Editorial

Das (m)TOR zur Resistenz

Anna Sternberg und Jana Schieren


(09.03.2023) FRANKFURT a.M.: Bei der Diagnose Darmkrebs ist Chemotherapie meist die einzige Behandlungsmöglichkeit. Doch oft werden Tumore unempfindlich gegenüber verabreichten Therapeutika. Was, wenn ihre Resistenz gar nicht das Produkt eines passiven Selektionsdrucks ist, sondern aktiv von Tumoren ausgelöst wird?

Die Arbeitsgruppe des Tumorbiologen Florian Greten am Georg-Speyer-Haus in Frankfurt am Main entdeckte den Resistenzmechanismus durch Zufall: Um das Wachstum und die Metastasierung malignen Gewebes im Mausmodell zu charakterisieren, exprimierten die Onkologen Diphtherietoxin-Rezeptoren spezifisch in den Stammzellen von Tumoren. Sobald sie den Mäusen das Toxin injizierten, lösten die pluripotenten Vorläuferzellen zwar ihre eigene Apoptose aus und die Tumore wuchsen nicht weiter. Aber das Ausschalten der Stammzellen ließ die Geschwüre wider Erwarten auch nicht schrumpfen. „Wir haben uns daraufhin die Frage gestellt, was im restlichen Tumorgewebe passiert, nachdem die Krebsstammzellen abgetötet wurden“, erzählt Mark Schmitt, der Erstautor der Studie. Die Onkologen deckten auf: Nach Apoptose der Stammzellen ist im restlichen Tumorgewebe die Aktivität eines bestimmten Enzyms hochreguliert – des „mammalian target of rapamycin“ (mTOR). Die auch als FK506-bindendes Protein 12-Rapamycin-assoziiertes Protein 1 (FRAP1) bekannte Kinase steht am Anfang einer Kaskade von Signalwegen, die zum Überleben von Zellen beitragen.

Tumorzellen im Darminneren
Illustr.: Giovanni Cancemi/AdobeStock

Editorial
Über Organoide in die Maus

Die Frankfurter Forschungstreibenden wollten daraufhin genauer wissen, welche Rolle mTOR in Tumoren spielt und warum es hochreguliert wird. Zusätzlich zur Diphtherietoxin-Behandlung hemmten sie also den mTOR-Signalweg durch Gabe von Rapamycin. Ein Schlüsselereignis für die Onkologen: Gemeinsam führten Toxin und mTOR-Inhibitor zu einem massiven Zelltod nicht nur der Krebsstammzellen, sondern im gesamten Tumorgewebe. Bereits wenige Tage nach Behandlungsbeginn waren die Krebsgeschwüre fast vollständig verschwunden (Nature, doi.org/gq8zs8).

Mark Schmitt, inzwischen Nachwuchsgruppenleiter am Pharmakologischen Institut der Universität Marburg
Mark Schmitt, Nachwuchsgruppenleiter am Pharmakologischen Institut der Universität Marburg, warb Ende 2022 erfolgreich eine Drittmittelförderung durch den World Cancer Research Fund (WCRF) ein. Foto: Eliana Stanganello

Lassen sich diese Modellbefunde in die Klinik übertragen? Die Onkologen kultivierten malignes Darmgewebe dreier Frankfurter Krebspatienten in einer gelartigen, extrazellulären Matrix, in der sich Tumorzellen zu luftballonartigen Zellverbänden, sogenannten Organoiden, organisieren. Entscheidend dabei: Organoide behalten viele physiologische Eigenschaften ihres Ursprungsgewebes bei und erlauben es somit, molekulare Signalketten in 3D-Zellkultur zu untersuchen. Tatsächlich erwies sich ein Großteil der Tumor-Organoide als resistent gegenüber einer Chemotherapie mit 5-Fluoruracil (5-FU), das seit Jahrzehnten als Zytostatikum vor allem bei kolorektalen Karzinomen eingesetzt wird. Eine gleichzeitige Gabe von 5-FU und dem mTOR-Inhibitor Rapamycin ließ die Krebs-Organoide jedoch absterben. Um ihre In-vitro-Erkenntnisse im lebenden Organismus zu verifizieren, transplantierten die Onkologen daraufhin humane Tumorzellen in Mäuse. Auch dieses Mal schrumpfte das Tumorgewebe bei Doppelbehandlung aus Chemotherapie und mTOR-Inhibitor um mehr als die Hälfte. Das Überleben der Tumore hing also von mTOR ab. Was aber induzierte das Überlebenssignal?

Parakrine Detektivarbeit

Die Forschungstreibenden um Schmitt vermuteten, dass sterbende Tumorzellen ihren Nachbarzellen Signale senden, um wenigstens deren Überleben zu sichern. Also sammelten sie das Nährmedium mit 5-FU behandelter Organoide und kultivierten unbehandelte Krebs-Organoide darin. Wie von den Frankfurtern erwartet, aktivierte das Nährmedium auch deren mTOR-Signalweg. Was nun folgte, war mühsame Puzzlearbeit: Die Onkologen gaben alle erdenklichen parakrinen Faktoren – sogenannte „danger-associated molecular patterns“ (DAMPs) – einzeln auf die Tumorzellen und checkten sie auf Aktivierung des mTOR-Signalwegs. DAMPs sind endogene Gefahrensignale, die verletzte oder apoptotische Zellen in den extrazellulären Raum ausschütten, um eine Immunantwort im betroffenen Gewebe zu induzieren. Das Team beobachte, dass unter vielen untersuchten DAMPs einzig Adenosintriphosphat (ATP) denselben Effekt wie die Kulturüberstände auslöste. Bereits eine 100-nanomolare ATP-Konzentration reichte aus, um die Überlebensmaschinerie benachbarter Tumorzellen erfolgreich in Gang zu setzen.

Arbeitsgruppe um Krebsforscher Florian Greten
Wissen um die Wichtigkeit von Teamarbeit: die Arbeitsgruppe um Krebsforscher Florian Greten (1.v.l.) und Mark Schmitt (2.v.l.) Foto: AG Greten

Die Suche nach den Rezeptoren, die das ATP-Signal an die Nachbarzellen weiterleiten, gestaltete sich dann einfacher als gedacht. Blockierte Schmitts Arbeitsgruppe ATP-bindende Purinozeptoren (P2R) in Gegenwart von 5-FU, starben auch die benachbarten Tumorzellen. Doch welcher der 15 Rezeptoren der P2R-Familie übermittelte das Überlebenssignal? „Ich hatte schon befürchtet, dass es zehn oder zwölf unter ihnen sind, die das Signal aufnehmen könnten“, berichtet Schmitt. Doch glücklicherweise exprimieren Kolon-Tumorzellen nur einen P2-Rezeptor stark auf ihrer Oberfläche – den äußerst sensitiven P2X4, der bereits auf nanomolare ATP-Mengen reagiert. Und tatsächlich konnte die Zugabe von ATP P2X4-Knockdown-Zellen nicht mehr aktivieren. Unter 5-FU-Behandlung starb endlich das gesamte Tumorgewebe ab.

ATP als Überlebensbote

Zwingt eine Chemotherapie Tumore in die Apoptose, nutzen sterbende Zellen also ATP als Botenstoff, um über P2X4-Rezeptoren den mTOR-Signalweg ihrer Nachbarzellen anzuschalten. „Unterbindet man dieses Überlebenssignal, stirbt jede Zelle im Tumor. Das bedeutet aber auch, es muss ein weiteres Signal geben, das überhaupt versucht, die Zellen zu töten“, erklärt Schmitt. Bei der Analyse weiterer DAMPs identifizierten die Wissenschaftler reaktive Sauerstoffspezies (ROS) für diese Rolle.

Mechanismus der Chemotherapie-Resistenz von Tumorzellen
Das Chemotherapeutikum 5-Fluoruracil (5-FU) zwingt Tumorzellen in die Apoptose. Sterbende Zellen schütten reaktive Sauerstoffspezies (ROS) und ATP aus. Während ROS in benachbarten Tumorzellen eine pro-apoptotische Signalkaskade aktivieren, bindet ATP an P2X4-Rezeptoren und verhindert über mTOR so die Apoptose. Der Tumor wird resistent gegenüber pro-apoptotischen Stimuli. Illustr.: AG Greten

Der Onkologe fasst zusammen: „Durch sterbende Zellen werden im Tumor ROS produziert. Eigentlich sollten alle Tumorzellen diesem Signal unterliegen und absterben. Die Nachbarzellen erhalten jetzt aber noch zusätzlich ATP als Warnsignal, das sie den mTOR-Signalweg anschalten lässt.“ Als Folge entgeht das Tumorgewebe der ROS-induzierten Apoptose.

Während Mark Schmitt inzwischen als Nachwuchsgruppenleiter an die Philipps-Universität Marburg gewechselt ist, hofft sein ehemaliger Frankfurter Chef Florian Greten, diese Erkenntnisse in Zukunft auf klinischer Ebene auf Tumore anwenden zu können, gegen die herkömmliche Chemotherapien nichts mehr ausrichten. Vielleicht reduziert ein inhibierter P2X4 als übergeschalteter Rezeptor der mTOR-Signalkaskade ja wenigstens Rapamycin-assoziierte Nebenwirkungen, so seine Hoffnung. Außerdem konnte Gretens Arbeitsgruppe mittlerweile die gleichen tumorschrumpfenden Effekte neben Dickdarm-Karzinomen auch in Pankreas-Karzinomzellen beobachten.

Noch nicht am Ziel

Stellt all das einen Durchbruch in der Krebstherapie dar? „Auf Konferenzen ist Krebs laut mancher Redner quasi geheilt. Doch die Realität sieht anders aus… “, räumt Schmitt ein, der die Bezeichnung „Durchbruch“ lieber vorsichtig verwendet. Denn trotz vielfältiger Forschungsansätze stagniert der Therapiefortschritt bei vielen Krebsarten schließlich seit Jahrzehnten. Auch wenn Tumore hohe Level an ATP-bindenden Rezeptoren wie P2X4 exprimieren, ist der Weg in die Klinik noch lang. Als entscheidend erachtet Schmitt im Moment Langzeitexperimente im Mausmodell, um aufzuklären, ob Tumore nach Therapieende vielleicht doch weiterwachsen. Auch der Mechanismus, wie das P2X4-Signal mTOR überhaupt aktiviert, steht auf seiner Versuchsagenda. Möglicherweise finden sich hier noch weitere Ansatzpunkte für Medikamente, damit die Strapazen einer Chemotherapie in Zukunft für keinen Patienten umsonst sind.