Editorial

Taxol aus Pilzen – pharmazeutische Goldmine oder wissenschaftliche Ente?

Klaus Ferdinand Gärditz, Hjördis Czesnick


(12.12.2023) Seit dreißig Jahren verkünden Studien, dass der Anti-Krebs-Wirkstoff Taxol auch von Pilzen synthetisiert wird. Doch die Zweifel daran nehmen zu. Wurde wegen der Hoffnung auf lukrative biotechnologische Anwendungen die Selbstkontrolle guter Wissenschaft sträflich vernachlässigt? Und bog man deswegen am Ende allzu unkritisch in eine wissenschaftliche Sackgasse ab?

Bis heute gehört Paclitaxel (Taxol) zu den wichtigsten Arzneimitteln der Krebstherapie. Hinter dem Wirkstoff steht einerseits eine der großen Erfolgsgeschichten pharmazeutischer Naturstoffforschung. Andererseits sprechen aber auch etliche Indizien dafür, dass der Fall zugleich ein Beispiel ist, wie sich Wissenschaft durch eine Melange aus wiederholter Nachlässigkeit, mangelnder (Selbst-)Kritik, disziplinärem Tunnelblick, einem Schielen auf kommerzielle Anwendungen sowie latenter Ergebnisorientierung in die Irre führen lässt. So wurden wohl insbesondere in der vagen Hoffnung, Taxol biotechnologisch aus Pilzen gewinnen zu können, immer wieder die Anforderungen guter wissenschaftlicher Praxis verfehlt.

Anfang der 1970er-Jahre konnte Taxol in der Rinde der Pazifischen Eibe (Taxus brevifolia) identifiziert und seine sterisch komplexe Struktur aufgeklärt werden (J. Am. Chem. Soc. 93: 2325-7). Taxol bindet an Tubulin und stört die Ausbildung des Spindel-Apparats, ist also ein Mitose-Hemmer, weshalb es als wirksames Pharmakon gegen das Tumorzellwachstum bei verschiedenen Krebserkrankungen (insbesondere Ovarial- und Mammakarzinom) eingesetzt wird. 1992 erfolgte in den USA erstmals die Zulassung durch die Food and Drug Administration (FDA). Von Anfang an war klar, dass die Ausbeute aus der Rinde der Pazifischen Eibe zu gering war, um den weltweiten Bedarf an Taxol zu decken. Man hätte in wenigen Jahren die Baumart, die extrem langsam wächst, bestandsgefährdend dezimiert. Anlässlich der Zulassung von Taxol wurde der Baum durch den US-amerikanischen „Pacific Yew Act“ 1992 strikten Regeln nachhaltiger Bewirtschaftung unterstellt.

Mikroskopie-Bild eines Pilzgeflechts des vermeintlichen Taxol-Produzenten Taxomyces andreanae
Taxomyces andreanae, endophytischer Pilz in der inneren Rinde der Eibe. Synthetisiert er tatsächlich Taxol? Foto: Gary Strobel

Eine Totalsynthese von Taxol ist aufgrund der sterischen Komplexität (mit elf chiralen Zentren) extrem schwierig. Sie gelang zwar seit 1994 mehrfach auf unterschiedlichen Synthesewegen (etwa Nature 367: 630-4 oder Synlett 10: 1477-89), eine Herstellung im Labor in einem industriellen Maßstab ist aber nicht möglich. Heute wird Taxol vor allem aus den Nadeln der Europäischen Eibe (Taxus baccata) durch Extraktion und halbsynthetische Weiterverarbeitung der Vorstufen Baccatin III bzw. 10-Deacetylbaccatin III oder aus Zellkulturen gewonnen, die mit meristematischen Zellen des Kambiums der Eibe angelegt werden (Biotechnol. & Bioprocess. Eng., 27: 706). Eine angemessene Bedarfsdeckung, die der Nachfrage nach dem erwiesen wirksamen Krebsmedikament folgt, bereitet somit keine grundsätzlichen Probleme mehr.

Kann das plausibel sein?

Vor dreißig Jahren, als die mengenmäßige Erzeugung von Taxol noch eine große Herausforderung war, begann jedoch ein pharmazeutischer Goldrausch, dem mitunter die Mechanismen kritischer Selbstkontrolle guter Wissenschaft nicht standgehalten haben. 1993 behauptete ein Forscherteam, in der Rinde der Pazifischen Eibe auch endophytische Pilze (getauft Taxomyces andreanae) entdeckt zu haben, die selbst Taxol produzieren (Science 260: 214-6). Vorsichtshalber hatte man gleich ein Patent angemeldet. Science titelte: „Surprise! A Fungus Factory For Taxol?“ (Science 260:154). Der Nachweis erfolgte jedoch eher indirekt über Immunoassay und Massenspektroskopie, nicht etwa mittels NMR-Spektrum an präparativ isoliertem Material. Infolge der Veröffentlichung erschienen über die Jahre geschätzt mehr als 150 Aufsätze, in denen nicht nur die mutmaßliche Entdeckung unkritisch übernommen wurde, sondern ständig neue Organismen auftauchten, die angeblich Taxol produzieren, unter anderem ganz unterschiedliche Pilze und selbst verschiedene Prokaryoten.

Erste Zweifel an der Plausibilität der Pilz-Taxol-Hypothese kamen auf, als Uwe Heinig, Susanne Scholz und Stefan Jennewein vom Aachener Fraunhofer-Institut für Molekularbiologie und Angewandte Ökologie im Jahr 2013 aufwendig durch DNA-Sequenzierung nachwiesen, dass die fraglichen Pilze gar nicht die genetische Ausstattung haben, die Schlüsselenzyme der Taxol-Biosynthese zu bilden (Fungal Divers. 60: 161-70). Die beständige Flutwelle an Veröffentlichungen wurde hierdurch jedoch nicht gebrochen. Gesunder Skeptizismus und veröffentlichte Bemühungen um eine Reproduktion der ursprünglichen Forschungsergebnisse? Fehlanzeige. Teils wurde die Publikation von Heinig et al. übergangen, teils zwar pflichtschuldig zitiert, aber dennoch in der Sache ignoriert.
Steile Hypothesen

Auf die sich aufdrängende Frage, wie ein sterisch komplexes Produkt des pflanzlichen Sekundärstoffwechsels, an dessen Genese aus dem Terpen Geranylgeranylpyrophosphat wohl mindestens 19 Enzyme beteiligt sind (vollständig aufgeklärt ist der Syntheseweg noch nicht), „zufällig“ in extrem entfernten Taxa aus dem Reich der Pilze auftauchen kann, wurden nie befriedigende Antworten gefunden. Wurden sie überhaupt ernsthaft gesucht?

Die bis heute in der Literatur vertretene Hypothese, es könne ein horizontaler Gentransfer stattgefunden haben, ist extrem unwahrscheinlich, zumal die enzymcodierenden Gene in T. brevifolia und T. baccata nicht geclustert vorliegen. Die sehr energieaufwendige Synthese eines sterisch anspruchsvollen Naturstoffes ist überdies nur dann evolutionsbiologisch plausibel, wenn Organismen daraus einen Vorteil ziehen. Für die Eiben könnte dies naheliegend die Abwehr von Herbivoren oder Schädlingen (etwa von parasitischen Pilzen) sein. Aber welchen ökologischen Vorteil sollten endophytische Pilze von der aufwendigen Taxol-Biosynthese haben? Taxol wirkt als Mitose-Inhibitor auf die eukaryotischen Zellen von Pilzen selbst als hoch potentes Zellgift. Eiben scheinen Taxol, das auch für sie cytotoxisch wirkt, in „hydrophobic bodies“ zu lagern (Phytochemistry 175: 112369). Hätten die Pilze unbekannte Mechanismen der Entgiftung, indem sie Taxol etwa chemisch deaktivieren oder ausschleusen, warum sollten sie den Wirkstoff dann erst aufwendig selbst synthetisieren? Möglicherweise befinden sich die endophytischen Pilze in der Eibe – abhängig von ihrem eigenen Lebenszyklus, und dem Stadium des sie umgebenden Pflanzengewebes – ohnehin in einem taxolhaltigen Milieu, was bislang nicht geklärt ist. Dann könnten sie sich aber gleichfalls die eigene Synthese sparen. Auch evolutionsbiologische Konvergenz, die äquivalent zur unabhängigen Entstehung von Gibberellinen in Pflanzen und Pilzen gelegentlich diskutiert wurde, ist angesichts des extrem anspruchsvollen Syntheseweges höchst unwahrscheinlich. Der einseitige Fokus auf medizinisches Anwendungswissen hat den Blick auf solche biologischen Grundsatzfragen offenbar verstellt.

Der Goldrausch führte bisweilen zu steilen Hypothesen: Etwa behauptete ein Forschungsteam, dass man in einer Nährlösung genmanipulierte Escherichia coli und Saccharomyces cerevisiae zusammenbringen könne, die über jeweils unvollkommene Synthesewege verfügten und dann komplementär einen unmittelbaren Vorläufer von Paclitaxel erzeugen könnten (Nat. Biotechnol. 33: 377-83). „Surprisingly, despite the promising initial results of their publications, no other research on the topic has been published“ (Plants 10: 569). Wirklich überraschend?

Zwar hatten die Nachweismethoden, die 1993 zur Verfügung standen, noch nicht die Präzision und Empfindlichkeit des heutigen Werkzeugkastens der Molekularbiologie und Biochemie. Inzwischen sollte man es aber besser wissen – spätestens seit im Jahr 2022 eine akribische Studie des Forschungsteams um Marc Stadler aus dem Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (in Zusammenarbeit mit Experten der Czech Academy of Sciences im Rahmen des EU-Projekts Mycobiomics) veröffentlicht wurde. Stadler ist einer der international profiliertesten Mykologen, der Jahrzehnte zu Naturstoffen aus Pilzen geforscht hat, elf Jahre davon in der Pharma-Forschung von Bayer. Die taxonomische Untersuchung ergab, dass der fragliche Pilz ein holzzerstörender Basidiomycet ist, was die These der Taxol-Produktion in anderen Pilzen aus der Abteilung der Ascomycota evolutionsbiologisch noch weniger plausibel erscheinen lässt (IMA Fungus 13: 17). Die Taxadien-Synthase für den entscheidenden ersten Syntheseschritt auf dem Weg zu Taxol konnte erneut gerade nicht nachgewiesen werden. Die Studie hielt im Ergebnis die Verunreinigung durch die Primärgewinnung der Proben aus der Rinde bzw. Rückstände in den Pilzen für die wahrscheinlichste Erklärung. Und man sparte nicht mit erfrischend deutlicher Kritik an der Qualität der zahlreichen fragwürdigen Veröffentlichungen der Dekaden zuvor. Wissenschaftsethos und konstruktive Skepsis wie im Team um Stadler und ein Wille, auch (vermeintliche) Negativergebnisse zu publizieren, sind leider – ganz allgemein und sehr zum Schaden der Wissenschaft – viel zu selten.

Titelbild einer Ausgabe von USA Today mit Meldung, dass das Krebsmittel Taxol in Pilzen vorkommt
Taxol aus Pilzen – sogar manchem Top-Medium war das einen Aufmacher wert.

Nie reproduziert

Tatsächlich fällt an der Publikationsbreite zu Taxol ein ungesundes Verhältnis zwischen sehr vielen Reviewbeiträgen und wenigen Originalarbeiten auf. Taxol soll zwar inzwischen in zahllosen Pflanzen-, Pilz- und Bakterien-Spezies nachgewiesen worden sein (J. Antibiot. 63: 460-7). Durchweg geht es aber um einmalige Veröffentlichungen, deren Ergebnisse nie reproduziert wurden. Angesichts des potenziellen Nutzens positiver Ergebnisse verwundert dies. Keiner Gruppe ist es gelungen, in Pilzen sowohl die notwendigen DNA-Sequenzen, die die Enzyme der Biosynthese codieren, als auch das Produkt Taxol gleichzeitig verlässlich nachzuweisen. Auffällig ist auch die hohe Zahl an Veröffentlichungen in Journalen der hinteren Reihe (etwa in der Hindawi-Gewichtsklasse). Zahlreiche Veröffentlichungen lassen Begründungslücken erkennen oder schöpfen (vielleicht auch aus Kostengründen) die Möglichkeiten nicht aus, die jedenfalls die Methoden der Molekularbiologie bieten würden. Der Blick scheint fokussiert auf die potenzielle Verwertbarkeit und den „financial revenue“, die auffällig oft in den abschließenden Diskussionen (bisweilen beinahe penetrant) angepriesen werden.

Wie erklärt sich das? Wir haben mit Marc Stadler gesprochen. Als einer der wenigen ausgewiesenen Experten wurde er unvermeidbar oft von Journalen um Gutachten im Peer Review gebeten. Er berichtet, dass ihm zudem als Editor nach dem Peer Review manche Artikel bis zu fünfmal über den Schreibtisch gewandert sind und von ihm aufgrund gravierender Mängel (namentlich bei Taxonomie und Detektionsmethoden) immer wieder abgelehnt wurden. Seiner Empfehlung, die Beiträge erneut einzureichen, wenn ein NMR-Spektrum zum Nachweis des Taxols vorliegt, sei nicht gefolgt worden. Texte wurden stattdessen nach unten durchgereicht und erschienen letztlich (mitunter an obskuren Orten), gleich welche Qualität sie haben. Solche Studien werden dann im Dickicht der Reviewbeiträge solange gleichermaßen gebetsmühlenartig wie ungeprüft zitiert, bis es zu einer mentalen Kanonisierung kommt. Wenn es alle schreiben, muss es ja irgendwie stimmen. Wirklich? Die angesichts der Zahl der Veröffentlichungen zunächst nicht naheliegende Hypothese, dass es sich bei den vermeintlichen Nachweisen von Taxol lediglich um einen wilden Haufen an Artefakten handeln könnte (McElroy & Jennewein, in: „Biotechnology of Natural Products“), gewinnt so gesehen durchaus an Plausibilität. Stadler legt (wie schon Heinig et al.) dar, dass die jeweils gemessenen Mengen an Taxol in Proben, die nicht selbst unmittelbar Eiben entnommen wurden und daher mit pflanzlichen Taxol-Rückständen kontaminiert sein könnten, durchweg so verschwindend gering waren, dass ein verlässlicher Nachweis (auch mit empfindlichen Methoden) gar nicht möglich wäre. Die Untersuchungen seien daher – so Stadler – auch in der pharmazeutischen Industrie nie als aussichtsreicher Ansatz ernst genommen worden, in den man Forschungsgeld und -zeit investieren müsste, schon weil sich keine der Befunde reproduzieren ließen. Derartige Korrekturen werden aber leider nicht veröffentlicht.

Genau dreißig Jahre nach der vermeintlichen Entdeckung der Taxol erzeugenden Pilze und einer Flut an Veröffentlichungen vor allem in den Goldrauschjahren hat immer noch niemand mit hinreichender Verlässlichkeit Taxol aus einer Pilz- oder Bakterienkultur gewonnen. Es kam in den allermeisten Fällen vermeintlich spektakulärer Entdeckungen auch zu keinen Folgepublikationen. Sollte es Anschlussforschung oder sogar Replikationsstudien gegeben haben, wurden diese zumindest nicht publiziert. Bis heute findet sich gleichwohl in fast jedem Lehrbuch zur Pharmazeutischen Biologie ein Hinweis auf Fungi, die ebenfalls Taxol produzierten, allerdings bislang angeblich nur in zu geringer Ausbeute. Der grundlegende Beitrag aus Stadlers Team war insoweit auch ein Interventionsversuch in einer längst havarierten Debatte. Viele junge Wissenschaftler seien – so Stadler – „in die Irre geführt“ worden. „Das sollte man langsam stoppen“. Und in der Tat wurde mit zahllosen Studien, die sich womöglich auf einem – spätestens nach Heinig et al. im Jahr 2013 – vermeidbaren Irrweg befanden, schon jetzt viel Geld und Zeit (das Lebenselixier aller Forschenden) verbrannt.

Ignorierte Evidenz

Auch dem Team um Stadler war in der schonungslosen Flurbereinigung aufgefallen, dass ein kritischer Skeptizismus im Umgang mit den Materialbergen nicht zu den Stärken der Taxol-Story zählt. Immense Fortschritte der Genomforschung mit Blick auf den Sekundärstoffwechsel der Pilze (vgl. Nat. Rev. Microbiol. 17: 167-80) wurden geflissentlich ignoriert. „The fact that some of these papers were published rather recently (ignoring the evidence that has accumulated on the genetics of secondary metabolite biosynthesis) causes us to question whether the reviewers and editors of the respective journals have had the necessary level of expertise to rigorously assess the submissions“, konstatieren Stadler et al. (IMA Fungus 13: 17).

Fragwürdiger Diskurs

Zuletzt ist in diesem Jahr ein Review-Beitrag aus dem Forschungsumfeld des Kieler Biologen Frank Kempken erschienen, der die einzelnen Schritte eines möglichen Biosyntheseweges entwirft, indem bisherige Befunde aus der Literatur zusammengeführt werden (Appl. Microbiol. Biotech. 107: 6151-62). Der kritische Beitrag des Stadler-Teams wurde beiläufig in einer Tabelle zu erfolgten Sequenzierungen zitiert, allerdings noch nicht der dortige – bislang unwidersprochene – Negativbefund gewürdigt. Frank Kempken berichtete uns jedoch, dass auch ihm Unstimmigkeiten aufgefallen waren. Beispielsweise seien in manchen Beiträgen Homologien der Gensequenzen zwischen Pflanze und Pilz mit einem Grad der Übereinstimmung behauptet worden, die aus der Sicht der Genetik – also seines Faches – sehr unwahrscheinlich erschienen. Über eine (noch nicht ganz abgeschlossene) Genom-Sequenzierung seien in seinem Labor zwar einzelne Gensequenzen in Pilzgenomen (von Lasiodiplodia theobromae und Pestalotiopsis microspora) gefunden worden, deren abgeleitete Aminosäure-Sequenzen etwa 30 bis 60 Prozent mit denen pflanzlicher Taxol-Enzyme übereinstimmten. Im Übrigen ließen sich aber entsprechende Synthesegene nicht nachweisen. Eine evolutionsbiologische Konvergenz sei zwar nicht von vornherein auszuschließen. Dass diese aber nicht gerade wahrscheinlich sei, räumte er auf unsere Nachfrage ein. Die Richtigkeit der Befunde anderer Veröffentlichungen, so Kempken, habe man zunächst einmal vorausgesetzt. Viel spräche aber auch aus seiner Sicht dafür, dass es sich bei den Positivbefunden um (nie auszuschließende) PCR-Artefakte handele. Taxol habe man auch in den oben genannten Pilzarten nachgewiesen, aber mit der Unsicherheit einer qualitativen Analyse. Die experimentellen Ergebnisse und kritische Schlussfolgerungen sollen alsbald veröffentlicht werden.

Taxol aus Pilzen also ein Hoax? Wir haben weder die Fachkompetenz noch das Ziel, die Richtigkeit von Forschungsergebnissen und -methoden zu bewerten. Uns geht es allein um die fragwürdige Art, mit der manche wissenschaftlichen Diskurse geführt werden. Im konkreten Fall wurden kritische Nachfragen anscheinend lange Zeit vermieden und fundierte Negativbefunde geflissentlich ignoriert, statt sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Die „Nachweisapparate“ wurden zwar immer länger. Reviewbeiträge zitieren andere Reviewbeiträge, die einen vermeintlichen Stand der Forschung bereinigt zusammenstellen, aber letztlich ihrerseits nur Veröffentlichungen sammeln und sortieren, ohne dass jemand die mitunter lückenhaft begründeten oder überraschenden Ergebnisse der Originalarbeiten kritisch hinterfragt. Vorsichtige Vermutungen werden wie positive Nachweise zitiert. Die vorrangige epistemische Funktion des Zitats wäre es aber, die Genealogie eines Gedankens nachvollziehbar und kritisch überprüfbar zu machen. Möglicherweise hat ein ausgeprägter disziplinärer Tunnelblick Forschende auf Irrwege geschickt. Durchweg waren es Biochemikerinnen und Biochemiker, die sich um die Isolierung und den Nachweis von Taxol bemühten. Biologischer Sachverstand – namentlich aus Botanik, Mykologie, Evolutionsbiologie und Ökologie – wurde selten eingebunden und es wurden selten qualifizierte Kontrollüberlegungen biologischer Plausibilität angestellt. Wie dieser Fall belegt, erfordert auch extrem spezialisierte naturwissenschaftliche Forschung in den Life Sciences ein gesundes Maß an Offenheit für Interdisziplinarität.

Beispiel für Dysfunktionalität

Unspektakuläre Negativergebnisse, die den Goldrausch vielleicht nicht beendet, aber doch gebremst hätten, waren scheinbar für Journale nicht so attraktiv wie Positivbefunde. Wissenschaft ist deshalb verlässlich, weil sie einer permanenten Überprüfung standhalten muss. Wissenschaftliches Wissen erlangt seinen epistemischen Härtegrad dadurch, dass es in einem Evolutionsprozess stets vorläufig ist, potenziell falsifiziert werden kann und sich permanent dem Säurebad sorgfältiger Kritik aussetzen muss. Das schließt auch konstruktive Irrtümer und ihre Widerlegung ein. Mit Ernst Mach: „Der klar erkannte Irrtum ist als Korrektiv ebenso erkenntnisfördernd wie die positive Erkenntnis“ („Erkenntnis und Irrtum“, 3. Aufl. 1917).

Belastbare Evidenz dürfte gegenwärtig eher gegen die Synthese von Taxol durch Pilze sprechen (Fungal Diversity 121: 95-137). Ob es überhaupt Spezies jenseits von Arten der Gattung Taxus gibt, die Taxol biosynthetisieren, muss seriöse, akribische und belastbare Forschung zeigen. Der Fall Fungi-Taxol ist unabhängig hiervon schon jetzt ein Beispiel für Dysfunktionalitäten eines Wissenschaftssystems, das Masse statt Klasse honoriert und in einem gehetzten Betriebstempo immer weitere Publikationsberge (und Patente) anhäuft, die die Funktion von Wissenschaft verfehlen – nämlich verlässliches Wissen über die Welt bereitzustellen. Das ist der Nährboden, auf dem saprophytisch schlechte Wissenschaft gedeiht und ein Milieu schafft, in dem irgendwann auch wissenschaftliches Fehlverhalten nicht mehr auffällt.

Klaus Ferdinand Gärditz
ist Professor für Öffentliches Recht an der Universität Bonn.

Hjördis Czesnick
leitet die Geschäftsstelle des Ombudsmans für die Wissenschaft der Deutschen Forschungsgemeinschaft in Berlin.