Editorial

Wie eine Holzkugel mit kleinen Magneten
Firmenporträt: VALANX Biotech, Klosterneuburg (Österreich)

Larissa Tetsch


(24.04.2024) Protein-Wirkstoff-Konjugate sind Hoffnungsträger der Biomedizin. Gängige Kopplungsverfahren verlaufen aber weitgehend stochastisch. Das Start-up VALANX Biotech bringt Ordnung ins Chaos.

Proteine sind nicht nur die „Arbeitstiere der Zelle“, sondern inzwischen auch wichtige Werkzeuge in der Biomedizin. Ihre Fähigkeit, aufgrund ihrer 3D-Struktur sehr spezifisch an andere Biomoleküle zu binden, macht man sich beispielsweise in der Krebstherapie zunutze. Dafür wählt man Antikörper aus, die an Antigene binden, die nur – oder zumindest deutlich häufiger – auf der Oberfläche von Krebszellen vorkommen, und koppelt diese an einen zytostatischen Wirkstoff. Bindet der Antikörper an die Krebszellen, gelangt der Wirkstoff in die Zelle und tötet sie. Diese neuartigen Biopharmazeutika werden als Antikörper-Wirkstoff-Konjugate oder kurz ADCs (für Antibody Drug Conjugate) bezeichnet.

Schwarzweiß-Foto der beiden VALANX-Gründer Michael Lukesch und Georg Altenbacher
Versehen Proteine mit definierten Andockstellen für Wirkstoffe: Michael Lukesch (li.) und Georg Altenbacher Foto: VALANX

Da die Konjugation dabei über die Seitenketten der Aminosäuren des Proteins erfolgt und ein Antikörper aus hunderten Aminosäuren besteht, lässt sich nicht vorhersagen, wie das Endprodukt aussehen wird. Für den Einsatz von ADCs in der Medizin ist das ein großer Nachteil, denn die Art der Kopplung kann auch die Wirksamkeit der Konjugate beeinflussen. Das niederösterreichische Start-up VALANX Biotech hat dieser Zufälligkeit bei der Herstellung von Protein-Wirkstoff-Konjugaten deshalb den Kampf angesagt.

Wirkstoffe einfach an„klicken“

Basierend auf einem Patent, das aus der Doktorarbeit des Gründers Michael Lukesch stammt, wurde die Firma im Jahr 2017 aus der Technischen Universität Graz ausgegründet. Heute logiert sie mit ihrem derzeit 13-köpfigen Team im Technologiepark des Institute of Science and Technology Austria (ISTA) in Klosterneuburg. Ihren Kollaborationspartnern bietet sie die ortsspezifische Kopplung eines Zielproteins an bis zu zehn definierten Stellen an. Die grundsätzliche Idee ist einfach, wie Firmengründer Lukesch erklärt: „Die Ortsspezifität erreichen wir, indem wir eine synthetische Aminosäure an bestimmten Stellen ins Zielprotein einbauen, an der dann die Kopplung stattfindet. Diese Aminosäure ist der Kern unserer Intellectual Property.“

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Die Kopplung erfolgt über Click-Chemie, eine Methode, für die 2022 der Nobelpreis für Chemie an Carolyn R. Bertozzi von der Stanford University, Morten Meldal von der Universität Kopenhagen und Barry Sharpless am Scripps Research Institute verliehen wurde. Dafür trägt die synthetische Aminosäure eine Tetrazin-Gruppe, die mit einer trans-Cycloocten-Gruppe des Wirkstoffs reagiert. „Für unser Kerngeschäft, die ADCs, sind bereits viele Wirkstoffe ‚off the shelf‘ verfügbar“, freut sich Lukesch. Für andere Konjugate gäbe es diverse Synthesestrategien. Hier trifft VALANX gemeinsam mit den Kollaborationspartnern für jedes Projekt eine individuelle Entscheidung.

Wie aber bekommen die Österreicher die Aminosäuren im Protein an die richtige Stelle? Tatsächlich geschieht das bereits bei der Synthese in bakteriellen und eukaryotischen Expressionsstämmen, wie Lukesch erläutert: „Wir haben das TAG-Stoppcodon in unserem Expressionsstamm recodiert, sodass dafür unsere synthetische Aminosäure eingebaut wird.“ Der Organismus erhält dafür eine neue tRNA-Synthetase, die eine tRNA mit dem entsprechenden Anticodon mit der synthetischen Aminosäure belädt.


Recodierung im großen Stil

Damit ergibt sich allerdings ein neues Problem: Diese Recodierung gilt für alle TAG-Stoppcodons des Expressionsstamms – betrifft also auch Gene, die für essentielle Proteine codieren. Doch auch hierfür hat VALANX eine Lösung gefunden: „Wir haben tatsächlich 150 von 280 natürlich im bakteriellen Expressionsstamm vorkommenden TAG-Codons recodiert, indem wir sie durch ein TAA ersetzt haben“, so der Firmengründer. „Dafür haben wir eine eigene CRISPR-Technologie entwickelt, die es uns ermöglicht, sehr viele Codons in einem einzigen Engineering-Durchgang zu recodieren. Eukaryotische Zellen sind hier spannenderweise robuster und benötigen nur tRNA und tRNA-Synthetase.“

Das fertige Protein besitzt nun also an genau festgelegten Stellen regelrechte „Andockstellen“ für den Wirkstoff. Ein echter Gamechanger für die Herstellung von Protein-Wirkstoff-Konjugaten, was Lukesch mit einem Bild auf den Punkt bringt. Für ihn ist ein Protein, das überall mit einem Wirkstoff reagieren kann, „wie eine Magnetkugel, die man über einen Berg Eisennägel bewegt.“ Man werde niemals dieselbe Verteilung von Nägeln, die an der Kugel haften, sehen. „Unsere veränderten Proteine sind dagegen wie eine Holzkugel, bei der an definierten Stellen ein kleiner Magnet eingelassen ist. Genau an diesen Stellen wird ein Eisennagel haften bleiben.“ Aus dem Chaos ist also Ordnung geworden, was sich auch im Firmennamen widerspiegelt: VALANX geht zurück auf die griechische Phalanx und damit auf „die erste geordnete Militärformation der Geschichte“, wie Lukesch betont.

Die Aminosäure-Sequenz des Zielproteins reicht aus, wenn man bei VALANX Biotech eine ortsspezifische Konjugation in Auftrag geben möchte. „Wir schauen uns die Sequenz an und definieren gemeinsam mit dem Kollaborationspartner, wie viele Stellen wir testen sollen. Anschließend exprimieren wir das Protein, sehen uns die Ausbeuten an und machen erste Aufreinigungstests“, fasst Lukesch zusammen. Um auszuschließen, dass die Kopplung die Funktion des Proteins beeinträchtigt, wird außerdem die 3D-Struktur mit der des unveränderten Proteins verglichen. Finden sich hier keine Abweichungen, ist davon auszugehen, dass auch die Funktion des Proteins unverändert ist. Das fertige Konjugat geht zum Testen zurück zum Kollaborationspartner. „Danach wird eine Entscheidung getroffen, ob das Projekt weiterverfolgt wird oder nicht“, sagt der Chemiker.

Auf Wachstumskurs

Bislang läuft es gut für VALANX Biotech: 2022 erhielt das Start-up den Boehringer Ingelheim Innovation Prize, Ende 2023 sicherte es sich eine Wachstumsfinanzierung über 2,3 Millionen Euro mit der niederösterreichischen SkyGene als Hauptinvestor. Weitere Geldgeber sind die ista science ventures (ehemals IST cube), der globale Kapitalgeber SOSV und das Land Niederösterreich über tecnet equity. Im April 2023 wurde außerdem ein Advisory Board etabliert, dem derzeit der gründungserfahrene kanadische Chemiker Pascal Deschatelets und die Patentanwältin Gabrieler Stabler angehören. Neben dem Einwerben von Geldern sieht Lukesch das Unternehmenswachstum als derzeit wichtigstes Ziel: „Der Markt für ADCs wächst momentan sehr stark und wir wollen dieses Wachstum mitnutzen.“