Editorial

Integron

von Petra Stöcker (Laborjournal-Ausgabe 06, 2006)




Bakterien sind wahre Chamäleons in ihrer schnellen Anpassungsfähigkeit an sich verändernde Umwelteigenschaften. Um sich immer neue Eigenschaften anzueignen, tauschen sie rege Genmaterial untereinander aus, bekannt als der sogenannte »laterale« DNA-Transfer. Besonders heiß gehandelte genetische »Tauschmaterialen« beinhalten Antibiotika-Resistenzen, Virulenz-Faktoren und Restriktionsendonuklease-Enzyme. Herzstück dieses schwunghaften Transfer-Prozesses bildet das Integron.


Eingefangene Gene

Innerhalb dieser genetischen Einheit sind Bakterien in der Lage, Gene mobiler Kassetten einzufangen und durch Rekombination zwischen dem sogenannten 59 bp-Element und dem Locus attI zu integrieren beziehungsweise auszuschneiden. Die Struktur eines Integrons besteht im Normalfall aus der gut konservierten intI-Region, die für die Tyrosin-Rekombinase Integron-Integrase (IntI) codiert und dem daran angeschlossenen 40 bis 70-Basenpaare langen attI-Element als Andock-Stelle für neues Material. Dem folgt die variable Region mit einer oder mehreren (bis zu einigen hundert) in Reih und Glied eingefügten Genkassetten. Hierbei handelt es sich um mobile, zirkuläre DNA-Abschnitte, die auch frei existieren, sich so aber nicht replizieren, wohl aber in jedes beliebige Integron eingebaut werden können. Sie sind begrenzt von zwei kaum konservierten attC-Sequenzen mit Längen zwischen 75 und 141 Basenpaaren als Verknüpfungsstellen der Integration oder Startpunkt der Exzision (Heraustrennen).

Die aufgeschnappten Genabschnitte der mobilen Kassetten werden alle in der gleichen Orientierung eingebaut, womit sie einem gemeinsamen Promotor, Pant, unterstellt sind. Dieser sitzt in der konservierten 5´-Region des int-Gens in den Startlöchern. Sind mehrere Inserts vorhanden, werden weiter abwärts von Pant gelegene Gene seltener abgelesen.


Integration der "Neuen"

Während der Integration verbindet die Integrase den attI-Locus des Integrons mit dem attC-Locus der Kassette, während der Exzision verknüpft sie die beiden attC-Sequenzen der Kassette zu einem Ring. Interessanterweise werden bei diesem ortsspezifischen Rekombinationssystem sowohl die Integrase-Funktion als auch die Promotoren für die spätere Expression der eingeschleusten Gene vom Empfänger, also dem Integron bereitgestellt. Die mobilen Genkassetten enthalten weder-noch und bedienen sich ganz ungeniert.


Gerade die fehlende attC-Sequenz-Konservierung der Kassetten brachte ein Forscherteam um Didier Mazel und Deshmukh Gopauld vom Institut Pasteur, Paris auf die Spur, dass trotz allem innerhalb dieses Abschnitts ein sequenzunabhängiges Struktur-Erkennungsmerkmal für die Rekombination vorhanden sein muss.In der Tat entwickelten sie aus ihren Untersuchungen ein Modell, bei der die Integron-Integrase an ein attC-Substrat gebunden ist. Dessen Kristallstruktur veröffentlichten sie jüngst in Nature (Bd 440, S.1157). Ihr alternativer Weg der intI-Rekombination stützt sich im Groben auf das bekannte Holliday-Kreuzstrang-Modell.


Hollidays Modell

Dazu ein kurzer Exkurs: Bei diesem 1964 von Robin Holliday aufgestellten Rekombinationsmodell lagern sich zwei homologe, doppelsträngige DNA-Moleküle (aus zellulären oder viralen Chromosomen) aneinander, wobei in jedem der rekombinierenden DNA-Moleküle ein Einzelstrangbruch stattfindet. Während des Strangausstausches wird das geschnittene 3´-Ende des einen Stranges mit dem 5´-Ende des homologen Stranges verknüpft, wodurch die Kreuzstrang-Holliday-Struktur ("Holliday Junction", "HJ") entsteht.

In dem Rekombinationsmodell der Pariser Forschergruppe bindet IntI nicht an die doppelsträngige attC-DNA, sondern spezifisch an einen Einzelstrang der Kassette. Als Modellobjekte diente dem Team IntI aus Vibrio cholerae und die attC-Sequenz aus dem Hauptstrang einer V. cholerae Repeat Sequenz (VCR). Der Einzel-Hauptstrang des attC-Elements, etwa durch Transformation entstanden, faltet sich selbst an den attC-Enden zu einer Schleife, woran je zwei IntI-Moleküle binden und die so genannte aktivierte "antiparallele Rekombinations-Synapse" formen.

Nukleophiles Tyrosin 302 aus der angehefteten Integrase bricht die attC-Sequenz auf und bildet eine kovalent gebundene 3´-Phosphotyrosin-Zwischenstufe. Die dadurch freigelegte 5´-Hydroxy-Gruppe attackiert ihr gegenüberliegendes Partnersubstrat, woraus eine HJ-Zwischenstufe entsteht, die isomerisiert und schließlich durch noch unbekannte zelluläre Gehilfen aufgelöst wird. Am Ende spuckt dieses unkonventionelle System zwei rekombinante Produkte aus: den "Mutter-DNA-Strang", nur um eine Kassette, sprich open reading frame (ORF) ärmer und eben diesen ringförmig isoliert inmitten seiner attC-Sequenzen.

Was bringt nun den betroffenen Prokaryoten dieser Aufwand? Beim wilden Handel mit den unterschiedlichsten genetischen Materialien müssen diese Neuerrungenschaften auch in das Empfänger-Genom eingebaut werden. Allein als unabhängiges, extrachromosomales DNA-Molekül (Episom) nützen sie wenig. Mit der Integron-Integrase, die trotz geringster Sequenz-Homologien an der Ziel-DNA diese brav in das Integron assimiliert, werden so auch unterschiedlichste Merkmale weitest entfernter Bakterien-Stämme aufgenommen, was wiederum die genetische Vielfalt um ein mehrfaches steigert. Sie macht so die Prokaryoten im Handumdrehen für alle Fälle gewappnet.





Letzte Änderungen: 12.06.2006