Editorial

Reiseführer für Deaminase - Argonauten-TRIBE

Andrea Pitzschke


(10.11.2023) Mit der agoTRIBE-Technik kann man die Ziele von microRNAs nicht nur in großen Zellmengen detektieren, sondern auch in einzelnen Zellen.

Seit ihrer Entdeckung vor dreißig Jahren haben microRNAs beziehungsweise miRNAs die Forschungsgemeinde gehörig elektrisiert (Cell 75: 843-54). Die nur zwei Dutzend Nukleotide kurzen nicht-codierenden RNAs steuern das Zellgeschehen, wenn sie an ihre Zieltranskripte binden. Sie sind an normalen Entwicklungsprozessen beteiligt, bestimmen Zellidentitäten und mischen bei der Entstehung von Krebs sowie vielen anderen Krankheiten mit (Int. J. Mol. Sci. 23(5): 2805). Die zu hunderten im Genom des Menschen verteilten miRNA-Gene sind entscheidende Stellschrauben bei der Expression tausender verschiedener Proteine. Selbst bei der Reifung von Pfirsichen haben miRNAs ihre Finger im Spiel – sie sorgen dafür, dass das anfänglich harte grüne Fruchtfleisch zu einer weichen und saftigen Köstlichkeit heranreift (Plant Physiol. 192(2): 1638-55).

miRNAs entstehen wie reguläre Transkripte im Kern und wandern nach der Reifung ins Cytoplasma. Dort dirigieren sie das Effektorprotein Argonaut (Ago) zu einem komplementären Abschnitt in der 3´-Untranslatierten Region (3‘-UTR) einer Ziel-mRNA. Ago sowie Cofaktoren inhibieren daraufhin die Translation der anvisierten mRNA oder forcieren deren Abbau. Die Wirkung einer miRNA hängt von ihrer Dosis und vor allem von ihrer Sequenz ab. Letztere bestimmt sowohl die Stabilität der miRNA selbst als auch die Spezifität mit der sie ihre Zieltranskripte bindet.

Forschende haben verschiedene Ansätze entwickelt, mit denen sie von miRNAs regulierte Transkripte identifizieren können. Bioinformatische Tools sagen potenzielle Targets immer genauer vorher und können auch die Stabilität von miRNAs beurteilen (Methods Protoc. 4: 1). Ohne experimentelle Validierung hat das Prognoseergebnis zunächst zwar nur einen rein theoretischen Wert. Es ermöglicht aber ein viel gezielteres Design von Experimenten, mit denen sich die Ziele von miRNAs in biologischen Proben aufspüren lassen.

Das hierzu meist eingesetzte Crosslinking-Immunoprecipitation-sequencing (ClIP-seq)-Verfahren verankert Argonaut oder andere Ribonukleoproteine, die von der miRNA zum Ziel dirigiert werden, via UV-Quervernetzung irreversibel an der Target-mRNA. Die nötige UV-Dosis für die Bestrahlung hängt von der Dicke der Zellschicht sowie von Zell- und Gewebeeigenschaften ab. Nach dem Zellaufschluss wird die mRNA in der quervernetzten Probe partiell verdaut, die frei zugänglichen mRNA-Regionen werden hierdurch zerstückelt – Abschnitte, auf denen Argonaut bindet, bleiben jedoch intakt. Die Immunpräzipitation mit anti-Argonaut-Antikörpern führt schließlich zu Protein-RNA-Komplexen, die nach der Aufreinigung via SDS-PAGE noch eine Proteinase-K-Behandlung durchlaufen. Die anschließende RNA-Isolierung liefert ein Sammelsurium an miRNA-Zielen, die schließlich als Ausgangsmaterial für die Herstellung einer cDNA-Bibliothek für die RNA-Sequenzierung dienen. Aus der Häufung bestimmter Reads lässt sich auf ehemals quervernetzte Transkript-Regionen schließen.

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Das agoTRIBE-Verfahren für die Detektion von miRNA-Zielen ist einfacher durchzuführen als andere Techniken und funktioniert im Gegensatz zu diesen auch mit Einzelzellen. Illustr.: Friedländer Lab

Kovalente Verknüpfung

CLIP-seq wurde in verschiedene Richtungen weiterentwickelt. Eine der jüngeren Varianten, die sich chimäre eCLIP nennt, adressiert ein typisches Problem der konventionellen CLIP-seq: In den sequenzierten Daten finden sich zwar Target-mRNAs und miRNA-Sequenzen, es lässt sich aber nicht eindeutig sagen, wer nun tatsächlich mit wem als Heteroduplex verbandelt ist. Bei der chimären eCLIP wird deshalb vor der Quervernetzung ein Ligationsschritt eingeschoben, der miRNA und Target-mRNA kovalent verknüpft. Die Chimären werden danach am Stück sequenziert und gelesen (bioRxiv doi.org/k2mx).

Aber auch die chimäre eCLIP-Technik ist wie die anderen CLIP-seq-Verfahren aufwendig und funktioniert nur mit Millionen von Zellen als Ausgangsmaterial. An die Analyse einzelner Zellen ist damit nicht zu denken. Konstellationen von miRNAs mit mRNA-Targets, die nur in wenigen Zellen vorkommen, können aber durchaus eine Funktion haben. Marc Friedländers Team am Wenner-Gren Institute der Stockholm University suchte daher nach einer Alternative. Dabei stieß die Gruppe von Friedländer, der bei Nikolaus Rajewsky am MDC in Berlin promoviert hat, auf die sogenannte Targets-of-RNA-binding-proteins-Identified-By-Editing-Methode (TRIBE). Michael Rosbashs Mannschaft hatte TRIBE 2016 an der Brandeis University in Waltham, USA, etabliert (Cell 165(3): 742-53).

Bei TRIBE fusioniert man die RNA-editierende Domäne der Deaminase ADAR2 (ADAR2DD) mit einem gewünschten RNA-Bindeprotein, etwa Argonaut, das ADAR2 zu ihrem Ziel führt. Dort angekommen deaminiert ADAR2 Adenosin (A) zu Inosin (I). Sequenziert man die RNA, wird das in Inosin umgewandelte A als Guanosin (G) gelesen. Der A-zu-G-Austausch kann sowohl mit der normalen RNA-Sequenzierung (RNA-seq) als auch mit der Einzelzell-RNA-Sequenzierung (scRNA-seq) detektiert werden.

Friedländer und Co. schneiderten die TRIBE-Technik für Argonaut-Proteine zurecht und modifizierten sie für die agoTRIBE-Methode in drei Punkten (Nat. Biotechnol. doi.org/k2m6). Als Erstes tauschten sie die Wildtyp-ADAR2-Deaminase-Domäne gegen eine hyperaktive Variante mit erhöhter Editieraktivität aus. Danach verbanden sie Argonaut2 (Ago2) und ADAR2 über einen 55 Aminosäuren langen, flexiblen Linker. Der dritte Punkt, den das Team veränderte, ist insbesondere für das Beladen von Ago2 mit den Guide-miRNAs von Bedeutung. Damit diese störungsfrei vonstattengeht, fusionierte das Team die ADAR2-Domäne an den N-Terminus von Ago2. Der C-terminale Abschnitt, an den die miRNAs binden, ist hierdurch für diese besser zugänglich.

Das Prinzip von agoTRIBE erinnert an die Cas9-Geneditierung. Den Part der Guide-RNAs übernehmen jedoch die miRNAs und statt Cas9 führen sie die Fusion aus ADAR2 und Ago2 (agoTRIBE) zur Zielsequenz. Anhand des A-zu-G-Austauschs kann man schließlich erkennen, an welche mRNA-Abschnitte agoTRIBE gebunden hat.

In HEK293T-Zellen, die agoTRIBE exprimierten, konzentrierte sich das Fusionsprotein im Cytoplasma überwiegend in kleinen Punkten, die sogenannten Processing Bodies (P-bodies) ähnelten. P-Bodies bestehen üblicherweise aus Komplexen von mRNAs mit Proteinen, die die Translation reprimieren oder mit dem mRNA-Abbau assoziiert sind.

Gezielter Nukleotidaustausch

In den mit agoTRIBE transfizierten Zellen stellte das Team nach der RNA-seq deutlich mehr A-zu-G-Substitutionen fest als in der Kontrolle. Exprimierten die Forschenden nur ADAR2 in den Zellen, unterschieden sich die Editierereignisse kaum von denen der Kontrolle. Ago2 ist als Fusionspartner, der die Deaminase zur Ziel-mRNA leitet, also unerlässlich. AgoTRIBE editierte vor allem Nukleotide in der 3‘-Untranslatierten Region sowie in der codierenden Sequenz (CDS). Das stimmt mit der Präferenz von miRNAs für gereifte, cytoplasmatische mRNAs überein.

Um potenziell miRNA-gesteuerte Gene konkret benennen zu können, sequenzierte die Gruppe die RNA von Zellen, die agoTRIBE oder nur ADAR2 exprimierten. Dabei erfasste sie die Gesamtanzahl an Editierereignissen pro Gen. Gene, die in der agoTRIBE-Probe deutlich häufiger editiert wurden als in der ADAR2-Probe, waren die heißesten Kandidaten für eine Liste mit den besten tausend agoTRIBE-Zielen. Anschießend verglichen die Forschenden diese agoTRIBE-Ziele mit publizierten mRNA-Targetlisten, die mit den gängigen CLIP-seq-Varianten HITS-CLIP, PAR-CLIP sowie eCLIP erstellt worden waren. Die Gruppe fand deutliche Überschneidungen zwischen den Top Tausend agoTRIBE- und CLIP-seq-Kandidaten – obwohl agoTRIBE und CLIP-seq auf komplett unterschiedlichen Techniken basieren.

Ohne Cofaktor keine Funktion

Wie sich die Inhibierung der miRNA-Funktion auf die Dereprimierung der Ziel-mRNAs in HEK-293T-Zellen auswirkt, untersuchte die Gruppe, indem sie den für die Funktion von Ago2 essenziellen Cofaktor TNRC6B ausschaltete. Dazu überexprimierte sie in den Zellen das Peptid T6B, das die Bindetasche von Ago2 für TNRC6B blockiert. In Zellen, die T6B exprimierten, fanden die Forschenden 15 Prozent höhere Transkriptionsraten der mRNA-Targets – der Inhibitor T6B hatte die Repression also teilweise aufgehoben.

Damit agoTRIBE funktioniert, müssen Ago2 und ADAR2 zusammen agieren. Das lässt sich auf verschiedene Arten bewerkstelligen. Statt der Fusion von Ago2 und ADAR2 ist auch die Co-Expression der beiden Proteine möglich. Dabei muss man jedoch sicherstellen, dass die beiden Proteine in den Zellen ein Heterodimer bilden können. Die Schweden hängten dazu einen eGFP-Tag an ADAR2 sowie einen GFP-Nanobody-Tag an Ago2, die die Dimerisierung vermitteln.

Der größte Trumpf der agoTRIBE-Technik ist die hohe Sensitivität, mit der sich miRNA-Ziele auch in einzelnen Zellen aufspüren lassen. Die Einzelzell-RNA-Sequenzierung spielte die Gruppe mit agoTRIBE-transfizierten HEK293-T-Zellen durch. Aus den scRNA-seq-Daten konnte sie dank agoTRIBEs Linkersequenz nicht nur die Transfektionseffizienz ablesen, sondern auch nicht-transfizierte Zellen erkennen und deren Daten aussortieren. Die Linkersequenz gibt auch Auskunft darüber, wie stark einzelne Zellen agoTRIBE exprimieren. In Zellen mit wenigen Linker-Reads, also Schwachexprimierern, fand das Team weniger Editierungen. Durchschnittlich schaffte es eine agoTRIBE-exprimierende Zelle auf 32.000 Editierereignisse. Das waren fünfzehnmal mehr als in Kontrollzellen.

Das agoTRIBE-Protokoll ist insgesamt deutlich einfacher und schneller als die verschiedenen CLIP-Protokolle. Zudem verbessert sich das Verhältnis von Aufwand zu Ertrag nochmals erheblich, wenn man mit Zellkulturen oder Einzelzellen ohnehin Transkriptomanalysen mittels RNA-seq vorhat. Dann käme als Mehraufwand nur die Transfektion des ­agoTRIBE-Konstrukts hinzu – miRNA-Targets kann man dann quasi nebenher identifizieren.