen Werkzeugen arbeiten die Schutzzellen? Aus Genomanalysen weiß man, dass Dictyostelium discoideum Proteine besitzt, die zu den Immunproteinen von Tieren homolog sind. Darunter sind sechzehn verschiedene Rezeptorproteine wie SlrA, die mit Hilfe leucinreicher Domänen an Bakterienelizitoren binden.

Oder zwei verschiedene Signaltransduktoren mit Toll/Interleukin-Rezeptor-(TIR-)-Domänen, TirA und TirB, die das Signal der Rezeptormoleküle ins Innere der Zelle weiterleiten. Sowohl slrA- als auch tirA-Gene werden in Schutzzellen offenbar stärker exprimiert als in den anderen zwei Zelltypen, wie quantitative Analysen spezifischer mRNA-Konzentrationen zeigen.

TirA scheint zudem in der Tat eine Rolle bei der Immunfunktion zu spielen. Entfernt man die Sequenz, die für die TIR-Domäne codiert, entwickelt Dictyostelium discoideum zwar immer noch Schutzzellen, wird aber anders als der Wildtyp von inaktivierten Legionella getötet. Zudem wächst der Pilz nur noch auf Rasen aus toten Bakterien, was auf eine Störung beim Fressverhalten hindeutet. Das TirA-Protein könnte eine Funktion bei der Phagozytose lebender Mikroorganismen erfüllen.


Gemeinsame Urahnen

Das Verhalten von Schutzzellen ähnelt dem von Makrophagen in tierischen Immunsystemen. Es könnte sein, dass Schleimpilze und Tiere einen gemeinsamen einzelligen Vorfahren haben, der schon zur Detoxifikation in der Lage war. "Die Toolbox ist offenbar dieselbe geblieben", meint Glöckner. "Aber das sind ja relativ wenige Zellen pro Fruchtkörper, die solche Funktionen erfüllen." Er sieht noch Forschungsbedarf. "Man muss sie jetzt irgendwie rausfischen, um die Expressionsmuster genauer zu untersuchen."





Letzte Änderungen: 08.02.2008