Editorial

Don’t bust the crust!

Juliet Merz


(07.10.2022) GRAZ: Biologische Bodenkrusten sind artenreiche Ökosysteme, die den Boden und die Vegetation stark prägen. Leider sind sie gefährdet – was weitreichendere Konsequenzen haben könnte als bislang vermutet. Doch das Wissen rund um die sensiblen Bodengemeinschaften ist noch ausbaufähig.

Dort, wo es für Gefäßpflanzen zu trocken und zu heiß oder kalt ist, floriert ein buntes Organismen-Potpourri: die biologische Bodenkruste. Die höchstens wenige Zentimeter dicke Schicht besteht aus einer Mischung aus phototrophen Organismen wie Flechten, Moosen, Algen und Cyanobakterien sowie ihren heterotrophen Mitbewohnern, den Bakterien, Mikropilzen und Archaeen. Die Photosynthese-betreibenden Vertreter tummeln sich dabei nahe der Oberfläche und bilden quasi die klassische Kruste. Sie ist gewöhnlich nur wenige Millimeter dick. Darunter verbirgt sich das Reich der „sub-crust“. Hier gedeihen dank der CO2-Fixierung aus dem Oberstübchen Prokaryoten sowie Pilze, die die Schicht unter anderem mit Hyphen zusammenhalten.

Ein wichtiges Kriterium einer Bodenkruste verrät die Ökologin Bettina Weber: „Sie muss regelmäßig austrocknen. Deshalb findet man sie weltweit in Wüsten-ähnlichen Vegetationszonen und meist über eher sandigem Boden, weil dort das Wasser schneller abfließen kann.“ Weber leitet seit 2019 an der Universität Graz die Arbeitsgruppe Funktionelle Diversität und Ökologie und beschäftigt sich schon seit Jahren mit den artenreichen Bodengemeinschaften. Sie weiß auch, dass es Bodenkrusten nicht nur in heißen Gefilden gibt: „Auch in sogenannten Kältewüsten zum Beispiel im Hochgebirge, in Grönland oder in Spitzbergen trotzen biologische Bodenkrusten den rauen Bedingungen.“ Interessanterweise unterscheidet sich die Zusammensetzung der arktisch-alpinen Bodenkrusten beziehungsweise der Bodenkrusten aus Wüstengebieten weltweit nur relativ wenig. Egal, wo auf der Welt Sie Bodenkrusten aufsammeln, sie wird aus einer vergleichbaren Temperaturzone stammen und einen vergleichbaren Stamm an Organismen enthalten, teilweise sogar die gleichen Gattungen.

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In Südafrika gedeihen biologische Bodenkrusten, die ihre bunte Farbe der pinken Flechtenart Psora decipiens zu verdanken haben. Foto: Weber

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Stark gefährdet

Die Bodenkrusten-reichsten Gebiete befinden sich derweil in Afrika, dem Nahen Osten, Asien, Australien und dem Mittleren Westen der USA. „Sie können Bodenkrusten aber auch in Deutschland finden“, verrät Weber und nennt ein Beispiel: „In Brandenburg auf ehemaligen Truppenübungsplätzen ist der Boden durch die schweren Panzer und Co. so stark genutzt, verdichtet und gestört, dass Gefäßpflanzen nur ganz langsam nach und nach eine Chance haben, vernünftig zu wachsen. Bodenkrusten hingegen stört das nicht.“

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Den biologischen Bodenkrusten auf der Spur: Die Grazer Ökologin Bettina Weber auf einer Konferenz in Avdat, Israel. Foto: Privat

Wo Bodenkrusten zuhause sind, haben Weber und Kollegen 2018 in einer Weltkarte zusammengetragen (Nat. Geoscience 11: 185-9). Dabei mussten sie auch feststellen, dass Bodenkrusten stark gefährdet sind. Ihren Berechnungen zufolge werden die Bodengemeinschaften, die derzeit etwa 12 Prozent der Erdoberfläche bedecken, bis 2070 um etwa 25 bis 40 Prozent zurückgehen. „Obwohl Bodenkrusten in Bezug auf Extrembedingungen wie Trockenheit unglaublich robust sind, sind sie andererseits in puncto Klimawandel sehr fragil“, beschreibt Weber das Paradoxon. „Keiner hat erwartet, dass sie so empfindlich sind.“

Auch mechanische Belastung kann den Bodenkrusten extrem zusetzen. Dafür braucht es nicht erst Pflugwerkzeuge, Baumaschinen oder Autos, auch Weidevieh oder bloßes Betreten zerstört die dünne Krustenschicht. „In den USA sind die Menschen dafür sehr stark sensibilisiert. In Wandergebieten beziehungsweise Nationalparks gibt es Hinweisschilder, die mit dem Slogan ‚Don’t bust the crust!’ den Besucher ermahnen, auf den ausgewiesenen Wegen zu bleiben.“

Besonders kritisch ist die mechanische Zerstörung der Bodenkrusten in Trockenperioden. Denn dann haben die Organismen kaum eine Chance, sich wieder zu verknüpfen. Warum erklärt Weber: „Wenn die Bodenkrusten austrocknen, leben sie noch, befinden sich aber in einem Stand-by-Modus. Wenn dann Regen fällt, weicht die Kruste etwas auf und die Organismen erwachen. Jetzt können sie sich vermehren und ausbreiten, Hyphen oder andere Fäden bilden und eventuelle Lücken wieder schließen. Bleibt der Regen hingegen aus, können die abgebrochenen Bodenkrusten-Stücke oder der Untergrund vom Wind weggetragen werden.“

Aus dem Trockenschlaf erwacht

Doch der Regen beeinflusst das Ökosystem noch auf eine andere Art und Weise: Häufige Niederschläge von geringer Menge verträgt die Bodenkruste nämlich genauso wenig. „Sobald die Bodenkrusten vom Regen aus ihrem ‚Trockenschlaf’ geweckt werden, fahren sie ihren Stoffwechsel hoch“, erklärt Weber. Interessanterweise starten sogar die phototrophen Organismen meist mit einer Atmungsphase. Der Grund: Durch die lange Inaktivierung und UV-Strahlung haben sich Schäden in den Zellen angesammelt, die erst mal repariert werden müssen. Wenn sie dann länger feucht sind, fahren sie die Photosynthese hoch und kommen in eine positive Energiebilanz.

Allerdings prognostizieren Klimaforschende, dass Niederschläge in Zukunft nicht mehr in wenigen großen Ereignissen fallen, sondern eher in vielen kleinen. Sind die Niederschlagsmengen pro Ereignis also zu gering, dann erfolgt vor allem die anfängliche Atmung, sodass die phototrophen Bodenkrusten-Bewohner bald rote Zahlen in ihr Energiehaushaltsbuch schreiben müssen. „So kann man besonders Moose ziemlich schnell um die Ecke bringen“, befürchtet Weber und ergänzt: „Diese Beobachtung zeigt, wie sensibel Bodenkrusten auf kleine klimatische Veränderungen reagieren, die man eigentlich gar nicht als so dramatisch einstuft.“

Eine Konsequenz zerstörter Bodenkrusten haben sich Weber und Co. nun genauer angeschaut. Sie haben untersucht, welche Relevanz die befestigende Wirkung von Bodenkrusten für den globalen Staubtransport hat: „Wir schätzen, dass ohne die Existenz biologischer Bodenkrusten die globalen atmosphärischen Staubemissionen um rund sechzig Prozent höher wären, das entspricht einer zusätzlichen Menge von rund 700 Millionen Tonnen Staub pro Jahr“, fasst Weber die Ergebnisse der kürzlich erschienenen Nature-Geoscience-Studie zusammen (15: 458-63).

Staubige Zukunft

Bislang sagten Prognosen eher voraus, dass es im Zuge des Klimawandels weniger Staub in der Atmosphäre geben wird. Das liegt zum Beispiel daran, dass laut Vorhersagen die Sahelzone an den Rändern in Zukunft feuchter wird und damit neu wachsende Vegetation die Staubbildung verhindert. „Unsere Daten lassen vermuten, dass die Staubemissionen aber nicht weniger, sondern durch den Rückgang der Bodenkrusten im Gesamten eher mehr werden.“ Welche Auswirkungen das auf das Klima haben wird, ist schwer einzuschätzen, sagt Weber: „Feine Staubpartikel vor schwarzem Untergrund haben eher einen kühlenden Effekt, grober Staub vor hellem Grund heizt die Umgebung eher auf.“

Gefährlich fruchtbar

Des Weiteren gelangen durch aufgewirbelten Sand Nährstoffe an Orte, wo sie eigentlich nichts zu suchen haben. „Die in den Bodenkrusten lebenden Organismen sind fleißige Düngerproduzenten“, holt Weber aus. „Sie fixieren Stickstoff aus der Atmosphäre und reichern damit den Boden an. Die Erde unter den Bodenkrusten ist also sehr viel fruchtbarer als Flächen ohne Bodenkruste.“ Gelangt dieses Bodensubstrat in andere, nährstoffarme Gebiete, kann das das Ökosystem dort ziemlich durcheinanderwirbeln. Noch ein negativer Effekt von Staub: Wenn er sich auf Schnee oder Eis ablagert und damit die Oberfläche verdunkelt, führt das zu vermehrtem Tauen.

Ein weiterer Faktor: Mit verwehendem Staub gelangen Sporen und Mikroorganismen in andere Gefilde, die dort nicht nur wieder das Ökosystem stören, sondern auch als potenzielle Krankheitserreger gefährlich für den Menschen werden können. „Staubpartikel können außerdem Herz-Kreislauf-Erkrankungen auslösen und Verkehrsunfälle verursachen“, zitiert Weber aus einem Review von US-amerikanischen Kollegen (Ecol. Environ. 8: 423-30). „Allerdings sind das bislang nur erste Hinweise auf die Auswirkungen erhöhter Staubemissionen. Wir benötigen dringend mehr gesicherte Daten.“

Aber wie lässt sich das Dilemma um die biologische Bodenkruste lösen? Ein Stichwort lautet Wiederansiedlung – doch die ist gar nicht so einfach. „Anfangs dachte man, Bodenkrusten sind in Bezug auf Trockenresistenz und Co. recht robust – die lassen sich sicherlich leicht wieder anzüchten“, erinnert sich Weber. Die Idee: Man könnte beispielsweise Cyanobakterien in großen Tanks vermehren, sie trocknen und dann auf geeignetem Boden ausstreuen. „So einfach ist das aber leider nicht“, schränkt Weber ein. „Viele Bodenkrusten-Organismen müssten an die harschen Freilandbedingungen gewöhnt werden, und die Bodenkruste bräuchte erstmal eine Bewässerung, damit sich die Schicht ausbilden kann – aber wo bekomme ich in der Wüste so viel Wasser her?“

Ein aussichtsreicher Ansatz ist hingegen die Anzüchtung von Bodenkrusten auf einem Jutesack-ähnlichen Untergrund, verrät die Grazer Ökologin. Die können dann wie Rollrasen ausgebracht werden, was sich aber nur für vergleichsweise kleine Flächen eignet.

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„Don‘t bust the crust!“ ist das Motto in vielen Nationalparks in den USA. Deshalb gilt: Immer schön auf den ausgewiesenen Wegen bleiben, um die Bodenkrusten nicht zu zertreten. Illustr.: National Park Service
Schützen statt regenerieren

Das Beste ist und bleibt der Schutz der Bodenkrusten. Weber wiederholt: „Die zwei wichtigsten Treiber der Zerstörung biologischer Bodenkrusten sind der Klimawandel und die mechanische Störung durch Landnutzung. Der Klimawandel muss also ausgebremst werden und die Menschen müssen die Natur besser schützen.“ Geeignete Maßnahmen gibt es. Weber nennt zum Schluss ein Beispiel von vielen: „In Südafrika haben wir Farmer beraten, wie sie ihr Land nutzen und gleichzeitig die Bodenkrusten schützen können. Dabei hat sich gezeigt, dass es am besten ist, wenn sie die Weidetiere nicht immer auf derselben Fläche ausbringen.“ So können sich die Bodenkrusten wieder erholen, halten den Boden an Ort und Stelle und machen das Land fruchtbarer. Und von florierenden Bodenkrusten profitieren letztlich alle.