Editorial

Streit um Hitler-Käfer und Trump-Motte - Nomenklatur

Larissa Tetsch


(15.02.2024) Viele Taxa sind nach Eigennamen benannt. Dabei reflektiert die Namenswahl eine Zeit, in der hauptsächlich weiße, reiche Männer Wissenschaft betrieben. Manch ein Namenspate kann heute nicht mehr als Vorbild gelten. Ob betroffene Taxa umbenannt werden sollen, darüber streiten sich Taxonomen.

Für viele ist es die Krönung des Forscherlebens: Einmal eine bislang unbekannte Organismenart oder – noch besser – Organismengattung beschreiben und ihr einen Namen geben dürfen. Wissenschaftliche Namen sind aber mehr als eine Spielwiese für Wissenschaftler: Sie bilden die Grundlage für die unmissverständliche Kommunikation über Länder- und Sprachgrenzen hinweg. Deshalb gibt es für die Benennung aller Taxa feste Regelwerke, die sogenannten Internationalen Codes der Nomenklatur.

Quer durch alle Organismengruppen erfreut es sich dabei großer Beliebtheit, die eigene Neuentdeckung nach einem Vorbild zu benennen – sei es ein das eigene Fachgebiet prägender Kollege, ein Gönner oder eine bekannte Persönlichkeit. So erinnert der Name des kleinen Krebses Leucothoe eltoni mit seinen ausgeprägten Kieferfüßen an Elton Johns Plateauschuhe, und die Motte Neopalpa donaldtrumpi teilt nicht nur ihre auffällige „Frisur“ mit dem ehemaligen US-Präsidenten.

Neopalpa donaldtrumpi
Neopalpa donaldtrumpi: Der kanadische Entomologe Vazrick Nazari benannte die Palpenmotte nach der Frisur des laut einer Analyse des Siena College Research Institutes 44-besten aller 46 US-Präsidenten. Das Artepitheton – also der zweite Namensteil des Artnamens – soll die öffentliche Aufmerksamkeit auf den Schutz gefährdeter Biotope lenken. Foto: V. Nazari

Aber es sind vor allem Namen wie der des braunen Höhlenkäfers Anophthalmus hitleri, die den Ruf laut werden lassen, wissenschaftliche Artnamen, die auf Eigennamen zurückgehen, aus der Taxonomie zu verbannen. Die Bewegung gegen diese Eponyme spiegelt letztlich eine gesamtgesellschaftliche Strömung der Political Correctness und Wokeness wider (siehe dazu auch „Woke Wissenschaft: Bremse oder Beschleuniger von Qualität und Innovation“ in LJ 12/2023: 20 - 22 - Link).

Woke bezeichnet eine wache, aufmerksame Geisteshaltung. Im politischen Sinn ist mit Wokeness ein Bewusstsein für mangelnde soziale Gerechtigkeit und Diskriminierung jeder Art gemeint. Infolge dieses Bewusstseins sind Worte, die früher ganz unbefangen benutzt wurden, wie etwa eine Bezeichnung für Schokoküsse oder ein Schnitzel mit Paprikasoße, aus dem Sprachgebrauch verschwunden. Auch Straßen und öffentliche Einrichtungen wurden in den letzten Jahren umbenannt, wenn deutlich wurde, dass die Namenspaten rassistisches Gedankengut vertraten oder anderweitig unmoralisch handelten. Eponymen soll es nun ähnlich ergehen.

Konsequente Umbenennung

Die bisher umfangreichste Forderung zur Umbenennung von Eponymen formulierte ein elfköpfiges internationales Autorenteam im März 2023 (Nat Ecol Evol. doi.org/j48c). Die Autoren und Autorinnen um den an der Universität in Porto, Portugal, tätigen Biodiversitätsforscher Richard Ladle kritisieren, dass ein Großteil aller Arten mit Eponymen von weißen Männern nach anderen weißen Männern benannt wurde. Damit spiegeln die Namen Kolonialismus und Imperialismus einer Zeit wider, als sich europäische und nordamerikanische Forscher in die Kolonien des globalen Südens aufmachten. Das diskriminiere sowohl Frauen als auch die indigene Bevölkerung dieser Länder.

Besonders fragwürdig sind natürlich Eponyme, die sich auf Diktatoren oder andere moralisch verwerfliche Personen beziehen wie Anophthalmus hitleri und Rochlingia hitleri. Doch Erstautorin Patrícia Guedes und ihre Kollegen wollen nicht nur diese, sondern alle Arten mit Eponymen als Namen umbenennen. „Die Biodiversität der Erde ist Teil des globalen Erbes und sollte nicht durch die Assoziation mit einem einzelnen menschlichen Individuum trivialisiert werden, einerlei was sein wahrgenommener Stellenwert ist“, schreiben die Forscher in ihrer Publikation dazu.

Damit haben sie offensichtlich in ein Wespennest gestochen: Mit Stand 11. Januar 2024 gibt die Website des Journals bereits 7.280 Zugriffe und 20 offizielle Zitierungen der Publikation an. Auf der Online-Plattform ResearchGate haben sich mehr als 47.700 Nutzer die Zusammenfassung angeschaut. Die dort geführte Diskussion listet 436 Kommentare, von denen nicht alle sachlich bleiben. „Persönlich bin ich sehr überrascht von den Emotionen, die unser Artikel ausgelöst hat“, schreibt Letztautor Richard Ladle an Laborjournal.

Unterstützung bekommt der Zoologe von Theodor C. H. Cole, Gastwissenschaftler an der Freien Universität Berlin und Autor eines Wörterbuchs der Tiernamen in Latein-Englisch-Deutsch. Auf ResearchGate fordert der US-Amerikaner nachdrücklich, die Benennung von Tieren und Pflanzen nach Menschen zu stoppen. „Es ist schlicht ethisch nicht begründbar und nicht akzeptabel, die von uns zu schützende und zu respektierende Biodiversität derart zu vereinnahmen“, bekräftigt er diese Forderung gegenüber Laborjournal. „Menschennamen für Tier- und Pflanzenarten sind aus heutiger global-ökologisch-naturphilosophischer Sicht eine nicht zu rechtfertigende Aneignung der lebendigen Natur.“ Bereits Carl von Linné, der „Erfinder“ des binominalen Systems wissenschaftlicher Artnamen, habe vorgesehen, neue Arten anhand prägnanter unterscheidbarer Merkmale oder nach ihrem geografischen Vorkommen zu benennen, so Cole im Vorwort seines Wörterbuchs.

Anophthalmus hitleri
Anophthalmus hitleri ist ein fünf Millimeter langer, augenloser, räuberischer Laufkäfer in den Höhlen Sloweniens. Aufgrund seines Namens ist der Käfer unter Sammlern von Nazi-Memorabilien begehrt. Ein Exemplar ist bis zu 1.000 Euro wert. Für die Wissenschaft scheint der recht gewöhnliche Käfer hingegen von begrenztem Interesse. Foto: M. Munich

Die Realität sieht allerdings anders aus: Laut der Internationalen Kommission für Zoologische Nomenklatur sind 20 Prozent aller Tierart-Namen Eponyme. Einen Grund dafür sieht Cole im Niedergang der klassischen humanistischen Bildung: „In guter Linné‘scher Tradition wurden Erstbeschreibungen früher auf Latein abgefasst und anspruchsvolle deskriptive Namen ersonnen, die dem Neuentdeckten eine würdevolle Bezeichnung sein sollten. Arten nach Menschen zu benennen, ist da natürlich ungleich einfacher und geht auch ohne Kenntnisse von Latein und Griechisch.“

Technische vs. ethische Aspekte

Die Diskussion auf ResearchGate zeigt, dass sich viele Forscher von dieser Argumentation bevormundet fühlen. „Viele Taxonomen möchten nicht auf die liebgewonnenen Privilegien der freien Namensgebung verzichten und empfinden Einschränkungen als Beschneidung der wissenschaftlichen Freiheit“, kommentiert Cole seine Erfahrung. Als Argumente gegen eine Umbenennung von Taxa werden vor allem die Gefahr eines Verlusts der Stabilität der wissenschaftlichen Namen sowie technische Probleme angeführt. Beides thematisiert ein Editorial, das die Mitglieder der Internationalen Kommission für Zoologische Nomenklatur (ICZN) bereits Anfang 2023 – also nicht als Reaktion auf Guedes et al. – veröffentlicht hatten (Zool J Linn Soc. doi.org/gtcbq2). Die 26-köpfige Kommission lehnt eine ethisch motivierte Umbenennung von Arten strikt ab: „Die im Code festgelegten nomenklatorischen Regeln sind Werkzeuge, die maximale Stabilität gewährleisten sollen, aber gleichzeitig mit taxonomischer Freiheit kompatibel sind.“ Die Kommission habe weder Zeit noch Ressourcen noch ein Mandat dafür, Namen auf ihre ethische Tauglichkeit zu prüfen. Auch würde sich nach Ansicht der Zoologen durch eine Umbenennung nicht viel ändern. Da der Name der Erstbeschreibung Priorität hat, würde er immer als Synonym gültig bleiben.

Leucothoe eltoni
Leucothoe eltoni: Das Artepitheton ehrt Sir Elton John. Die schuhartigen Gnathopoden, also die zu Mundwerkzeugen umfunktionierten Beine des Gliederfüßers, erinnern an die übergroßen Stiefel, die der Rockmusiker 1975 im Film „Tommy“ trug. Foto: J. Thomas

Cole hält dagegen, dass Umbenennungen „technisch und praktisch kein Problem“ sind: „Um Namen, die von einer größeren Anzahl von Menschen als anstößig, beleidigend und unwürdig empfunden werden, zu ändern, bedarf es lediglich eines akzeptablen Verfahrens zur Prüfung entsprechender Anträge durch ein legitimiertes, gewähltes Gremium.“ Richard Ladle sieht es ähnlich: „Das technische Argument, unser Vorschlag führe zu Chaos und untergrabe die Stabilität der Namen, sollte nicht über ethischen Aspekten stehen. Ich bin überzeugt, dass wir diese Probleme durch moderne Rechenleistung in den Griff bekommen können.“

Ein engagierter Kritiker von Umbenennungen ist der ukrainische Forscher Sergei L. Mosyakin, der als Taxonom am M. G. Kholodny-Institut für Botanik der Nationalen Akademie der Wissenschaften der Ukraine forscht. Er hat bereits mehrere Artikel zum Streitthema veröffentlicht, die aufzeigen, wie lange der Konflikt um die Eponyme bereits schwelt und wie unterschiedlich Standpunkte, Forderungen und Beweggründe der Protagonisten sind. Im Oktober 2023 nahm er direkt Bezug auf Guedes et al.: „Sollte man beginnen, anstößige Eponyme umzubenennen, so wird dies bald zu einem Erdrutsch führen“, ist Mosyakins Befürchtung (Ukr Bot J. doi.org/mcc9). „Wo sollen wir die Grenze ziehen? Selbst angesehene Forscher wie Carl von Linné und Charles Darwin hatten zum Teil Ansichten, die wir heute als rassistisch ansehen.“ Fangen wir mit Artnamen an, stehen bald auch die Namen von Mineralien, chemischen Elementen, Himmelskörpern, physikalischen Einheiten, geografischen Begebenheiten und letztlich sogar Krankheiten auf dem Prüfstand, ist Mosyakin überzeugt.

Erdrutschgefahr?

Dieses Argument möchten die Botaniker Tim Hammer und Kevin Thiele aus Australien sowie Gideon F. Smith und Estrela Figuereido aus Südafrika nicht gelten lassen. Sie widersprechen der vermeintlichen Erdrutsch-Hypothese und zeigen konkrete Maßnahmen auf, ungewollte Konsequenzen zu verhindern (Taxon. doi.org/mctt). Auch Cole ist überzeugt: „Es macht einen Unterschied, ob wir etwas Lebendiges benennen, wie Pflanzen und Tiere, oder etwas Unbelebtes, wie Mineralien und Straßen. Ein Biologe sollte Tieren und Pflanzen den ihnen gebührenden Respekt entgegenbringen, um zu ihrem Erhalt beizutragen, und sie nicht für seine Eitelkeiten und Selbstdarstellung instrumentalisieren.“

Doch selbst in der Welt der Lebewesen bleibt unklar, wo die Grenze gezogen werden sollte. Während die eine Seite Umbenennungen genau aus diesem Grund grundsätzlich ablehnt, will die andere Seite gerade deshalb alle Eponyme konsequent aus der Wissenschaft entfernen. Sicher ist, dass Umbenennungen im großen Stil – die ICZN geht von Hunderttausenden betroffenen Taxa aus – die Arbeit unzähliger Forscher beeinflussen würde.

Agathidium bushi
Agathidium bushi: Die ehemaligen Entomologen der Cornell University Quentin Wheeler und Kelly Miller benannten 65 Spezies der Käferfamilie Agathidium nach ihren Frauen, ihren Ex-Frauen, dem Star-Wars-Bösewicht Darth Vader, dem Konquistador Hernán Cortés sowie dem ehemaligen US-Präsidenten Bush, Vizepräsidenten Cheney und Verteidigungsminister Rumsfeld. Alle Schwammkugelkäfer dieser Gattung verbringen ihr Leben damit, in verrottendem Baumholz Schleimpilze zu fressen. Foto: M. Caterino

Im Süden erwünscht

Guedes et al. sehen in ihrem Beitrag einen Vorstoß, die Taxonomie als „moderne, aktive und wichtige Wissenschaftsdisziplin“ zu erhalten. Eponyme abzuschaffen, soll die Verpflichtung des Menschen unterstreichen, das biologische Erbe der Erde zu schützen. Weiterhin versprechen sich die Forscher, dass die Umbenennungen die wissenschaftliche Disziplin der Taxonomie für Forscher des globalen Südens interessanter macht. Sie schlagen vor, die Neubenennung Forschern aus den Ursprungsländern der jeweiligen Arten zu übertragen – sozusagen als Akt der Inklusion und der Wiedergutmachung von Unrecht durch Imperialismus und Kolonialismus. Shane Donald Wright und Len Norman Gillmann von der University of Auckland in Neuseeland möchten bei wissenschaftlichen Benennungen sogar vorrangig Trivialnamen der indigenen Bevölkerung berücksichtigen (Commun Biol. doi.org/gkzj6f).

Bei den mutmaßlich Begünstigten stoßen diese Vorschläge nicht nur auf Gegenliebe. Mosyakin, der selbst karelische und damit indigene Vorfahren hat, bezeichnet die Forderung der Neuseeländer, die vor allem die dortige maorische Urbevölkerung im Blick haben, als neue Form der Diskriminierung. Für ihn beginnen die Probleme schon damit, wer überhaupt als indigen gelten darf (Taxon. doi.org/mcdd).

Auch eine Gruppe mittel- und südamerikanischer Taxonomen bezeichnet Eponyme als wichtiges Werkzeug für Biologen des globalen Südens (Nat Ecol Evol. doi.org/mcdh): „Es ist richtig, dass in der Vergangenheit überwiegend weiße Männer mit Eponymen geehrt wurden […] aber wir empfinden es als ungerecht, uns dieses Werkzeug jetzt wegzunehmen, wo wir es selbst nutzen können, um Taxa nach Menschen zu benennen, die für unsere Forschung von Bedeutung waren und sind.“ Deshalb sind die Autoren überzeugt: „Eponyme zu verbannen, würde die Wissenschaft schädigen – und sogar überproportional die im globalen Süden.“ Einen konkreten Nutzen von Eponymen nennen sie ebenfalls: Sie können Geld einbringen. So verdient die von einigen der Autoren betriebene ecuadorianische Nicht-Regierungs-Organisation (NGO) Fundación EcoMinga Geld für Publikationskosten und für den Erwerb von Land für Naturschutzprojekte damit, das Recht der Namenswahl zu versteigern. Anstatt Eponyme abzuschaffen, sollten sie doch jetzt genutzt werden, um Menschen aus den Herkunftsländern der Arten zu ehren und damit ein neues, diverseres Kapitel in der Geschichte der Taxonomie aufzuschlagen.

Diverse Eponyme

Ähnlich argumentiert eine Gruppe von Mikrobiologen um Heike Freese und Markus Göker von der Deutschen Sammlung von Mikroorganismen und Zellkulturen (DSMZ) in Braunschweig in einer Publikation zum Gender Gap in der Namensgebung (Int J Syst Evol Microbiol. doi.org/mb7f). Laut ihnen machen Eponyme 2.018 von 23.315 Namen für Gattungen, Arten und Unterarten von Prokaryoten aus. Während die erste Benennung nach einem Mann bereits 1823 erfolgte, wurde dieselbe Ehre einer Frau erst 1947 zu Teil. Insgesamt liegt der Anteil der geehrten Frauen bei 14,8 Prozent. Besonders erschreckend: Dieser Anteil hat sich in den letzten Jahren nicht wesentlich erhöht. Auch für 2013 bis 2022 liegt die Quote bei lediglich 17,2 Prozent.

Der ihrer Analyse zugrunde liegende Internationale Code der Nomenklatur von Prokaryoten (ICNP) gibt zwar strenge Regeln vor, enthält jedoch mehrere Optionen, um Taxa nach Personen zu benennen. Verpönt ist lediglich, Taxa nach sich selbst zu benennen, oder Namenspaten ohne Verbindung zur Mikrobiologie oder naturwissenschaftlichen Forschung zu wählen. Laut Markus Göker wird sich das nicht ändern: „Der ICNP ist ein Hilfsmittel der internationalen wissenschaftlichen Kommunikation und dient nicht dazu, eine bestimmte politische Agenda zu verfolgen – auch keine derzeit als progressiv empfundene.“ Der DSMZ-Forscher sieht die Idee, derzeit als anstößig empfundene Namen zu ersetzen, im Widerspruch zur Idee des Codes, die Stabilität der Taxonnamen zu gewährleisten – selbst wenn es objektive Kriterien dafür gäbe, was als anstößig zu gelten hat. „Das Benennen von Prokaryoten nach Personen ist ein bewährtes und beliebtes Mittel, um deren Verdienste um die Mikrobiologie oder andere Wissenschaften dauerhaft zum Ausdruck zu bringen. Auch unsere Studie sieht darin keinen Nachteil, sondern regt an, den Anteil nach Frauen benannter Taxa zu erhöhen.“

Einen Schritt weiter ging der Botaniker Marc Gottschling von der LMU München, als er zwei Dinophyten-Gattungen nach den Berliner Experimentalmusikern Blixa Bargeld und N. U. Unruh von der Band Einstürzende Neubauten benannte. Dies war tatsächlich als Provokation gedacht, gibt der Algenforscher zu: „Wir wollten damit eine Diskussion um die gängige Benennungspraxis anstoßen.“ So empfiehlt der Internationale Code der Nomenklatur für Algen, Pilze und Pflanzen (ICNafp) seit Anfang des 20. Jahrhunderts explizit, Gattungen nicht mehr nach Personen ohne Verbindung zur Wissenschaft zu benennen. „Im Hinblick darauf, dass es gerade bei Algen und Pilzen noch Myriaden namenloser Organismen gibt, sollten wir uns aber nicht so einschränken“, wird Gottschling in einer Pressemitteilung zur Veröffentlichung zitiert.

„Das wäre auch in der Tradition Carl von Linnés, der beispielsweise viele griechische Helden ohne jeden botanischen Bezug in Gattungsnamen verewigt hat.“ Für die Aktion habe er viel Zuspruch, aber auch Kritik bekommen, so Gottschling gegenüber Laborjournal. Auf die Frage, was er von der Umbenennung von Arten hält, antwortet er: „Wenig. Die Ansichten ändern sich von Zeit zu Zeit, und wir wollen doch nicht nach jedem Bildersturm wieder von vorne anfangen.“

Yoda purpurata, Carmenelectra shechisme, Gaga germanotta
Der fiktive Jedi-Meister Yoda aus dem Star-Wars-Universum sowie die US-Sänger- und Schauspielerinnen Carmen Electra und Stefani Germanotta aka Lady Gaga haben es sogar bis in Gattungsnamen geschafft (v.l.n.r.): der Tiefsee-Eichelwurm Yoda purpurata, die im Tertiär ausgestorbene Fliegenart Carmenelectra shechisme und der Farn Gaga germanotta. Fotos (v.l.n.r.): D. Shale, N. L. Evenhuis, C. Clark

Neokolonialismus

In seiner Ablehnung deutlich wird auch der sri-lankische Ichthyologe und Taxonom Rohan Pethiyagoda (Megataxa. doi.org/mcdn): „Die gefühlte Ungerechtigkeit durch unangemessene Namen ungeschehen zu machen, würde dem größeren Teil der globalen Wissenschaftlergemeinschaft schaden“, ist er überzeugt. Denn der Umbenennungsmarathon würde die Taxonomen von ihrer eigentlichen Aufgabe abhalten, neue Arten zu beschreiben, damit diese geschützt werden können. Die Umbenennung an Länder des globalen Südens zu delegieren, bezeichnet Pethiyagoda als neue Form des Kolonialismus – selbst wenn es gut gemeint ist.

Mosyakin empfindet es ebenso als diskriminierend, wenn bestimmte Volksgruppen Vorrang bei Benennungen bekommen, und bezeichnet es als politische und ethische Zensur, Namen zu streichen. Er befürchtet einen Kulturkampf, in den er die Taxonomie nicht verwickelt sehen möchte: „Namen, die heute als anstößig gelten, waren dies nicht, als sie vergeben wurden, und werden es auch vielleicht in Zukunft nicht mehr sein“, sind sich Forscher wie Mosyakin, Pethiyagoda und Gottschling einig.

Dem Taxonom aus Sri Lanka zufolge entspringt die ganze Diskussion um diskriminierende und anstößige Eponyme vor allem aus den USA und anderen Ländern mit einer Vergangenheit als Kolonisten und Sklavenhalter. Für vieles können sich diese Länder schuldig fühlen. Auch sei es nobel, Unrecht wiedergutmachen zu wollen. Doch anstatt in die Vergangenheit zu schauen, sollten sie es einfach bei zukünftigen Neubenennungen besser machen.

Schon kleine Veränderungen können da einen großen Effekt haben: So schlagen die Südafrikaner Gideon Smith und Estrela Figueiredo vor, in wissenschaftlichen Namen auf die abwertende Silbe „-cafer“ zu verzichten. Die kleine Änderung zu „-afer“ würde den Bezug zu Afrika ohne rassistische Konnotation herstellen.

Einig sind sich die meisten Beiträge darin, dass nomenklatorische Kommissionen endlich die Meinungen von Menschen aus den Herkunftsländern der Arten einbeziehen müssen. So erklärte auch ein weiterer PrePrint internationaler Autoren im November 2023 (ResearchGate. doi.org/mcdq), dass Nomenklatur-Codes für eine gerechtere und sensiblere Benennungspraxis angepasst werden müssen. Umfangreiche Umbenennungen schloss aber auch dieses Autorenteam aus, um einen „endlosen Revisionsprozess“ zu verhindern. In speziellen Fällen wären Umbenennungen schließlich möglich, ohne dafür die Codes verändern zu müssen.

So schreiben ebenfalls Guedes et al., dass zumindest der zoologische Code genug Spielraum bietet, um die Vergabe von Eponymen einzuschränken oder auszuschließen. Alte Namen zu belassen, aber Neubenennungen nach Menschen ab sofort zu unterbinden, wäre auch für den Autor des Tiernamen-Wörterbuchs Theodor Cole ein erster Schritt. Ein Kompromiss zu dem Thema ist zwar in Anbetracht der vielen verschiedenen Standpunkte nicht in Sicht. Aber eines wird deutlich: Taxonomen aller Disziplinen werden in Zukunft bei der Benennung von Arten genauer hinschauen und miteinander im Gespräch bleiben müssen.