Editorial

Radikales Turbo-Screening - Firmenporträt: NexMR, Zürich

Mario Rembold


(21.03.2024) Drei Forscher der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH ) Zürich gründeten während der Pandemie die Firma NexMR, um die Wirkstoffsuche per NMR voranzutreiben – mit Geräten, die auf den Labortisch passen.

Mit „Drug Screening per NMR“ wirbt ein junges Schweizer Unternehmen auf seiner Website. NMR, das steht für „Nuclear Magnetic Resonance“ und meint die Kernspinresonanzspektroskopie. Das Start-up heißt NexMR und verspricht eine effiziente und kostengünstige Methode, um neue potenzielle Wirkstoffe zu identifizieren. Es geht um die Suche nach Liganden, die an ausgewählte Proteine passen.

Kernspinresonanz ist ein seit Jahrzehnten etablierter Weg, berührungsfrei und nicht-invasiv Substanzen und Strukturen zu analysieren. Weil das Verfahren nichts kaputt macht, schickt die Ärztin Ihres Vertrauens Sie daher in vielen Fällen erstmal ins MRT, anstatt gleich eine Biopsie zu nehmen. Ebenso kann man über das Verhalten der Atomkerne in einem starken Magnetfeld per NMR chemischen Verbindungen auf die Spur kommen. Auch das ist für sich genommen nichts Neues. Originell hingegen ist die Idee eines Forscherteams der ETH Zürich, wie man NMR in Kombination mit einem chemischen Kniff nutzen kann, um die Interaktion mit Proteinen zu messen und damit mögliche neue Wirkstoffe aufzuspüren. Das nämlich lässt sich ohne allzu großen technischen Aufwand auf einem Labortisch realisieren.

Verräterische Atomkerne

Begonnen hat alles am Institut für Molekulare Physikalische Wissenschaften der ETH. Dessen Leiter Roland Riek sieht sich vor allem als Grundlagenforscher und interessiert sich für die Strukturbiologie von Proteinen. Amyloide bei Parkinson- und Alzheimer-Krankheit sind Moleküle, die er mittels NMR analysiert. „Wir haben aber auch immer Methoden entwickelt und angewandt“, ergänzt er.

An dieser Stelle müssen wir nun doch ein wenig ausholen und einen Ausflug in die Physik wagen. Keine Sorge, wir werden hier kein Seminar zur Quantenmechanik abhalten, entsprechend fallen die Erläuterungen aber auch stark vereinfacht aus (Sheldon Cooper möge uns vergeben oder einen Leserbrief schreiben). Los geht’s:

Matthias Bütikoferbeim Wirkstoff-Screening am Benchtop-NMR-Gerät
Herzstück von NexMRs Wirkstoff-Screening: Matthias Bütikofer am Benchtop-NMR-Gerät. Foto: ETH

Zur NMR platziert man die Probe in einem Magnetfeld. Die Atomkerne richten sich in diesem Magnetfeld entsprechend ihres Kernspins aus. Für die eigentliche Messung stört man die Ausrichtung nun durch einen Radiowellenpuls. Die Atomkerne kippen zur Seite und richten sich anschließend wieder auf. Dieses Zurückschwingen induziert einen Stromfluss in der Spule, den das Gerät aufzeichnet. Daraus lassen sich dann charakteristische Signaturen ablesen. Interessant sind in unserem Fall speziell die Wasserstoffkerne innerhalb eines Moleküls. Ihre Resonanz und das Muster beim Zurückschwingen hängen davon ab, welche anderen Atome in räumlicher Nähe liegen. Sitzt das Atom an einem stark elektronegativen Sauerstoff oder neben einem Kohlenstoff? Entsprechend dieser Schwingungen lässt sich ein Spektrum in einem Histogramm auftragen, bei dem jeder Balken für ein Wasserstoffatom steht. Und die Art des Spektrums gibt Aufschluss über das Molekül.

„Somit hat man eine Methode, sich ein Molekül anzuschauen, ohne dass man es modifizieren muss“, erläutert Riek. „Der Sensor selber steckt authentisch im Molekül drinnen, und das ist die eigentliche Stärke.“ Allerdings, wer schon mal als Patient in einem Kernspintomografen lag, wird bemerkt haben: Die Geräte sind sehr groß und offenbar teuer – ein Grund, weshalb die Krankenkassen die Idee mit dem MRT dann doch nicht immer so prickelnd finden. Ganz ähnlich sieht es aus für die NMR in der chemischen Analytik. Denn die Sensitivität der Methode ist sehr gering, sodass man eigentlich entsprechend leistungsfähige Technik braucht. „Der Trend geht immer mehr in Richtung größerer Magnete hin zu Geräten mit einem Anschaffungspreis von 20 Millionen Euro“, stellt Matthias Bütikofer fest, Doktorand in Rieks Labor. Die Magnete dieser Hochleistungsmaschinen müssen außerdem gekühlt werden.

Niemand will sich einen millionenschweren Koloss ins Institut stellen, wenn es dafür keinen guten Grund gibt. Wirkstoff-Screening via NMR scheint demnach nur für wenige Gruppen finanziell umsetzbar. Allerdings gebe es auch kleine NMR-Apparate für den Tisch, Benchtop-Geräte für 50.000 bis 100.000 Euro, die ohne Kühlung auskommen, so Bütikofer. Diese Apparate sind aber weniger empfindlich. Doch wenn der Prophet nicht zum Berg kommt, muss der Berg halt zum Propheten. Es gibt nämlich Mittel und Wege, ein stärkeres Kernspinresonanzsignal in der Probe zu erzwingen – zum Beispiel über Radikalbildung. Auch das ist keine neue Erfindung, sondern ein Prinzip, das seit den 1960er-Jahren als „Chemically Induced Dynamic Nuclear Polarization“ bekannt ist – kurz: CIDNP. Induziert man Radikale durch Licht, spricht man von Photo-CIDNP.

Mit Licht zur Paarbildung

Vor rund fünf Jahren war es vor allem Félix Torres, der die alte Photo-CIDNP-Idee innerhalb der Riek-Gruppe wieder aufgriff und später auch die Ausgründung einer Firma maßgeblich vorantreiben sollte, wie Bütikofer berichtet. Speziell für die Fragen der Züricher Gruppe war wichtig, wie man mit kostengünstiger Technik mittels NMR herausbekommen kann, ob eine Substanz als Ligand an ein Protein bindet oder nicht.

Mit Photo-CIDNP erzeugt man durch Licht ein Radikalpaar aus zwei verschiedenen Molekülen, von denen das eine der Liganden-Kandidat ist, während das andere als Photosensitizer oder „Dye“ bezeichnet wird. Bei einem Radikal bleibt ein einzelnes ungepaartes Elektron übrig, das ziemlich schnell wieder einen Partner finden möchte. Das Pauli-Prinzip verbietet aber ein Partner-Elekron mit identischem Spin. Photosensitizer und Ligand finden zusammen und bilden gemeinsam wieder ein Molekül ohne freie Elektronen. Unter den Bedingungen im Magnetfeld – wegen der Restriktionen durch das Pauli-Prinzip und weil der Spin eine Erhaltungsgröße ist – hat diese Rekombination der Moleküle auch Auswirkungen auf die Kernspins der Wasserstoffatome. Die liegen nun nicht mehr kaum messbar im Boltzmann-Gleichgewicht vor, sondern sind hyperpolarisiert. In diesem Zustand bekommt man auch in schwächeren Magnetfeldern ein starkes Kernspinresonanzsignal.

Torres, Bütikofer und Riek erklären ihr Screening-Prinzip zusammen mit weiteren Co-Autoren in einer Publikation vom letzten Sommer und erläutern, wie man dank Hyperpolarisation feststellt, ob der Ligand an das Protein bindet oder nicht (J. Am. Chem. Soc., 145(22): 12066-80). Mit der Doktorandin Gabriela Stadler als Erstautorin beschreibt das Team in einer weiteren Veröffentlichung den Einsatz auf Tischgeräten (Angew. Chem. Int. Ed. Engl., 62(40): e202308692). Normalerweise liefern Ligand und Photosensitizer vergleichbar große Spektren dank ihrer Hyperpolarisation. Bleibt der Ligand aber abgeschirmt, weil er sehr gut an ein Protein bindet, so geht dessen Signal deutlich oder fast vollständig zurück. „Wenn das Molekül besser bindet, erwarten wir eine größere Reduktion“, erläutert Bütikofer. Es könne aber auch sein, dass der Ligand nur teilweise im Protein verschwindet, andere Wasserstoffe aber noch herausschauen. „Hier wird man dann keine so große Signalreduktion erwarten“, ergänzt er.

Porträtfoto der drei NexMR-Gründer Roland Riek, Félix Torres, Matthias Bütikofer
Sekundenschnelle NMR-Messungen: Roland Riek, Félix Torres, Matthias Bütikofer (v.l.n.r.). Foto: ETH

Alte Methode, neue Bibliothek

Dank der Hyperpolarisation verbessert sich das Signal-Rausch-Verhältnis laut Bütikofer um ein bis drei Größenordnungen. Indem speziell bei der Drug-Screening-Methode nur das freie, nicht gebundene Molekül polarisiert wird und man über die unterdrückte Polarisation im Liganden auf die Bindung an das Target schließen kann, bekommt man unterm Strich einen Zeitvorteil um das bis zu Tausendfache. Eine herkömmliche NMR-Messung kann sonst nämlich bis zu einer Stunde dauern. „Aber jetzt messen wir innerhalb weniger Sekunden“, freut sich Riek.

Wozu muss man nun eine Firma gründen, wenn man doch eigentlich auf ein Prinzip aus den 1960ern zurückgreift? „Nicht alle Moleküle haben diesen Photo-CIDNP-Effekt“, erklärt Bütikofer hierzu. Tatsächlich, so steht es in den genannten Publikationen, kannte man bis zum Jahr 2019 nur um die 30 Moleküle, für die Photo-CIDNP gezeigt war. Will man nach Wirkstoff-Kandidaten suchen, so braucht man aber eine große Auswahl an Molekülen, die man paarweise als Photosensitizer und Ligand einsetzen kann. Ebenjene Bibliotheken baut NexMR derzeit auf und stellt sie Forschenden zur Verfügung, die damit auf Wirkstoffsuche gehen wollen. „Wir haben aktuell eine Library von etwa 500 bis 600 Molekülen und kommen bis Ende des Jahres auf 10.000“, gibt Bütikofer einen Zwischenstand an. „Die können Sie aber wie Legosteine zusammensetzen und bekommen dadurch erst einen richtigen Wirkstoff.“

Außerdem unterstützt NexMR die Kunden dabei, ihre Benchtop-Geräte für Photo-CIDNP aufzurüsten, und arbeitet dafür mit den NMR-Geräteherstellern zusammen. Vielleicht aber wäre es ohne die Corona-Pandemie gar nicht zu einer Firmengründung gekommen, blickt Riek zurück: „Damals wollten auch wir gern einen Beitrag zum Drug-Screening leisten, weil wir von den Standardansätzen in der pharmazeutischen Forschung ein bisschen enttäuscht waren. Als wir dann die Stärken unserer Idee gesehen haben, hat sich die Frage aber gar nicht mehr gestellt, ob wir das weiterverfolgen wollen: Wir waren uns sicher, dass die Methode einfach funktionieren muss!“

Riek als ETH-Professor ist einer der drei NexMR-Gründungsmitglieder. „Aber ich halte mich aus der Firma eigentlich heraus“, verspricht er. Bütikofer, ebenfalls von Beginn an dabei, bastelt noch an seiner Doktorarbeit, stellt aber fest: „Ein Großteil meiner Forschung bezieht sich auf die Photo-CIDNP-NMR und damit auf die Core-Technologie von NexMR.“ Auch Torres, CEO und die von Beginn an treibende Kraft hinter NexMR, bleibt der ETH verbunden, so Bütikofer: „Er betreut hier noch immer Leute im Labor und arbeitet auch mit mir eng zusammen.“

Bewerbungen willkommen

Förderungen gab es vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF), darüber hinaus kamen finanzielle Zuschüsse dank zweier Venture-Kick-Preise. Außerdem freuen sich die Firmengründer über eine Nominierung für den Spark Award vor zwei Jahren. „Das betrifft innovative Patente von der ETH“, so Bütikofer. „Wir waren unter den fünf Finalisten“, fügt Riek hinzu.

Es gibt weitere Ideen, wie man die Methode verbessern kann, zum Beispiel, um auch schon während der Messung mehr zu erfahren über die Art und Weise, wie der Wirkstoff-Kandidat an das Protein andockt. Derzeit sei man aber vor allem durch das Personal limitiert – wer fit ist in Sachen NMR, Photochemie oder pharmazeutisches Kleinmolekülwissen mitbringt, könne sich also gern bewerben, betonen Riek und Bütikofer. Ganz ohne NMR-Wissen hingegen kommt der Anwender aus. Bütikofer freut sich, die NMR-basierte Wirkstoffsuche auch für kleinere Gruppen erschwinglich zu machen. „Mit Geräten so groß wie ein Drucker, und alles bei Raumtemperatur ohne Helium oder Stickstoff.“