Editorial

Auf die Spur gebracht

Larissa Tetsch


(12.12.2022) BONN: Die Schlagkraft des Immunsystems hängt auch von seiner Geschwindigkeit ab. So müssen dendritische Zellen im Ernstfall möglichst schnell zum nächsten Lymphgefäß gelangen. Dafür arbeiten sie mit einem Trick, den Forscher bisher nur von Krebszellen kannten.

Mikrotubuli als Bestandteil des Zellskeletts sind die Garanten für eine korrekte Zellteilung. Sie bilden den Spindelapparat, der die homologen Chromosomen beziehungsweise die Chromatiden auf die beiden Tochterzellen verteilt. Das Wachstum der Mikrotubuli wird von einem speziellen Zellorganell organisiert, dem Centrosom, das auch als MTOC (microtubule organizing center) bezeichnet wird und aus zwei zylinderförmigen Centriolen besteht, die in einer Proteinmatrix eingebettet sind. Die Spindel wird zwischen zwei Centrosomen aufgespannt, die sich jeweils an den beiden Zellpolen befinden und bei der Zellteilung auf die Tochterzellen verteilt werden. In der DNA-Synthesephase des Zellzyklus verdoppelt sich das Centrosom parallel zur Verdopplung der Chromatiden, um für die nächste Zellteilung erneut eine Spindel ausbilden zu können. Dazu wächst aus jeder Mutter-Centriole eine Tochter-Centriole aus.

Eine gesunde Zelle, die sich nicht teilt, hat also immer nur ein Centrosom, bringt es Eva Kiermaier auf den Punkt. Die Biochemikerin, die 2017 mit dem NRW-Rückkehrprogramm aus Österreich ans Life & Medical Sciences Institut (LIMES) der Universität Bonn gewechselt ist, forscht dort an der Schnittstelle zwischen Tumor- und Immunbiologie. „Zellen mit mehr als einem Centrosom in der Interphase kennt man mit Ausnahme von multiciliären Zellen nur von Krebszellen“, erklärt Kiermaier und fügt hinzu: „Metastasierende Tumoren enthalten besonders viele Centrosomen.“

Färbung von Centrosom und Mikrotubuli in dendritischer Zelle
Die Färbung mit spezifischen Antikörpern illustriert prachtvoll: Dendritische Zellen transportieren Vesikel (grün) vom Centrosom (gelb) über Mikrotubuli (magenta) weg vom Zellkern (blau) in die Zellperipherie, um ihre Sekretion vorzubereiten. Airyscan-Bild: AG Kiermaier

Editorial
Hochmobile Immunzellen

Das „Dogma des einen Centrosoms“ wird nun allerdings von neuen Forschungsergebnissen der Kiermaier-Gruppe infrage gestellt (J. Cell Biol., doi.org/gq2qfj). Hierzu trug ein Zufallsfund bei, wie die Arbeitsgruppenleiterin erzählt: „Wir haben bei nicht mehr teilungsaktiven dendritischen Zellen einige mit doppeltem Chromosomensatz gefunden. Das deutete auf eine Störung des Zellzyklus hin.“

Für Kiermaier war das die Chance, die Forschungsthemen aus ihrer Doktoranden- und Postdoc-Zeit zusammenzubringen: den Zellzyklus und die Zellmigration. Ersteren hat die Tumorbiologin während ihrer Doktorarbeit am Institut für Molekulare Pathologie der Universität Wien erforscht, die Migration kam in der Postdoc-Zeit hinzu. „Meine Postdoc-Zeit habe ich in der Gruppe von Michael Sixt am Institute of Science and Technology (IST) Austria in Klosterneuburg verbracht, weil ich wieder mit Säugerzellen arbeiten wollte“, erinnert sich Kiermaier. In Klosterneuburg kam sie auch mit Immunzellen in Berührung, die zu den schnellsten Zellen im Körper gehören. Für die Fortbewegung benötigen sie Mikrotubuli, wodurch eine Verbindung zu Kiermaiers vorheriger Zellzyklusforschung gegeben war. „Mikrotubuli geben bei der Zellmigration die Wanderungsrichtung vor“, erklärt die Forscherin, die in Bonn weiterhin mit Immunzellen, insbesondere dendritischen Zellen, arbeitet.

Die sternförmigen dendritischen Zellen bilden eine Schnittstelle zwischen angeborenem und erworbenem Immunsystem: Selbst Teil des angeborenen Immunsystems sind sie als professionelle Antigen-präsentierende Zellen darauf spezialisiert, T-Zellen zu aktivieren. Sie sind überall im Körper anzutreffen, in hoher Dichte vor allem in Geweben mit Barrierefunktion, die direkt mit der Umwelt in Kontakt kommen. Dort erkennen sie Antigene, nehmen diese auf, prozessieren sie und präsentieren die Bruchstücke auf MHC-Molekülen. Mit dieser Fracht wandern sie in die Lymphknoten, wo sie auf cytotoxische T-Zellen treffen und diese aktivieren.

Um eine schlagkräftige Immunantwort auslösen zu können, müssen dendritische Zellen deshalb möglichst effizient in die lymphatischen Gefäße einwandern können, um von dort die Lymphknoten zu erreichen, in denen die Aktivierung der T-Zellen stattfindet. „Dendritische Zellen sind hochmobil und sehr anpassungsfähig“, bestätigt Kiermaier. Dabei unterscheidet sich ihre Fortbewegungsweise von der anderer mobiler Körperzellen wie beispielsweise Fibroblasten. Auf einem ­Epithel nutzen sie Integrine und „krabbeln“ damit vorwärts. Im dreidimensionalen Raum hingegen zeigen sie eine schnelle, amöboide Fortbewegungsweise, die unabhängig von Integrinen funktioniert und die es ihnen sogar ermöglicht, sich durch enge Poren zu quetschen. Voraussetzung dafür ist, dass sie zwei unterschiedliche Pole ausbilden: Ein Aktin-reiches Lamellipodium wird wie ein Füßchen vorgestreckt; am Hinterende, dem zurückziehenden Uropod, konzentriert sich das Mikrotubuli-Gerüst mit dem Centrosom.

Gruppenbild der Bonner Zellforschungs-Gruppe
Gruppenbild mit den Erstautorinnen des JCB-Papers: Anni Weier (2.v.l.) und Mirka Homrich (2.v.r.) Foto: AG Kiermaier

Zu viele Centrosomen

Und genau bei diesen dendritischen Zellen konnte Kiermaiers Team eine Centrosomenvermehrung nachweisen. Für die Versuche nutzte das Forschungsteam unreife dendritische Zellen aus dem Knochenmark von Mäusen und löste bei ihnen durch die Gabe eines Antigens – Lipopolysaccharid aus der Zellhülle gramnegativer Bakterien – die Reifung aus. Die reifen Zellen waren nun in der Lage, zu migrieren und naive T-Zellen zu aktivieren. „Indem wir einen bestimmten Mausstamm mit einem GFP-markierten Markerprotein verwendeten, konnten wir in diesen Zellen die Centrosomen sichtbar machen“, erläutert Kiermaier. „Wir waren überrascht, als wir bei rund 30 Prozent der Zellen mehr als ein Centrosom nachweisen konnten.“ Experimente mit dendritischen Zellen aus unterschiedlichen Barriereorganen bestätigten das Ergebnis. „Wir werden oft gefragt, warum vor uns noch niemand diese Beobachtung gemacht hat“, wundert sich auch die Forscherin. „Wir vermuten, dass es daran liegt, dass Centrosomen meist mit Antikörpern gefärbt werden und man dabei am Rande der Auflösungsgrenze von konventioneller Lichtmikroskopie arbeitet.“ Außerdem sind Immunzellen in der Regel nicht adhärent und dementsprechend schwer mit dem Lichtmikroskop zu beobachten.

Da reife dendritische Zellen ausdifferenziert sind, ist es unwahrscheinlich, dass sich die zusätzlichen Centrosomen auf aktive Zellteilung zurückführen lassen. Dazu passt, dass das Forschungsteam keine zellulären Marker für die S-Phase und den G2-M-Übergang nachweisen konnte. Stattdessen deuteten die Marker auf einen Arrest in der G1-Phase hin. Diese liegt allerdings zeitlich vor der DNA-Duplikation. Doch auch hierfür hat die Biochemikerin eine Erklärung: „Im Mikroskop können wir beobachten, dass bei Zellen mit doppeltem Chromosomensatz die Zellteilung scheitert. Die Zellen verdoppeln die DNA und leiten die Teilung ein, fallen aber wieder in sich zusammen. Der Zellzyklus wird dann in der folgenden G1-Phase arretiert.“

Eine statistische Auswertung bestätigte das Ergebnis: „Wenn wir uns unreife dendritische Zellen anschauen, befinden sich diese in allen Phasen des Zellzyklus. Nach der Aktivierung befinden sich dagegen 99 Prozent in der G1-Phase.“ Für die Forscherin ergibt das Sinn: „Die Mitose ist sehr kostspielig. Wenn dendritische Zellen ein Antigen entdeckt haben, ist nur noch dessen Beseitigung wichtig. Deshalb wird die sehr kostspielige Mitose gestoppt.“ Weniger einleuchtend war, warum auch manche Zellen mit einfachem Chromosomensatz mehrere Centrosomen ausgebildet hatten. „Der Duplikationszyklus der Centrosomen ist noch nicht im Detail verstanden, aber es ist bekannt, dass bestimmte Kinasen dabei eine Rolle spielen. Bei Krebszellen werden diese oft überexprimiert“, so Kiermaier. Diese Polo-like-Kinasen (PLKs) sorgen dafür, dass aus einer Mutter-Centriole mehrere Tochter-Centriolen entstehen können. Und tatsächlich konnten die Bonner zeigen, dass PLK2 nach der Aktivierung der dendritischen Zellen verstärkt exprimiert wird und dass die Hemmung des Enzyms den Anteil an Zellen mit mehr als zwei Centriolen sinken lässt.

Schneller vor Ort

Welchen Vorteil haben die zusätzlichen Centrosomen nun für die dendritischen Zellen? Um diese Frage beantworten zu können, verglichen die Forscher das Wanderungsverhalten von diploiden Zellen mit einem und mit zwei Centrosomen miteinander. Letztere waren zwar etwas schneller als Zellen mit nur einem Centrosom. Vor allem aber bewegten sie sich gerichteter, sie hielten also die Spur besser und konnten damit in gleicher Zeit eine größere Strecke zurücklegen. Eine gezielte Zerstörung der überzähligen Centrosomen mithilfe eines Lasers führte dazu, dass die Zellen wieder öfter die Bewegungsrichtung wechselten.

Gemeinsam mit Stefan Wieser, den Kiermaier von ihrer Zeit am IST Austria kannte, modellierten die Bonner die Abstände der Lymphgefäße im Gewebe und berechneten dann, wie lange die beiden Zellpopulationen brauchen würden, um die Lymphknoten zu erreichen. „Dabei haben wir starke Unterschiede gefunden“, freut sich Kiermaier. „Zellen mit nur einem Centrosom haben mehrere Stunden länger gebraucht, bis sie in den lymphatischen Gefäßen ankamen.“ Sogar auf ihre Fähigkeit, naive T-Zellen zu aktivieren, hatten die zusätzlichen Centrosomen einen positiven Einfluss. Ein Grund dafür ist wohl, dass sie vermehrt Cytokine ausscheiden – über Vesikeltransport, der ebenfalls Mikrotubuli benötigt. Den Einfluss der Centrosomen auf die Interaktionen zwischen T- und dendritischen Zellen möchte Kiermaier künftig weiter untersuchen.

Die neuen Erkenntnisse sorgen aber nicht nur für Begeisterung. Denn viele Krebsmedikamente greifen in die Organisation der Mikrotubuli ein. Möglicherweise hemmen sie dadurch auch die dendritischen Zellen. „Krebszellen mit mehreren Centrosomen können sich nur teilen, weil sie die Centrosomen zu Clustern zusammenfassen“, erklärt Kiermaier. „Löst man das Clustern durch Medikamente auf, so kann sich keine Spindel mehr ausbilden und die Zelle kann sich nicht mehr teilen. In unseren Versuchen hemmten diese Wirkstoffe auch die Migration der dendritischen Zellen.“ Im Moment schauen die Wissenschaftler deshalb, ob sie bei den am Clustern beteiligten Faktoren Unterschiede zwischen Krebszellen und dendritischen Zellen finden. Vielleicht lassen sich durch diese Erkenntnis zukünftige Krebsmedikamente noch verträglicher machen.