Editorial

Algen-Raffinerie - Olefin-Metathese in Algen

Andrea Pitzschke


(09.11.2022) Pflanzenöle werden von der chemischen Industrie mit der Olefin-Metathese zu zahlreichen Produkten weiterverarbeitet. Mit einem eingeschleusten Katalysator führen Algen die Reaktion bereits in der Zelle aus.

Algen sind wahre Kalorienbomben. Dass man obendrein die Fettzusammensetzung photoautotropher Mikroalgen je nach Kultivierungsbedingung und Algenart variieren kann, macht sie nicht nur als Quelle für erneuerbare Energie attraktiv. Ihr Potenzial geht weit über einen schnöden Heizwert hinaus. Algen können auch Grundstoffe für die chemische Industrie liefern, die daraus Polymere für alle möglichen Anwendungen synthetisiert, etwa Kunststoffe, Lacke oder Lösungsmittel. Der industriell etablierte Weg zu diesen Bausteinen führt über sogenannte Steamcracker, in denen langkettige fossile Kohlenwasserstoff-Verbindungen aufgebrochen und in kürzere Ketten umgewandelt werden. Doch das hierfür benötigte Erdöl ist knapp und teuer, und die Steamcracker-Öfen auf die hohen Crack-Temperaturen von teilweise über 1.000°C aufzuheizen, ist ein energetischer Alptraum.

Die chemische Industrie nutzt daher zunehmend auch Fette und Öle aus Pflanzen als Synthese-Vorstufen. 76 Megatonnen bezog sie 2019 aus Ölpalmen, gefolgt von Soja mit 57 Megatonnen (Angew. Chem. Int. Ed. Engl. 60: 20144-65). Pflanzen- und Algenzellen bunkern Fette in evolutionär konservierten hydrophoben Kompartimenten. Synonyme Bezeichnungen für diese sind Lipid Bodies, Lipid Droplets, Oil Bodies, Oleosome oder Sphärosome. Die Trennwand zum wässrigen Cytoplasma bildet eine Einzelschicht aus Triacylglyceriden – im Gegensatz zur Lipiddoppelschicht in anderen Organellen. Kultivierte Ölpflanzen enthalten im Wesentlichen Palmitin- und Stearinsäuren sowie Öl-, Linol- und Linolensäure (Semin. Cell Dev. Biol. 108: 82-93).

Noch mehr Fett in Mikroalgen

Mikroalgen könnten diese überschaubare Fettsäure-Palette erheblich erweitern. Doch so ressourcenschonend, herbizid- und pestizidfrei Algen die Fette auch synthetisieren mögen, so sehr machen die anschließenden Verarbeitungsschritte die gute Ökobilanz zunichte. Die Fette werden aus den Mikroalgenzellen extrahiert und landen in Reaktoren, in denen eine sogenannte Olefin-Metathese stattfindet. Bei dieser werden C-C-Doppelbindungen durch die Umverteilung von Alken-Fragmenten neu angeordnet. Netto findet eine Umalkylidenierung zweier Doppelbindungen statt. Als Katalysatoren dienen kompliziert aufgebaute Ruthenium-Komplexe, die bei der Jonglage der Kohlenwasserstoff-Gruppierungen mitspielen und die Aktivierungsenergie senken. Die Pioniere der Olefin-Metathese Yves Chauvin, Robert H. Grubbs und Richard R. Schrock erhielten 2005 für ihre Arbeiten den Chemie-Nobelpreis.

Theoretisch könnten Algenzellen die synthetisierten Fette im Zuge einer Olefin-Metathese aber auch selbst „weiterverarbeiten“. Bei der Ernte lägen dann die fertigen Reaktionsprodukte und nicht nur deren Vorstufen vor. Statt die Fette zu isolieren und mit dem Katalysator zusammenzuführen, müsste der Katalysator hierzu in die noch lebenden Zellen geschleust werden, genauer gesagt in die intrazellulären Lipidkörper. Einem Team der Universität Basel gelang die In-vivo-Olefin-Metathese mit künstlichen Metalloenzymen schon 2016, allerdings in E. coli und – das Substrat stammte auch nicht aus zelleigener Produktion (Nature 537: 661-65).

Natalie Schunck und ihr Doktorvater Stefan Mecking von der Universität Konstanz haben das Kunststück geschafft, die In-vivo-Olefin-Metathese auch in Algen durchzuführen. Für dieses ambitionierte Vorhaben waren einige Hürden zu überwinden. Die beiden mussten die Algen vor allem dazu bringen, den synthetischen Katalysator aufzunehmen und in ihren Fettstoffwechsel zu integrieren. Wie aber gelangt ein ziemlich exotischer Ruthenium-Katalysator in die Zelle, ohne die Membran zu demolieren? Wie findet er unbeschadet den Weg durch das hydrophile Cytosol zu den Lipidkörpern? Und funktioniert er auch zuverlässig, nachdem er sein Ziel erreicht hat?

In Konstanz diente Phaeodactylum tricornutum als Modellorganismus. Diese einzellige Mikroalge ist besonders robust, genügsam und leistungsfähig. Sie gehört zu den Diatomeen, die sich normalerweise mit einer Silicium-Hülle umgeben. Dieser Grenzwall würde Manipulationen an den Algen jedoch zusätzlich erschweren. P. tricornutum wächst aber auch in Silicium-freiem Medium und bildet in diesem keine Hülle aus. Damit hatten Schunck und Mecking schon mal die erste Hürde genommen.

Spezifische Motive, die Substanzen zielgerichtet zu bestimmten Organellen in der Algenzelle führen, existierten nur für Zellkern oder Mitochondrien, aber nicht für die Lipidkörper. Dennoch hielt die Werkzeugkiste für Algen schon das passende Instrument parat. Damit der Katalysator die Lipidkörper erreichen kann, muss er möglichst lipophil sein oder mit einem lipophilen Anhängsel versehen werden. Die Konstanzer verknüpften ihn daher mit dem lipophilen Fluoreszenzfarbstoff BODIPY (Bordifluorid-Dipyrromethen), der zum Färben von Lipidorganellen sowie für Messungen des Fettgehalts in Mikroalgen eingesetzt wird.

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Mikroalgen synthetisieren mit einem eingeschleusten Katalysator via Olefin-Metathese Vorstufen für die chemische Industrie. Illustration: AG Mecking

Farbstoff als Schleuser

Als Katalysatoren verwendeten sie die drei für die Olefin-Metathese bewährten Ruthenium-Komplexe HUC, HGII und HGII-NHC, die jeweils mit verschiedenen Carben-Liganden bestückt sind. Die drei Katalysatoren gelten als relativ tolerant gegenüber Modifikationen. Schunck und Mecking vermuteten daher, dass sie den BODIPY-Tag (BDP) ohne Einbußen der Funktionalität verkraften würden.

Mit dem BODIPY-Tag konnten die beiden zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Der Farbstoff transportiert die getaggten Katalysatoren (HUC-BDP, HGII-BDP und HGII-NHC-BDP) huckepack in die Zelle und liefert sie in den Fettdepots der Algenzellen ab. Das Forscher-Duo konnte unter dem Mikroskop aber auch den Weg der getaggten Katalysatoren verfolgen und ihre örtliche Anreicherungen in der Zelle beobachten. Ein Vorexperiment, bei dem sie isolierte Lipide der Alge in vitro mit dem Katalysator reagieren ließen, stimmte die beiden optimistisch. Prinzipiell waren die drei Katalysatoren mit oder ohne BDP-Tag Zell-kompatibel; in Vitalitätstests schnitten HUC und HGII-NHC aber etwas besser ab als HGII. Die Zellen verkrafteten selbst die höchste getestete Konzentration (80 µM) über eine Dauer von 24 Stunden problemlos. Unter dem UV-Mikroskop sahen die zwei, dass die Zellen die getaggten Katalysatoren ohne zusätzliche Hilfsmittel wie zum Beispiel Elektroporation aufnahmen und zu den Lipidkörpern transportierten. Die Zellen erschienen aufgrund der Fluoreszenz von Chlorophyll und BODIPY als rote Stäbchen mit ein bis zwei grünen runden Fettflecken.

Chemie-Fabrik in Fett-Tröpfchen

Jetzt musste der erfolgreich eingeschleuste Katalysator nur noch die Olefin-Metathese in Gang setzen. Mit einem Profluoreszenzfarbstoff, der sich bei erfolgreicher Olefin-Metathese (Ringschließung) in fluoreszierendes Umbelliferon verwandelt, testeten Schunck und Mecking die Reaktion. Um sicherzustellen, dass die beobachteten Fluoreszenzsignale tatsächlich von der katalysierten Olefin-Metathese innerhalb der Zellen stammten, wuschen sie die Algen gründlich in PBS, bevor sie das Substrat zugaben. Nach einer kurzen Anlaufphase begannen die Zellen unter dem UV-Mikroskop zu leuchten und erreichten ihre maximale Helligkeit nach zehn Stunden. Als effektivster Katalysator erwies sich HUC-BDP, der nur zu geringen Vitalitätsverlusten führte.

Die mit HUC-BDP, HGII-BDP oder HGII-NHC-BDP versehenen Mikroalgen wandelten aber auch ihre eigenen Fette via Olefin-Metathese um. P. tricornutum speichert in seinen Lipidkörpern vornehmlich die ungesättigten Fettsäuren Palmitoleinsäure (16:1), Ölsäure (18:1) sowie die mehrfach ungesättigte Omega-3-Fettsäure Eicosapentaensäure (20:5). Welche Produkte aus diesen im Verlauf der Olefin-Metathese entstanden, untersuchten die Konstanzer Forscher in Zellextrakten mit dem Gaschromatographen. Als Hauptreaktionsprodukte fanden sie mit beeindruckenden Umsatzraten von über 70 Prozent: 7-Tetradecen (A14:1), 7-Hexadecen (A16:1) sowie Diesterverbindungen von 9-Octadecensäure (DE18:1).

Damit dürfte das Potenzial von P. tricornutum als lebende Fabrik aber noch nicht erschöpft sein, denn ihre Lipidsynthese lässt sich gentechnisch manipulieren und in die gewünschte Richtung verschieben (Philos. Trans. R. Soc. Lond. B Biol. Sci. 372(1728): 20160407).