Editorial

Von Mäusen und Muskeln

Larissa Tetsch


(10.11.2023) BASEL: Regelmäßiges Ausdauertraining macht Muskeln leistungsfähiger und robuster. Aber woran liegt das eigentlich? Die Suche nach den molekularen Mechanismen dieser Anpassung hat Überraschendes zutage befördert.

Im Alter aktiv und unabhängig zu sein, wünscht sich wohl jeder. Aber was ist dafür grundsätzlich nötig, außer von Krebs, Herz-Kreislauf- und neurodegenerativen Erkrankungen verschont zu bleiben? „Gesunde Skelettmuskeln!“, ist Christoph Handschin vom Biozentrum der Universität Basel überzeugt. „Sarkopenie, der Muskelschwund im Alter, ist einer der wesentlichen Gründe dafür, dass gesunde Menschen in ihren Bewegungen unsicher werden, stürzen und auf Hilfe angewiesen sind.“ Der Zellbiologe muss es wissen, denn mit seinem Team erforscht der Professor für Pharmakologie die Plastizität des Skelettmuskels, also seine Anpassungsfähigkeit an verschiedene Bedingungen. „Wir wollen wissen, was im gesunden Skelettmuskel passiert, und das mit kranken Muskeln vergleichen“, fasst Handschin zusammen. Neben der Sarkopenie stehen deshalb auch Kachexie – krebsbedingter Muskelschwund – und genetisch bedingte Muskeldystrophien im Zentrum seines Interesses.

Maus auf dem Laufband.
Foto: AG Handschin

Editorial

Zu den Besonderheiten des Skelettmuskels gehört, dass er sich willentlich bewegen und somit trainieren lässt. „Seine Hauptaufgabe ist die Generierung von Kraft. Muskeln, die viel benutzt werden, verändern sich“, weiß der Schweizer und natürlich auch jeder sportlich Aktive: Untrainierte Muskeln ermüden schnell und leiden an Muskelkater. Regelmäßiges Training macht die Muskeln leistungsfähiger und ausdauernder. Das Team um Handschin nutzt diesen Umstand, um die Plastizität des Muskels zu untersuchen: „Je nachdem, ob wir Ausdauer- oder Krafttraining betrachten, kennen wir unterschiedliche Veränderungen.“ Auf Ausdauer trainierte Muskelfasern besitzen mehr Mitochondrien, betreiben vermehrt oxidativen Stoffwechsel und werden besser durchblutet. Krafttraining stimuliert dagegen die Muskelfasern, die schnell und kraftvoll kontrahieren können – der Muskel wird größer. „Über die molekularen Mechanismen dieser Anpassungen wusste man bislang aber nur wenig.“

Nur wenige Veränderungen

Dies ändert eine kürzlich veröffentlichte Studie der Baseler (Nat. Metab. doi.org/gsqds2), für die es ganz pragmatische Gründe gab. Erstautorin Regula Furrer erklärt: „In Longitudinalstudien mit Mäusen suchten wir nach molekularen Markern, um Trainingsfortschritt zu messen, und mussten uns dafür systematisch anschauen, wie sich trainierte und untrainierte Muskeln in der Genexpression unterscheiden.“ Ihre Mäuse absolvierten dafür ein vierwöchiges Ausdauertraining auf dem Laufband. Bereits innerhalb dieses Zeitraums verbesserten sich ihre Ausdauer und Laufleistung deutlich. Letztere ist eine Kombination aus vielen Faktoren, beispielsweise einer verbesserten Sauerstoffaufnahme in Lunge und Herz, einer besseren Bereitstellung von Energiesubstraten und einem schnelleren Abtransport von Abbauprodukten. „Training löst in vielen Organen Veränderungen aus“, fasst Handschin zusammen. „Auch neuronal passiert viel. Die Ansteuerung des Muskels verbessert sich und die Bewegungen werden ökonomischer.“ Ein Vergleich des Proteoms zeigte ebenfalls, dass sich der trainierte Muskel wie erwartet veränderte.

Immunhistochemie von Muskelfasern.
Muskelfasern werden je nach ihrer Ausstattung mit Mitochondrien und den Enzymen des aeroben Stoffwechsels unterteilt in: langsam zuckender, oxidativer Typ 1 (blau), schnell zuckender, oxidativer Typ 2a (gelb) und schnell zuckender, glykolytischer Typ 2b (grün). Ausdauertraining wandelt Typ-2b-Fasern in Typ-2a-Fasern um. Foto: AG Handschin

Eine Transkriptomanalyse offenbarte hingegen kaum Veränderungen zwischen untrainiertem und trainiertem Muskel. „Das war die erste große Überraschung unserer Studie“, erinnert sich Handschin. „Trainierte Muskeln sehen anders aus und funktionieren anders. Wir hatten erwartet, dass sich diese massive Umstellung auch im Transkriptom widerspiegelt.“

Da im ersten Teil der Studie langfristige Muskelveränderungen im Vordergrund standen, hatten die Forschenden darauf geachtet, die Proben in ausreichendem Zeitabstand zur letzten Trainingseinheit zu nehmen. Im nächsten Anlauf untersuchten sie die Skelettmuskeln ihrer Mäuse stattdessen direkt im Anschluss ans Laufbandtraining. „Jetzt sahen wir deutliche Unterschiede im Transkriptom“, fasst Furrer zusammen. „Allerdings waren sie anders, als wir erwartet hatten.“ Handschin holt zur Erklärung etwas weiter aus: „Nach dem gängigen Modell gibt es starke Veränderungen der Genexpression nach dem ersten Training, die durch Gewöhnungseffekte nach jedem Training kleiner werden. Dieser Effekt soll dann die massiven morphologischen Anpassungen erklären.“ Doch die Daten der Zellbiologen spiegelten das nicht wider. Stattdessen fanden sie große qualitative Unterschiede in den Transkriptomen. Trainierte und untrainierte Muskeln zeigen also ganz unterschiedliche Expressionsmuster.

Gruppenfoto AG Handschin.
Christoph Handschin (rechts), Regula Furrer (Mitte) und weitere Mitglieder der Arbeitsgruppe am Biozentrum der Universität Basel. Foto: AG Handschin

Epigenetisches Priming

Eine Möglichkeit, wie sich Genexpressionsprofile ändern, sind epigenetische Modifikationen. Und tatsächlich konnte das Team um Handschin und Furrer zeigen, dass die beobachteten Unterschiede in der Genexpression teilweise auf veränderten DNA-Methylierungsmustern beruhen. „Aber erneut überraschte es uns, wie wenig Änderungen wir fanden“, so der Gruppenleiter. Vor allem erwiesen sich Transkriptionsregulatoren, die im trainierten Muskel nach dem Training aktiver waren, als epigenetisch verändert. „Daraus schlussfolgerten wir, dass trainierte Muskeln epigenetisch regelrecht geprimt, also darauf vorbereitet werden, anders auf Stimuli zu reagieren als untrainierte Muskeln“, fasst Handschin zusammen.

Eine besondere Rolle scheint der Koaktivator PCG-1α einzunehmen, der an Transkriptionsfaktoren bindet und damit zur Koordination der Transkription beiträgt. Aktiv ist PGC-1α in Organen mit hohem Energiebedarf, also Skelett- und Herzmuskeln, braunem Fett, der Leber, der Niere und dem Gehirn. Stimuli, die in einem Verbrauch von Energie resultieren, aktivieren den Regulator – also beispielsweise Fasten in der Leber, Kälte in braunem Fett und Kontraktion im Muskel. „Die Kernfunktion von PGC-1α ist es, Mitochondrien effizienter zu machen und ihre Anzahl zu erhöhen. In jedem Organ hat er jedoch auch spezifische Funktionen“, so Handschin.

Für den Gruppenleiter ist PGC-1α indes kein Unbekannter, hat er doch seine Postdoktorandenzeit bei dessen Entdecker Bruce Spiegelman an der Harvard Medical School absolviert. Schon länger arbeiteten die Baseler mit transgenen Mäusen, die PGC-1α im Skelettmuskel überproduzieren. Da Letztere bereits ohne Training ausdauernder sind als Wildtyp-Mäuse, war klar, dass der Regulator eine Rolle für die Plastizität von Muskeln spielt. „Allerdings wird PGC-1α nach einem Training nur kurzzeitig vermehrt transkribiert“, schränkt der Zellbiologe ein. „Für die akute Anpassung ist es sicher wichtig, aber wir fragten uns, ob das auch für die langfristige Anpassung gilt.“

Die Muskelforscher schalteten deshalb das entsprechende PPARGC1A-Gen im Skelettmuskel aus und wiederholten ihre Trainingsversuche und Transkriptomanalysen. Die genveränderten Mäusen zeigten eine deutlich schlechtere Laufleistung, und ihre Muskeln keinen normalen Anpassungsprozess an das Ausdauertraining. „Das war der Beweis, dass auch ein transienter Faktor extrem wichtig für die chronische Anpassung sein kann“, interpretiert Furrer das Ergebnis.

Unerwartet war, dass die Knockout-Mäuse ihre Laufleistung trotz Einschränkung verbesserten. Nach vierwöchigem Training erreichten sie das Niveau der untrainierten Wildtyp-Mäuse. Handschin sieht das als Zeichen dafür, wie wichtig es evolutionär ist, dass sich Muskeln auch unter suboptimalen Bedingungen an Beanspruchung anpassen können. Seiner Meinung nach wurde bisher unterschätzt, wie komplex diese molekularen Mechanismen sind und wie viele Alternativen bei Bedarf einspringen können. Sowohl bei den Tieren mit vermehrter PGC-1α-Produktion als auch bei den Knockout-Mäusen war das epigenetische Muster im Vergleich zum Wildtyp übrigens verändert. „Das zeigt uns, dass der Regulator irgendeine direkte oder indirekte Rolle dabei spielt, epigenetische Veränderungen auszulösen. Wie das funktioniert, möchten wir als Nächstes herausfinden.“

Andere Zelltypen einbeziehen

Unterm Strich ist die Geschichte aber noch komplexer, denn Muskeln bestehen nicht nur aus Muskelzellen. Da sie Muskelhomogenate verwendeten, stammt laut Handschin sogar bis zur Hälfte aller Zellkerne in ihren Transkriptomanalysen nicht aus Muskelzellen. Zukünftig wollen die Baseler entschlüsseln, welche Zelltypen welchen Anteil der Veränderungen besteuern. „Was passiert mit verschiedenen Zellpopulationen, wenn wir trainieren, und wie interagieren diese Zellpopulationen miteinander?“ formuliert Handschin ihre Fragestellung und vermutet, dass gerade das Zusammenspiel verschiedener Zelltypen über die Trainingsanpassung entscheidet. Als wichtigste Interaktion erachtet der Forscher dabei die Kommunikation zwischen Muskeln und den sie ansteuernden Nervenzellen.

Leider sei das aber nicht ganz einfach zu untersuchen, weil der größte Teil der Motoneurone im Rückenmark liegt. „Durch eine integrierte Analyse von Rückenmark und Muskeln möchten wir herausfinden, wie sich beide gegenseitig beeinflussen“, erklärt der Gruppenleiter. „Interessanterweise verändern sich in transgenen Mäusen, in denen PGC-1α nur im Muskel hochreguliert ist, auch die Motoneuronen. Es muss also irgendeine Art Rückkopplung geben.“ Außerdem wollen die Muskelforscher ihre publizierten Trainingsversuche mit betagten Mäusen wiederholen, um zu analysieren, wie Altern die Muskelreaktionen verändert.

Möglicherweise lassen sich ihre neuen Erkenntnisse aber auch schon kurzfristig für Sportler nutzen, etwa zur Entwicklung von Biomarkern für den Trainingsfortschritt. „Allerdings müssen wir dazu Marker finden, die im Blut nachweisbar sind“, räumt Handschin ein – eine regelmäßige Muskelbiopsie würde viele Sportler sicherlich abschrecken.

Gibt es vielleicht noch einen konkreten Trainingstipp, den der Muskelforscher erwähnen möchte? Die Antwort kommt prompt. „Wer Sport machen will, sollte sich etwas aussuchen, was Spaß macht. Sonst bleibt man nicht lange dabei.“ Gerade in fortgeschrittenem Alter sei Sport das beste Mittel, um Muskelschwund vorzubeugen und fit zu bleiben. „Studien haben gezeigt, dass man selbst im Alter noch Muskeln aufbauen kann“, so Handschin. Das ist doch mal eine gute Nachricht!