Editorial

Klein und gemein

Larissa Tetsch


(15.05.2023) LEIPZIG: Plastikpartikel finden sich in allen Ökosystemen der Welt. Auch die beliebte PET-Flasche trägt dazu bei. Wie PET-Nanopartikel Fisch-Embryonen beeinflussen, untersuchten Leipziger Forscher – mit erschreckendem Ergebnis.

Flaschen aus Polyethylenterephthalat (PET) sind eine Errungenschaft unserer Zivilisation: Leichter als Glas und „unkaputtbar“, billig in der Herstellung und vielseitig einsetzbar. Doch wo Licht ist, findet sich auch Schatten. PET-Flaschen zerfallen in kleinste Partikel, die als Mikro- oder Nanoplastik über weite Strecken transportiert werden und sich über die Nahrungskette in Lebewesen anreichern können. Was machen sie mit der Tierwelt inklusive dem Menschen?

Diese Frage wollten Forschende um Alia A. Matysik vom Institut für Medizinische Physik und Biophysik der Universität Leipzig beantworten und nutzten dazu den Zebrabärbling (Danio rerio) alias Zebrafisch. „Ihre Embryonen sind ein beliebtes Modell für Toxizitätsstudien und die Modellierung menschlicher Krankheiten“, erklärt Matysik, die unter dem Namen A. Alia publiziert. „Gründe hierfür sind ihre geringe Größe, schnelle Entwicklung, optische Transparenz, genetische Manipulierbarkeit und molekulare Ähnlichkeit zum Menschen.“ Unterstützung bei der technisch aufwändigen Studie erhielt sie von ihrem Ehemann Jörg Matysik, der als Professor für Analytische Chemie auf Molekülspektroskopie spezialisiert ist (Sci Rep. doi.org/grwknt). „Ziel unserer Arbeit war es, zum ersten Mal die Toxizitätsmechanismen der Exposition mit PET-Nanopartikeln bei intakten Zebrafisch-Larven systemweit zu erfassen, ohne invasiv vorgehen zu müssen“, fasst die Biophysikerin zusammen.

Editorial

Jedes Jahr gelangen zwischen 4,8 und 12,7 Millionen Tonnen Plastikmüll in die Ozeane und landen selbst in der Tiefsee (Sci Total Environ. doi.org/gqg7cj) und den Polregionen (The Cryosphere. doi.org/gp9n5j). Als Mikro- oder Nanoplastik finden sie über die Nahrung, das Trinkwasser, die Atemluft und sogar die Haut ihren Weg in den Körper von Tieren. Was ein durch unverdauliches Plastik verstopfter Magen für einen Flohkrebs oder eine Fischlarve bedeutet, lässt sich leicht ausmalen. Aber infolge chemischer Zusätze kann aufgenommenes Plastik auch in Kleinstmengen schädlich sein.

Nanopartikel aus Polystyrol, aus dem unter anderem Joghurtbecher bestehen, sind hinsichtlich ihres toxischen Potenzials schon gut untersucht. Für PET-Nanopartikel gilt das jedoch nicht, obwohl PET viel häufiger als Polystyrol verwendet wird. Dafür gibt es laut Matysik einen praktischen Grund: „Mikro- und Nanoplastik aus PET sind für Forschungszwecke nicht kommerziell erhältlich; und es gibt auch keine standardisierten Methoden zu ihrer Herstellung.“ Dabei ist aus anderen Studien bekannt, dass PET-Nanopartikel schädliche Auswirkungen auf Meerestiere wie Flohkrebse, Ruderfußkrebse und Fische haben, sagt Matysik. „Wir wissen auch, dass durch PET-Nanopartikel die Belastung mit reaktiven Sauerstoffspezies zunimmt. Ob und wie die Nanopartikel aber in den zellulären Stoffwechsel eingreifen, war bisher nie systematisch untersucht worden.“

Auswirkungen von PET-Nanopartikeln auf die frühe Entwicklung von Zebrafisch-Embryonen
Die verheerenden Auswirkungen von PET-Nanopartikeln auf die frühe Entwicklung von Zebrafisch-Embryonen sind bereits 72 Stunden nach Befruchtung sichtbar: Je mehr PET vorhanden ist (von links nach rechts: 0, 10, 50 und 100 ppm), umso ausgeprägter sind Skoliose-ähnliche Fehlbildungen der Wirbelsäule. Illustr.: Nach Abbildung 3 von: Sci Total Environ. doi.org/gqg7cj.

Methoden-Premiere

Besonders an Matysiks Projekt ist, dass es nicht nur die Auswirkungen von PET-Nanopartikeln auf Embryonalentwicklung und Verhalten der Zebrafische thematisierte, sondern auch auf deren Metabolom, also die Gesamtheit der Stoffwechselprodukte einer Zelle. Dazu nutzte das Forschungsteam eine Variante der Kernspinresonanzspektroskopie (NMR), die nicht nur lösliche Moleküle, sondern auch intakte Zellen und Gewebe nicht-invasiv untersuchen kann: „Unser Hochfeld-NMR-Spektrometer ist mit einem spezialisierten Rotor ausgestattet, der die Probe enthält“, beschreibt Matysik das als Magic-Angle-Spinning (MAS)-NMR bezeichnete Verfahren. „Der Rotor dreht sich im NMR-Magneten mit hoher Geschwindigkeit, was Wechselwirkungen reduziert, die ansonsten NMR-Signale in Feststoffen verbreitern. Die resultierenden hochauflösenden Spektren ermöglichen es uns, die verschiedenen in einer Probe vorhandenen Metaboliten zu identifizieren.“ Tatsächlich war Matysiks Team laut der Wahl-Leipzigerin die erste Arbeitsgruppe, die MAS-NMR für das metabolische Profiling intakter Zebrafisch-Embryonen optimierte und nun einsetzt, um deren toxische Belastungen zu erforschen.

Deutliche Auswirkungen

Da sich PET-Nanopartikel nicht kaufen lassen, stellten die Forscher eine stabile Suspension runder Kügelchen mit einem durchschnittlichen Durchmesser von 70 nm selbst her. Um deren Einfluss auf die Embryonalentwicklung der Zebrafische zu untersuchen, gaben sie die Kügelchen sechs Stunden nach Befruchtung zu den Fischeiern ins Wasser.

Alia A. Matysik vom Leipziger Institut für Medizinische Physik und Biophysik
Alia A. Matysik vom Leipziger Institut für Medizinische Physik und Biophysik zeigt mit ihrer Arbeitsgruppe, welche Auswirkungen Kunststoffabfälle auf Lebewesen haben. Foto: AG Matysik

Natürlicherweise schlüpfen Zebrafische nach zwei Tagen. Insgesamt beobachteten die Leipziger ihre frisch geschlüpften Fischlarven bis zu 96 Stunden nach Befruchtung. Ihr Fazit: Niedrige PET-Konzentrationen von bis zu 50 ppm (parts per million) beeinflussen weder die Schlupfrate, die in unbelastetem Wasser bei nahezu 100 Prozent lag, noch die Überlebensfähigkeit der Larven. Bei Konzentrationen von 100 ppm schlüpften dagegen nur noch zwei Drittel der Larven, bei 200 ppm sogar nur noch ein Drittel. Auch die Überlebensrate der geschlüpften Embryos sank im Vergleich zum Kontrollansatz von 90 Prozent auf 64 Prozent bei 100 ppm und 42 Prozent bei 200 ppm PET.

Warum? Zum einen zeigte sich unterm Mikroskop, dass sich die Nanopartikel auf der Oberfläche der Eihülle, dem Chorion, ansammelten. Durch dessen Poren erfolgen normalerweise Gasaustausch und Nährstofftransport der Embryonen. Möglicherweise stören die Nanopartikel diese überlebenswichtigen Prozesse. Zum anderen muss die Eihülle vor dem Schlüpfen von einem Enzym abgebaut werden, das Schlüpfdrüsenzellen auf der Oberfläche der Embryonen produzieren. „Dortige PET-Nanopartikel könnten die Freisetzung dieser sekretorischen Chorinase durch die Schlüpfdrüsen jedoch hemmen oder die Ausbreitung des Enzyms über das Chorion stören“, spekuliert Matysik. Außerdem wies im belasteten Wasser fast jeder zehnte Embryo Fehlbildungen auf – insbesondere verkrümmte Wirbelsäulen – und bewegte sich weniger als Tiere der Kontrollgruppe. Fluoreszenzmarkierte Partikel ließen sich bei ihnen im Verdauungstrakt, aber auch in der Leber, in Nieren und im Gehirn nachweisen.

Teufelskreis der Toxizität

Eine folgende Metabolom-Untersuchung gab Aufschluss darüber, welche Stoffwechselwege das Plastik beeinträchtigte. Dafür setzte Matysiks Arbeitsgruppe Larven erst nach dem Schlüpfen für 24 Stunden in belastetes Wasser, um Auswirkungen von Schlupfverzögerungen auszuschließen. Erneut zeigten sich deutliche Unterschiede zwischen belasteten und unbelasteten Tieren. In ersteren beobachteten die Forscher weniger Valin, Leucin und Isoleucin. „Diese verzweigtkettigen Aminosäuren regeln den Lipidstoffwechsel, indem sie den Abbau von Fetten stimulieren, die Synthese neuer Lipide hemmen und die Glucoseaufnahme und -verwertung regulieren“, erklärt Matysik. „Dafür modulieren sie die Aktivität von Schlüsselenzymen, die Fette abbauen und Vorläufermoleküle für die Lipidsynthese produzieren.“ Ihren Rückgang bringen die Wissenschaftler mit einer Funktionsstörung der Leber in Zusammenhang, was auch damit in Einklang steht, dass belastete Larven mehr aromatische Aminosäuren sowie Trimethylamin-N-oxid (TMAO) – also Biomarker für Leberschäden – enthielten. Auch der niedrige Glutathion­spiegel belasteter Larven kann laut Matysik auf eine geschädigte Leber zurückzuführen sein. „Glutathion ist ein wichtiges Antioxidans, das in der Leber produziert wird und an der Entgiftung schädlicher Substanzen beteiligt ist“, sagt die Forscherin. „Fehlt es, kann oxidativer Stress resultieren, der Zellmembranen und Organe schädigt.“ Als Folge büßen die Mitochondrien ihre Funktionsfähigkeit ein, und es steht weniger Energie für Synthesen und Reparaturprozesse zur Verfügung.

Auf einen gestörten Energiestoffwechsel sowie anaerobe Glykolyse deuteten außerdem ein Mangel an NADH, ATP, Glucose und Acetat sowie ein Überschuss an Lactat hin, die die NMR-Spektroskopiker in belasteten Tieren verzeichneten. Schließlich wiesen die Forscher dort, wo Larven vermehrt Nanopartikel einlagerten – also vor allem im Darm, in der Leber und in der Niere – mithilfe fluores­zierender Sonden auch noch vermehrt reaktive Sauerstoffverbindungen nach.

Das Gesamtbild ist also düster: PET-Partikel hemmen bereits die Embryonalentwicklung der Zebrafische und erschweren ihr Schlüpfen. Sie reichern sich in vielen Organen der Larven an und erzeugen oxidativen Stress, dem die Tiere wenig entgegenzusetzen haben, weil ihre geschädigte Leber kaum Glutathion bildet. Die reaktiven Sauerstoffspezies zerstören Zellmembranen, wodurch der Energiestoffwechsel der Fische zum Erliegen kommt.

Als Nächstes wollen die Leipziger untersuchen, ob die Partikel auch das Gehirn der Zebrafische beeinflussen. Zudem wollen sie chemische Zusätze, die für ihre Toxizität bekannt sind, in ihren Fokus rücken. „Unsere Ergebnisse ermöglichen ein tieferes Verständnis der toxischen Wirkungen von PET-Nanopartikeln“, fasst Matysik zusammen. „Diese Informationen sind wichtig für den Schutz der menschlichen Gesundheit, den Erhalt der Umwelt, die Sensibilisierung der Verbraucher wie auch für Regulierungsentscheidungen.“ Denn sind Nanopartikel erst einmal im Ökosystem angekommen, machen es ihre Stabilität und geringe Größe nahezu unmöglich, sie wieder herauszukriegen. Die beste Alternative ist nach wie vor, Plastikmüll von vornherein zu vermeiden.

Symbolbild, wie Plastikmüll in dier Umwelt gelangt
Illustr.: Rosy/Pixabay