Editorial

Eine Ausnahme kommt selten allein

Tobias Ludwig


(07.02.2023) DÜSSELDORF: Die Forschenden um Eva Nowack zeigen, dass der Flagellat Angomonas seinen bakteriellen Endosymbionten stärker vereinnahmt als bisher vermutet.

Plastiden und Mitochondrien versorgen Pflanzen- beziehungsweise Tierzellen mit Energie. Ursprünglich handelt es sich bei den „kleinen Organen“ oder Organellen um eingefangene Bakterien, die – so sagt es die Endosymbionten-Theorie – aus Archaeen Eukaryonten machten. Im Laufe der Evolution verwoben sich der bakterielle und der Wirtsstoffwechsel immer mehr, sodass der Endosymbiont Teil der Wirtszelle wurde.

Flagellat Angomonas deanei beherbergt das Bakterium Candidatus Kinetoplastibacterium crithidii als Endosymbionten
Angomonas deanei – ein Flagellat aus der Familie der Trypanosomatidae – parasitiert im Verdauungstrakt von Insekten. Seine Besonderheit: Jede Zelle beherbergt das Bakterium Candidatus Kinetoplastibacterium crithidii als Endosymbionten. Magenta: Ca. K. crithidii. Cyan: Mitochondriales Genom und Zellkern. Foto: Anay Maurya/HHU

Eine solche Organellogenese fand nur zweimal in der Geschichte der Evolution statt, und zwar erst bei den Mitochondrien vor zwei Milliarden Jahren und etwas später bei den pflanzlichen Plastiden – so die Lehrmeinung (Am J Bot, doi.org/fb9wrt). Die einmal entstandenen Plastiden verbreiteten sich dann über sekundäre Symbiosen. „Nach dieser Theorie gehen die Plastiden aller Pflanzen und Algen auf ein einmaliges Ereignis zurück“, sagt Eva Nowack, Professorin für Mikrobielle Zellbiologie an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. In der neuesten Publikation ihrer Forschungsgruppe zeigen Erstautoren Jorge Morales und Georg Ehret jedoch, dass eine Ausnahme vielleicht die Regel ist.

Ein zweimaliges Ereignis?

Zu den Endosymbionten fand die Mikrobiologin durch Zufall. „Während meiner Doktorarbeit bei Michael Melkonian in Köln habe ich zum ersten Mal mit einem Endosymbionten-System gearbeitet“, erinnert sich Nowack. Damals beschäftigte sie sich mit der Amöbe Paulinella. Die Vertreter dieser Gattung beherbergen Chromatophoren, also aus Cyanobakterien hervorgegangene, photosynthetisch aktive Organellen. „Ich habe mich der Frage gewidmet, ob diese Organellen mit den Chloroplasten der Pflanzen verwandt oder unabhängig entstanden sind“, sagt Nowack. Ihr Ergebnis: Die Chromatophoren von Paulinella sind nicht mit den Ur-Plastiden verwandt, sondern durch eine weitere Organellogenese entstanden (Protist, doi.org/ddcc5w). Nowacks Resultate stürzten also die bisherige Hypothese und motivierten sie, sich intensiver mit Endosymbionten zu beschäftigen.

Schemazeichnung der Entschlüsselung, wie der Wirt seinen Symbionten kontrolliert
A. deanei reguliert die Interaktion mit seinem Endosymbionten dadurch, dass es Proteine in Ca. K.chrithidii sezerniert. Welche das sind, klärt die Arbeitsgruppe von Eva Nowack durch Massenspektrometrie subzellulärer Fraktionen und Fluoreszenzmikroskopie auf. Illustr.: Eva Nowack

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Die Möglichkeiten des Paulinella-Systems sind laut der Mikrobiologin jedoch begrenzt: „Die Zellen wachsen langsam und teilen sich nur einmal pro Woche. Das ist für einen Einzeller relativ problematisch.“ Zudem sei es bisher unmöglich, die Amöbe gentechnisch zu manipulieren, sagt sie. Also suchte Nowack nach einer Alternative – und fand sie in dem begeißelten Einzeller Angomonas deanei. Der zur Gruppe der Trypanosomatidae gehörende Flagellat ist ein obligater Parasit und lebt im Verdauungstrakt von Insekten. Zudem beherbergt er einen mit den β-Proteobakterien verwandten Endosymbionten namens Candidatus Kinetoplastibacterium crithidii. „Es war bereits bekannt, dass Angomonas einen Endosymbionten in sich trägt, der den Wirt mit Nährstoffen versorgt“, sagt Nowack. „Da sich in jeder Angomonas-Zelle auch nur ein Endosymbiont befindet, ging ich davon aus, dass die Integration weit fortgeschritten ist.“ Denn normalerweise finden sich in solchen Systemen dutzende bis hunderte Endosymbionten pro Wirtszelle.

Organell in statu nascendi

So könnte das Angomonas-System ähnlich wie Paulinella ein intermediäres Stadium zwischen einfachen Endosymbionten und völlig integrierten Organellen darstellen. „Was einen Endosymbionten zu einer Organelle macht, ist allerdings nicht eindeutig definiert. Organellen sind jedoch so in die Wirtszelle integriert, dass sie von wirtseigenen Proteinen abhängen“, fasst die Mikrobiologin zusammen.

Nach genau solchen Proteinen suchte ihre Arbeitsgruppe nun in Angomonas deanei – und wurde fündig (Curr Biol, doi.org/grdzzj): „Wir konnten sieben Endosymbionten-assoziierte Proteine, kurz ETPs, identifizieren.“ Dafür brachen die Düsseldorfer Angomonas-Zellen auf und trennten den Endosymbionten mittels Iodixanol-Dichtegradientenzentrifugation von seinem Wirt ab. In der Endosymbionten-Fraktion suchten die Mikrobiologen anschließend massenspektrometrisch nach Wirtsproteinen. „Vierzehn mögliche Kandidaten-ETPs fusionierten wir dann mit dem grün fluoreszierenden Protein (GFP) und untersuchten ihre subzelluläre Lokalisation in Angomonas“, sagt Nowack. „Für sieben Kandidaten konnten wir eine spezifische Lokalisation am Endosymbionten verifizieren.“ Unter ihnen fand sich erneut ETP1, das die Arbeitsgruppe bereits 2016 identifiziert hatte und ihnen jetzt als interne Kontrolle und Fluoreszenzmarker diente (BMC Evol Biol, doi.org/f9b65r).
Wer sich teilt, bestimmt Wirt

Als besonders interessant stellten sich ETP2, ETP7 und ETP9 heraus. Alle drei Proteine sind ringförmig um die Zellteilungsstelle des Endosymbionten angeordnet, was stark an Mitochondrien und Plastiden erinnert. „Kern-kodierte Proteine steuern also die Teilung des Organells“, schlussfolgert Nowack. Dafür spricht auch, dass ETP9 eine starke Sequenzähnlichkeit zu Dynamin-ähnlichen Proteinen (DLP) aufweist, die in der Lage sind, Membranen abzuschnüren – ein essentieller Vorgang während der Zell- und Organellenteilung. ETP7 hingegen ähnelt Peptidoglycan-Hydrolasen, die in Plastiden von Moosen und Rotalgen an der Teilung der Organelle beteiligt sind. Der Fund derartiger Proteine in Angomonas ist daher ein Indiz für ein fortgeschrittenes Stadium der Organellogenese. „Ob diese Ergebnisse Ca. K. crithidii bereits zu einem Organell machen, können wir nicht sagen. Wir sind die Ersten, die eine von der Wirtszelle gesteuerte Teilung von Endosymbionten nachweisen konnten. Wie das einzuordnen ist, ist noch unklar“, verdeutlicht Nowack.

Studienleiterin Eva Nowack sowie die Erstautoren Jorge Morales und Georg Ehret aus der Düsseldorfer Mikrobiologie
Eva Nowack und die Erstautoren der neuesten Publikation ihrer Düsseldorfer Arbeitsgruppe: Jorge Morales und Georg Ehret (v.l.n.r.) Fotos: Steffen Köhler/HHU

Eine Einbahnstraße ist der „Proteintransfer“ zwischen Wirt und Endosymbiont indes nicht. Mit der Ornithin-Cyclodeaminase (OCD) identifizierten die Forschenden nämlich auch ein Endosymbionten-Protein, das mittlerweile vom Wirt exprimiert wird. „Die OCD ist nicht mit dem Endosymbionten assoziiert, sondern findet sich in den Glykosomen des Wirts“, erläutert Nowack. Dort sorgt das Enzym für die Herstellung von Prolin – einer für die Proteinsynthese von Ca. K. crithidii essentiellen Aminosäure. Da Glykosomen den Endosymbionten räumlich umgeben, liegt laut Nowack die Vermutung nahe, dass sie ihn mit Metaboliten versorgen, die er selbst nicht mehr herstellen kann. Der abschließende funktionelle Beweis steht laut der Mikrobiologin allerdings noch aus, was einen triftigen Grund hat: „Alle von uns getesteten ETPs scheinen essenziell zu sein. Wir können also keine Null-Mutanten herstellen.“ Dennoch deuten bisherige Ergebnisse darauf hin, dass die identifizierten ETPs in die Entwicklung des Endosymbionten eingreifen.

Leben im Graubereich

Im Vergleich zu Mitochondrien und Plastiden handelt es sich beim Angomonas-System also um eine junge symbiotische Beziehung, die nach Schätzungen vor 40 bis 120 Millionen Jahren begann. Nowack fasst zusammen: „Ca. K. crithidii befindet sich in einem Graubereich zwischen Endosymbiont und Organelle, und je mehr Zwischenstufen wir finden, desto schwammiger werden deren Definitionen.“ Organellogenese ist also höchstwahrscheinlich ein langfristiger, gradueller Prozess.

In der nächsten Zeit wollen sich die Forschenden um Nowack auf die funktionelle Charakterisierung ihrer ETPs konzentrieren. So versuchen sie derzeit, die Fluoreszenzsignale ihrer Fusionsproteine mit den Phasen des Zellzyklus zu korrelieren. „Und wir arbeiten daran, genetische Tools zu entwickeln, mit denen wir konditionell exprimieren können“, sagt Nowack abschließend. Damit ließen sich dann auch essentielle Proteine analysieren.