Editorial

Scharfe Bilder mit verbeulten Objektiven - Inverses Lichtblatt-Mikroskop

Karin Hollricher


(18.04.2023) Der Deutsche Zukunftspreis, der Preis des Bundespräsidenten für Technik und Innovation, ging im letzten Jahr an drei Forscher der Firma Zeiss für die Entwicklung eines Lattice-Lightsheet-Mikroskops. Aber diese Technologie ist doch gar nicht neu. Wofür also gab es den Preis?

Die Lichtblatt(Lightsheet)-Mikroskopie (LS-Mikroskopie) wurde erstmals 1903 beschrieben. Es dauerte aber nochmal gut hundert Jahre, bis Jan Huisken als Doktorand in Ernst Stelzers Gruppe am EMBL in Heidelberg ein labortaugliches Lichtblatt-Mikroskop für das In-vivo-Imaging biologischer Proben mittels Fluoreszenzfarbstoffen konstruierte. Stelzer zählte schon damals zu den führenden Figuren der Fluoreszenzmikroskopie, er lehrt heute an der Goethe-Universität Frankfurt. Huisken trat nach einer Station am Morgridge Institute for Research an der University of Wisconsin in Madison, USA, Ende 2021 eine Humboldt-Professur für Multiskalen-Biologie an der Fakultät für Biologie und Psychologie der Universität Göttingen an.

Das Markenzeichen der LS-Mikroskopie ist ein extrem schmal fokussiertes Lichtblatt, das quer oder schräg durch die Probe läuft. Die Detektion erfolgt mit einem 90 Grad zu dem Lichtblatt stehenden Objektiv mit möglichst hoher numerischer Apertur (NA). Man nannte diese Mikroskopie zunächst SPIM (Single Plane Illumination Microscopy). Im Vergleich zur konfokalen Fluoreszenzmikroskopie kommt die Lichtblatt- beziehungsweise SPI-Mikroskopie mit einer erheblich geringeren Laserleistung aus. Das schont die Proben und gewährleistet, dass man lebende Zellen über einen längeren Zeitraum beobachten kann.

Die Lichtblatt-Mikroskopie wurde daher zum Inbegriff der probenschonenden Fluoreszenzmikroskopie. Allerdings lag die Auflösung nur in der Größenordnung von Mikrometern (Science 5686: 1007-09). Damit ließen sich Gewebe und kleine Organismen wie Embryonen oder Larven prima darstellen – für den Blick in die Zelle war die Auflösung aber bei Weitem nicht gut genug. Das änderte sich erst, als die Gruppe um Eric Betzig am Janelia Research Campus des Howard Hughes Medical Institute für die Belichtung statt eines gewöhnlichen Gauss-Strahls einen sogenannten Bessel-Strahl verwendete. Ein Bessel-Strahl hat eine spezielle Wellenform, die sich mit der Ausbreitung nicht ändert – anders als das Licht eines Gauss-Strahls, dessen Querschnitt entlang der Ausbreitungsachse variiert. Damit ließ sich die Auflösungsgrenze auf 300 Nanometer drücken und auch das Lichtblatt-Mikroskop war in der subzellulären Dimension angekommen (Science 346: 1257998).
Abbildung schneller Prozesse

Die neue Technologie erhielt den Namen Lattice Lightsheet Microscopy. Sie ist so schnell, dass man mit ihr auch rasch ablaufende biologische Prozesse mikroskopisch verfolgen und abbilden kann. „Das war super, jeder wollte dann ein Lattice-Lightsheet-Mikroskop haben“, sagte vor drei Jahren Markus Sauer von der Universität Würzburg, Spezialist für höchstauflösende Mikroskopie, in einem Gespräch mit Laborjournal (LJ 10/2020 ab Seite 58 - Link).

Lattice-Lightsheet-Mikroskop, Malaria-Erreger (blau) dringen in Erythrozyten ein
Eine australische Gruppe beobachtete mit dem Lattice-Lightsheet-Mikroskop, wie Malaria-Erreger (blau) in Erythrozyten eindringen. Foto: WEHI

Nach kurzer Zeit konnte man LLS-Mikroskope in verschiedenen Set-ups kaufen. Diese verwendeten noch Tauchobjektive für Beleuchtung und Detektion, die von oben mit der Probe in Kontakt treten. Zudem war das Sehfeld recht klein und der Probenträger nur 5 x 5 Quadratmillimeter groß. „Dadurch kann es zur Kontamination der Probe während längerer Beobachtungszeiten kommen”, erklärt Ralf Wolleschensky von der Firma Zeiss.

Er ist einer von drei Physikern, die sich vor zehn Jahren daran machten, eine Lösung für dieses Problem zu finden. Wolleschensky, Jörg Siebenmorgen und Thomas Kalkbrenner setzten auf einen inversen Aufbau. Inverse Mikroskope sind Standardgeräte in der Zellbiologie. Man mikroskopiert von unten und kann die lebenden Zellen in üblichen Probenträgern präparieren.

„Das neue Lattice Lightsheet 7 (LLS 7), für das wir den Zukunftspreis bekamen, ist ein inverses Mikroskop. Man kann daher alle zellbiologischen Experimente mit lebenden Zellen, die man mit einem gewöhnlichen inversen Fluoreszenzmikroskop machen kann, einfach übertragen”, erklärt Wolleschensky. Es ist auch nicht wie früher nötig, die Proben in spezielle Medien einzubetten.

Der Aufbau erfordert aber eine besondere Optik. Da das zur Detektion verwendete Objektiv schräg unter der Probe sitzt, erfolgt auch die Abbildung schräg durch das Probengefäß. Aus physikalischen Gründen führt diese Anordnung zu schweren Bildfehlern, die Abbildung wird unscharf.

Die Tüftler bei Zeiss statteten das Mikroskop daher mit sogenannten Freiform-Objektiven aus. Im Gegensatz zu gewöhnlichen Linsen, die eine kugelförmige Oberfläche mit einheitlichem Radius entlang der optischen Achse haben, kann man Freiform-Objektive mit unterschiedlichen Radien gestalten. Die Oberflächen der Objektive sind also nicht kugelförmig geschliffen, sondern so, dass die Abbildungsfehler und Verzerrungen optisch korrigiert werden. Damit lassen sich auch die unterschiedlichen Dicken von Zellkultur-Gefäßen und Multiwellplatten kompensieren.

Know-how von Kollegen

„Die Technologie zur Herstellung der Freiform-Objektive stammt aus der Halbleiteroptik-Sparte von Zeiss. Wir konnten deshalb auf viel Know-how zurückgreifen“, so Wolleschensky. Abhängig von der Wellenlänge des verwendeten Lasers und den Fluorophoren erhält man gestochen scharfe Bilder mit einer maximalen Auflösung von 300 Nanometern.

Das Gerät ist noch nicht lange auf dem Markt. Es existieren aber schon erste hochkarätige Publikationen, die seinen Einsatz beschreiben (Nature Commun. 13: 4400). Forscher vom Walter & Eliza Hall Institute of Medical Research in Parkville (Australien) benutzten eine frühe Version des Instruments, um zu beobachten, wie sich der Malaria-Erreger Plasmodium falciparum vermehrt. In 4D – also dreidimensional und zeitaufgelöst – dokumentierten sie in hoch aufgelösten Bildern, wie Erreger aus infizierten Erythrozyten heraustreten, um sich zu vermehren. Die Forschergruppe beobachtete mikroskopisch den gesamten Prozess der Gametogenese – einem Teil des sehr komplexen Entwicklungszyklus des Parasiten. Das war vorher noch niemandem gelungen.

Die australische Gruppe stellte fest, dass Defekte im DPY19-Gen die Gametogenese stoppen. Die infizierten Blutzellen platzen in der Mücke nicht, was die Vermehrung der Plasmodien in diesem Wirt unterbindet. DPY19 ist eine Tryptophan-C-Mannosyl-Transferase im Endoplasmatischen Retikulum des Parasiten. Möglicherweise ergibt sich daraus ein neuer Therapieansatz.

Freisetzung von Viren im Blick

Auch am Zentrum für strukturelle Systembiologie in Hamburg ist ein mit drei Lasern ausgerüstetes LLS 7 im Einsatz. Felix Flomm et al. beobachteten damit die Freisetzung von humanen Cytomegalie-Viren aus infizierten Zellen (PLoS Pathog. 18(8): e1010575). Dank der geringen Phototoxizität der Technologie war es möglich, über eine Stunde lang alle 15 Sekunden 3D-Scans der Zellen zu machen.

Ein weiterer Anwender der ersten Stunde ist Sauer. Er „filmte” mit seinem LLS 7, wie sich CAR-T-Zellen über Krebszellen hermachen. „Das genaue Verständnis der Wechselwirkung zwischen CAR-T- und Tumorzellen ist für die Optimierung der personalisierten Immuntherapie hinsichtlich Effektivität und minimalen Nebenwirkungen von entscheidender Bedeutung“, wird Sauer in der Pressemeldung von Zeiss zitiert. „Hierbei kann insbesondere die Einzelmolekül-empfindliche Lattice-Lightsheet-Mikroskopie wichtige Beiträge leisten.“ In einer E-Mail bestätigt er Laborjournal, dass das inverse Lattice-Lightsheet-Mikroskop exakt das tue, was der Hersteller verspreche.

Technische Entwicklung bedeutet auch, dass man nach Optimierungen sucht. Auch das LLS 7 soll noch besser werden. Wolleschensky: „Wir fügen aktuell eine zweite Kamera hinzu, damit man noch mehr Fluorophore gleichzeitig beobachten kann. Und wir arbeiten daran, die bei dieser Mikroskopie anfallenden gigantischen Daten-Mengen noch schneller zu visualisieren und zu analysieren.” Ein Gigabite pro Sekunde produziert das LLS 7. Das ist viel, meinen Biologen. Doch wenn man Astro­physiker fragt, grinsen die nur: Sie müssen hundertmal so große Datenmengen abspeichern. Vielleicht sollte man diese Expertise „anzapfen”? „Da kann man sicher noch was lernen“, sagt Wolleschensky, gibt aber zu bedenken: „Die Astrophysiker verwenden teure Rechencluster zum Handling der Daten. Wir müssen da eher sicherstellen, dass es für den typischen Nutzer noch erschwinglich bleibt.”

Wer das neue Instrument ausprobieren will, muss gut situiert sein. Obwohl es mit 60 x 60 Zentimetern Standfläche viel kleiner ist, kostet es so viel wie ein Einfamilienhaus. Das Instrument ist voll automatisiert und muss nicht justiert werden. „Man muss kein Physiker sein, um dieses Mikroskop zu bedienen, das kann jeder Biologe”, beruhigt Wolleschensky.

Also anschalten, Probe rein, und es kann losgehen.