Editorial

Reformvorschlag gescheitert - Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG)

Mario Rembold


(15.05.2023) Eine Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes sollte die Befristungsmöglichkeiten nach der Promotion auf drei Jahre begrenzen. Ein gut gemeinter Vorschlag, der aber einhellig kritisiert wird.

Wenn Interessenverbände der Arbeitnehmer und Arbeitgeber zu einer Sache gleicher Meinung sind und gemeinsam einen Reformentwurf stoppen, ist das allein schon eine Meldung wert. Geht es dabei um einen Zankapfel, der schon seit anderthalb Jahrzehnten im Raum steht und mit dem niemand so richtig glücklich ist, überrascht es aber doch, wie solch ein Entwurf überhaupt in einem Eckpunktepapier landen konnte. Fast will man fragen: Haben die politischen Akteure in all der Zeit überhaupt irgendwem zugehört?

Es geht um das Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG), das vor allem im Hochschulbetrieb den Alltag der Doktoranden und Postdocs bestimmt. Denn wissenschaftliches Personal darf vor der Promotion sechs Jahre lang über befristete Verträge beschäftigt sein, nach der Promotion sind weitere sechs (in der Medizin sogar neun) Jahre möglich, bevor ein unbefristeter Vertrag folgen muss. Die großzügigen Befristungsmöglichkeiten sollen Durchlässigkeit, Flexibilität und Innovation der Wissenschaft fördern. Faktisch ausgelegt wird das WissZeitVG an den Unis aber wie ein Gebot zur Befristung mit einem Berufsverbot nach Ablauf der zweimal sechs Jahre – sofern man keine Professur ergattern konnte.

Wissenschaftszeitvertragsgesetz, die Zeit läuft
Foto: AdobeStock / larshallstrom

Befristung als Normalzustand

Seit 2007 bringt das WissZeitVG junge Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen in Bedrängnis, weil sie sich über kurze Laufzeiten an Kettenverträgen entlanghangeln und häufig in Unsicherheit gelassen werden, ob sie etwa eine Promotion überhaupt auf einer bezahlten Stelle zu Ende führen können. Einzelschicksale stellten wir immer wieder im Laborjournal vor, und die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) fordert seit jeher, dass die Vertragslaufzeiten auch tatsächlich der jeweiligen Projektdauer entsprechen. Eine Promotion, die in Deutschland im Schnitt knappe sechs Jahre dauert, sollte demnach auch mit einem über die kompletten sechs Jahre laufenden Vertrag abgesichert sein – nicht über gestückelte Verträge, die in der Vergangenheit nicht selten Laufzeiten von deutlich unter einem Jahr hatten. Wenn schon Befristung, dann mit planbaren Perspektiven!

Dass es jenseits der Professur für Forschende aber praktisch keine unbefristeten Verträge in der deutschen Hochschullandschaft gibt, stößt ebenfalls auf Kritik. Laut jüngster Evaluierung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) waren auch 2020 noch immer 84 Prozent der wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an Universitäten befristet beschäftigt. Die Kritik am Befristungsverhalten der Unis ist nicht neu. 2016 zum Beispiel beklagte die Augenforscherin und Professorin Ursula Schlötzer-Schrehardt den Mangel an Dauerstellen im akademischen Mittelbau. Die üblichen Karrierewege mit der Professur als einzig mögliches Ziel seien familienfeindlich und benachteiligen insbesondere Frauen (siehe „Das gängige Karriere-Schema ist frauenfeindlich“ vom 01.03.2016 auf LJ online - Link). Selbst unter denjenigen, die es bis zur Professur geschafft haben, gibt es also Unmut über die Befristungspraktiken zwischen Master und Berufung. Und das schon seit Jahren!

Kann man also die Universitäten motivieren, ihren Mitarbeitern während und nach der Promotion sichere und gegebenenfalls sogar unbefristete Perspektiven zu bieten? Hierzu legte das BMBF Mitte März ein Eckpunktepapier vor, das nach der Promotion eine Senkung der Höchstbefristungsdauer von sechs auf drei Jahre vorsieht. Ein sicher gut gemeinter Vorschlag, denn ein Postdoc müsste anschließend einen unbefristeten Vertrag bekommen. Umgekehrt aber könnte das zu einem faktischen Berufsverbot führen, das einfach nur um drei Jahre vorgezogen ist. Hatte der Postdoc bislang bis zu sechs Jahre Zeit, über befristete Verträge an eigenen Forschungsprojekten zu arbeiten, müsste er oder sie nach der Promotion nun innerhalb von drei Jahren bereit sein für die Professur – oder für immer aus der akademischen Forschung verschwinden. So zumindest die Sorge.

Es ist kompliziert

Das mag man als Panikmache sehen, geschürt von denen, die den Status quo beibehalten wollen und sich ohnehin immer jeglicher Reform verweigern. Hört man aber allen Seiten zu, so zeigt sich die Thematik tatsächlich komplexer. Auch wenn eingangs von Arbeitnehmer- und Arbeitgeberinteressen die Rede war, so lassen sich hier nicht pauschal zwei Lager gegenüberstellen. Tatsächlich hat jemand, der möglichst schnell die Professur anstrebt, ganz andere Interessen als derjenige, der gern als promovierter Forscher an der Uni bleiben würde. Beide könnten aber als Postdocs im selben Labor stehen. Die Universitäten wiederum sind keine klassischen Arbeitgeber, die auf eine Gewinnmaximierung hinsteuern oder vom Markt verschwinden können. Sie sind durch regelmäßig fließende Geldmittel limitiert, die die Professoren und Arbeitsgruppenleiterinnen dann durch Drittmittel aufstocken müssen, um eigene Projekte voranzutreiben.

Zurück zum Eckpunktepapier des BMBF: Kaum war es veröffentlicht, hagelte es Kritik. Schnell war klar: Die Vorschläge werden es nicht in einen Reformentwurf zum WissZeitVG schaffen. Dafür berief das BMBF eine Anhörung ein, zu der vor Ort und per Stream zugeschaltet insgesamt 13 Repräsentanten unterschiedlicher Organisationen geladen waren: GEW, Deutscher Hochschulverband (DHV), das Netzwerk für Gute Arbeit in der Wissenschaft (NGAWiss), die Helmholtz-Gemeinschaft, die Max-Planck-Gesellschaft und #IchBinHanna-Mitbegründerin Amrei Bahr, um nur einige zu nennen.

Anlass zur Diskussion war jene Dreijahresregel nach der Promotion, die einhellig, wenn auch mit unterschiedlichen Argumenten, kritisiert wurde. Ein Resümee seitens des NGAWiss dürften wohl die meisten Anwesenden unterschreiben: Ob man nun Dauerstellen im Mittelbau schaffen oder den Weg zur Professur stärken will, das Limit der drei Jahre verbindet „das Schlechteste aus beiden Welten“. Ein Arbeitgeber, der nach wie vor nicht willens ist, unbefristet zu beschäftigen, wird dann eben den Dreijahresvertrag auslaufen lassen. In dieser Zeit wird sich aber kaum ein Postdoc habilitiert und für eine Professur qualifiziert haben. Darauf weist zum Beispiel der Biochemiker und Präsident der Gesellschaft für Biochemie und Molekularbiologie Volker Haucke in einem Interview mit Laborjournal hin (siehe „Praktisch ein Berufsausübungsverbot“ vom 03.04.2023 auf LJ online - Link). Viele dürften nach den drei Jahren also ohne Job und ohne Aussicht auf eine Professorenkarriere dastehen.

Steffen Mau, der für die Initiative #ProfsFürHanna in der BMBF-Runde saß, mahnte, dass Hochschulstrukturen derzeit nicht empfänglich seien für Veränderungen. Er wünschte sich statt einer linearen Karriereleiter zur Professur mehr Abzweigungen oder „Balkone“ und „Einstiegsluken“, die nicht alle zwangsläufig zu einer Professur führen müssen. Dauerstellen schaffen könnte man auch für Funktionen wie „Lecturer“, und nicht alle Mittelbaumitarbeiter müssten einem Lehrstuhl zugeordnet sein. Amrei Bahr betont ebenfalls, dass man wegkommen solle von einem „Entweder-oder“ im Hinblick auf die Professur. Wer sich für eine Dauerstelle im Mittelbau entscheidet, sollte sich auch von dort aus weiterentwickeln und auf eine Professur hinarbeiten können.

Frauenförderung nur in der Stellenausschreibung?

Klar ist: Wer nicht allein die Forscherkarriere auf seiner Bucketlist hat, sondern auch eine Familie gründen möchte, für den fallen all die beruflichen Unsicherheiten mit Befristungen und Umzügen genau in die Phase, in der üblicherweise Kinder zur Welt kommen und vielleicht sogar ein Hauskauf ansteht. Wer sich also an einem Ort niederlässt, bräuchte Planbarkeit – schon allein was den Wohnort betrifft.

Porträt Lisa Janotta
Lisa Janotta, Netzwerk für Gute Arbeit in der Wissenschaft: „Die Qualität der Forschung leidet unter diesem System!“ Foto: Univ. Rostock

Unstrittig scheint auch – egal wie viele Gendersternchen und Beteuerungen zum Bevorzugen von Frauen bei gleicher Eignung in der Stellenausschreibung einer Uni stehen: Wer mitten in der Doktorarbeit schwanger wird, genau in einer Zeit, in der der befristete Vertrag ausläuft, wird wohl keine Verlängerung bekommen. Für Schwangere gibt es an Universitäten keinen Kündigungsschutz (bitte schreiben Sie uns gerne, falls Sie als werdende Mutter und Doktorandin oder Postdoc andere und positive Erfahrungen gemacht haben!). Diesen „Dropout von Frauen“ könnte die Verkürzung der Postdoc-Zeit auf drei Jahre noch verschärfen.

Ob eine Frauenquote, die als Vorschlag eingeworfen wurde, dieses Problem löst, ist fraglich. Sicher würde man Frauen ohne Kinder- oder Familienwunsch einen Vorteil verschaffen. Doch benachteiligt sind ohnehin jene Forscherinnen, die Schwangerschaft, Kind und Karriere unter einen Hut bringen wollen, und die wären auch weiterhin durch kurze Vertragslaufzeiten jederzeit kündbar. Vielleicht könnte aber eine Quote für unbefristete Verträge an Unis die Lage entschärfen (bei der dann natürlich junge Frauen nicht benachteiligt werden dürfen). Übrigens betont DFG-Präsidentin Katja Becker, dass es schon jetzt jederzeit möglich sei, DFG-Gelder auch für Dauerstellen zu nutzen. Drittmittelförderungen stehen demnach also nicht zwangsläufig im Widerspruch zu unbefristeten Verträgen.

Das Video der Anhörung vom 30. März beim BMBF ist in voller Länge abrufbar (Stand am 20.04.2023: https://kurzelinks.de/u79l).

Gute Forschung wird verhindert

Persönlich sprechen konnten wir mit Lisa Janotta. Die Sozialpädagogin engagiert sich für das NGAWiss und kennt die Befristungen von ihrer eigenen Karriere. Seit einem halben Jahr habe sie eine 100-Prozentstelle, was ziemlich selten sei in der Wissenschaft. „Mein jetziger Arbeitsvertrag geht insgesamt drei Jahre“, erklärt sie, „ich habe auch keine Aussicht auf Entfristung an meinem aktuellen Arbeitsplatz“. Neben der Unsicherheit für die persönliche Lebensplanung nennt Janotta noch ein weiteres Argument gegen Verträge mit kurzen Laufzeiten und den Mangel an Dauerstellen: „Das ist absolut forschungs- und lehrfeindlich, die Qualität der Forschung leidet unter diesem System!“

Porträt Peter Loskill
Peter Loskill, MicroOrganoLab der Universität Tübingen: „Die meisten Profs würden gerne mehr Mitarbeiterinnen langfristig einstellen.“ Foto: Univ. Tübingen

Das beginnt mit der halben Stelle, die man dann aber faktisch doch in Vollzeit oder darüber hinaus ausfüllt. Mehr als zehn Überstunden pro Woche kommen in einer Teilzeitstelle durchschnittlich zusammen. „In einer eigenen Evaluation zum WissZeitVG haben wir nach den Gründen gefragt, und die Antwort lautet: Weil die Qualifikation anders nicht zu leisten wäre.“ Hinzu kommen neben der eigenen Forschung die Lehre oder Sitzungen im Institut. „Solche Dinge halbieren sich nicht zwangsläufig, nur weil ich eine halbe Stelle habe.“ Würde man sich an die Arbeitszeit halten, würde ein Forschungsprojekt auf halber Stelle doppelt so lange dauern. „Die sechs Jahre laut WissZeitVG verlängern sich aber nicht dadurch, dass ich eine halbe Stelle habe“, stellt Janotta hierzu klar – und anschließend fest: „Um in der Wissenschaft zu bleiben, muss ich de facto voll arbeiten.“ Bei ihr seien es nun zehn Jahre, die sie in der Forschung arbeitet, immer auf befristeten Verträgen. „Anstatt mich auf die Forschung zu konzentrieren, habe ich meinen Drittmittelantrag wieder eingereicht. Ich bewerbe mich auf Professuren, muss meine Wohnung auflösen – lauter Dinge, die meine eigentliche Arbeitszeit wegfressen.“

Wo befristete Verträge nicht verlängert werden, bleiben Projekte oft unabgeschlossen. Letztlich sei das Geldverschwendung, findet Janotta. Und der Wechsel an eine neue Uni mit einem neuen befristeten Vertrag ist mit einer Einarbeitung verbunden. „Man muss sich wieder neu in ein anderes komplexes Thema einlesen. Viel gute Forschung wird also verhindert durch die Kurzlaufzeiten!“

Nun mag man fragen, warum die Wissenschaft dieses Sonderrecht für sachgrundlose Befristungen für sich einfordert. Projekte seien begrenzt, hört man oft. Doch auch der Bauunternehmer muss sich nach einem neuen Projekt umschauen. Er darf seine Mitarbeiter nicht mit dem Argument über Kettenverträge befristen, dass er ja nicht wisse, ob in zwei Jahren wirklich ein neuer Kunde ein Haus in Auftrag gibt. Ebenso sollte man doch auch die Unis in der Pflicht sehen, neue Drittmittel einzuholen, und könnte das analog zur Kundenakquise sehen.

Janotta räumt aber ein, dass diese Situation nicht auf Hochschulen übertragbar ist. „Man muss immer mitdenken, dass eine Uni anders funktioniert als die freie Wirtschaft und auch das Recht zur betriebsbedingten Kündigung im öffentlichen Dienst so nicht greift. Das ist in Großbritannien härter, dafür kann man dort aber auch leichter entfristet werden.“ Würde also eine Universität in Deutschland keine Arbeit mehr für einen unbefristet eingestellten Mitarbeiter haben, müsste sie beweisen, dass es im gesamten Land keine alternative Beschäftigung gibt. „Arbeitsrechtlich ist das eine große Hürde.“

Porträt Fabian Theis
Fabian Theis, Computational Health Center Helmholtz Zentrum München: „Befristungsbeschränkungen spielen für uns keine Rolle.“ Foto: Astrid Eckert, TUM
Alternativen zur Professur

Trotzdem betont Janotta die Forderung des NGAWiss: „Entweder eine direkte Entfristung nach der Promotion oder allenfalls eine minimale Übergangszeit; und befristete Verträge nur mit einer Anschlusszusage, wenn man nochmal eine Zwischenqualifikation erreicht.“

Auch die Forderungen der GEW gehen in eine ähnliche Richtung, erklärt uns deren stellvertretender Vorsitzender Andreas Keller. „Es gibt gute Erfahrungen mit dem Tenure Track“, nennt er ein Beispiel. Er könnte sich dazu analog vorstellen, weiterhin eine Befristung von sechs Jahren nach der Promotion zuzulassen, aber mit einer Entfristungszusage, die an bestimmte vorab vereinbarte Ziele gekoppelt ist. „Natürlich muss das transparent sein und erreichbar, denn sonst lädt das zum Missbrauch ein“, betont Keller. Die GEW stellt aber klar, dass eine Promotion der höchste Bildungsabschluss ist und man ja spätestens mit dem Master als Wissenschaftler qualifiziert ist. Auch Keller beklagt daher das Alles-oder-nichts-System in Deutschland, bei dem man alles auf die eine Karte der Professur setzen muss.

Ein kurzer Rückblick ins Jahr 2016: Es gab damals bereits eine Reform des WissZeitVG, mit der Vorgabe, dass Befristungen eine zu Projekten und Qualifizierungen passende Laufzeit haben sollen. „Bei den Qualifizierungsbefristungen wissen wir, dass die heute durchschnittliche Laufzeit bei 18 Monaten liegt. An Unis und an Fachhochschulen bei 15 Monaten.“ In dieser Zeit schließt man sicher kein hochwertiges Forschungsprojekt ab. Doch handelt es sich tatsächlich nur um eine unscharf formulierte Soll-Regelung.

Auch wenn Verträge mit Laufzeiten von unter einem Jahr inzwischen deutlich seltener sind – selbst dafür brauchte es die Reform von 2016. Keller: „Ohne einen gewissen Druck geht es also nicht. Die Hochschulen und Forschungseinrichtungen sagen seit Jahren, sie machen das schon selbst und brauchen keine Gesetzesnovelle. Sie verpflichten sich zu Dauerstellenkonzepten und hatten natürlich jahrelang Zeit, so etwas umzusetzen. Das ist nicht passiert.“

Verstopfte Karrierewege?

Eine Sorge lautet, dass Dauerstellen im Mittelbau die Karrierewege „verstopfen“. Wer sollte noch eine Doktorandenstelle bekommen, wenn der vorherige Doktorand jetzt unkündbar ist? „Für die Promotion trifft das schon deswegen nicht zu, weil niemand, nicht einmal die GEW, Dauerstellen für die Promotionsphase fordert“, stellt Keller klar. „Wir sagen, dass wir Laufzeiten brauchen, die im Verhältnis stehen zur Dauer der Promotion. Im Regelfall sechs Jahre, aber mindestens vier.“

In der Postdoc-Phase würde das „Verstopfen“ nur greifen, wenn man von immer neuen Generationen an Postdocs ausgeht. Allerdings: „In der Tat gehört zu unserem Konzept dazu, dass das Nadelöhr, das wir jetzt beim Übergang zur Professur haben, ein Stück weit vorverlagert wird. Wir sollten nicht unbegrenzt Postdocs ins System lassen und dann keine Verantwortung dafür übernehmen, was aus ihnen wird. Sie sollten eine Perspektive haben, wenn man sie ins System lässt, aber keine falschen Versprechungen bekommen. Auch diese Wahrheit müssen wir aussprechen!“ Folglich ist damit auch für die GEW die Dreijahresregel nach der Promotion keine gute Option, weil sie keinerlei Perspektiven schafft und nur ein bereits bestehendes Problem verschärft.

Das BMBF nimmt die Kritik an jener Dreijahresregel nach eigenen Angaben ernst und beschreibt den Austausch hierzu als konstruktiv. Per E-Mail schreibt uns die Presseabteilung: „Zudem sieht die Bundesregierung ein großes Potenzial in der unbefristeten Anstellung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern auch mithilfe von Drittmitteln. Beispielsweise ermöglichen die Regularien der Projektförderung des BMBF grundsätzlich auch, die Tätigkeit von unbefristet angestelltem Personal in Projekten zu finanzieren.“ Ob das allen Unis schon bekannt ist?

Gute Postdocs wollen gute Bedingungen

Wir haben auch ein paar Eindrücke gezielt aus der biomedizinisch forschenden Community gesammelt. „Fakt ist, dass es in Deutschland in der universitären Forschung zu wenige Karrieremöglichkeiten neben der Professur gibt. Hier müsste es unbedingt Lecturer- und Senior-Scientist-Stellen geben“, schreibt uns Peter Loskill, Leiter des MicroOrganoLab der Uni Tübingen. Zur Frage, ob es seitens der Professorenschaft ausreichend Solidarität gegenüber den Doktoranden und Postdocs gibt, meint Loskill: „Ich würde behaupten, die meisten Profs (mich eingeschlossen) würden liebend gerne mehr Mitarbeiterinnen langfristig einstellen. Das steht meistens aber gar nicht in deren Entscheidungsgewalt.“ Hier seien Vorgaben der Uni oder die Abhängigkeit von Drittmitteln limitierend.

Steffen Prowe von der Berliner Hochschule für Technik und Projektleiter des MINT-VR-Lab wünscht sich, dass man auch Forschern, die jünger sind als 50, eigene Projekte zutraut. „Und genau dafür benötigen jüngere Menschen eine Perspektive, die nicht durch ‚alte’ Menschen verstellt wird beziehungsweise von diesen abhängig ist. Es ist zudem ein Irrglaube, dass sich genau diese dann unbefristeten jungen Menschen nicht bewegen würden.“ Vielmehr ist Prowe sicher, dass sich auch unbefristet angestellte Wissenschaftler auf andere Stellen, zum Beispiel im Ausland, bewerben werden und damit Platz machen für Nachrücker.

Allerdings ist ein junger Wissenschaftler nicht in allen Disziplinen in der unterlegenen Position. Fabian Theis hierzu: „Ich arbeite in der Computerbiologie, wir wenden KI auf biomedizinische Daten an.“ In diesem Feld aber gebe es einen hohen Bedarf an guten Leuten. „Daher spielen Befristungsbeschränkungen für uns absolut keine Rolle. Im Gegenteil, wir brauchen maximale Flexibilität, um im Wettbewerb gute Leute zu bekommen, die sich Stellen überall aussuchen können.“ Theis erklärt weiter, dass an seinem Institut Juniorgruppen-Positionen mit Tenure Track oft schon zeitig nach der Promotion angeboten werden. „Sogar Kandidaten, die noch nicht verteidigt haben.“

Bioinformatiker Nils Blüthgen von der Berliner Charité wünscht sich einen flexibleren Umgang mit der Lehre, um Personen mit hohem Forschungsoutput entlasten zu können. „Wir sollten Personen früh auf unbefristete, aber eben auch unabhängige Positionen berufen, wie beispielsweise Lecturer in England, und nicht auf Assistenzstellen in Lehrstühlen. Diese Personen müssen dann die Chance haben, innerhalb der Einrichtung aufzusteigen.“

Vielleicht gibt es also gar keinen so großen Widerspruch zwischen Flexibilität und Sicherheit. Vielleicht könnte man das eine tun, ohne das andere zu lassen. Zu guter Letzt: Selbst für die Forscher, die gar nicht an einer unbefristeten Beschäftigung interessiert sind, zum Beispiel weil sie nur für eine begrenzte Zeit als Postdoc nach Deutschland kommen, muss sichergestellt sein, dass sie ihr Projekt fertigstellen können. Ob es nun gesetzlich erlaubt ist oder nicht: Mit einem 18-monatigen Vertrag werden wir den wirklich talentierten Postdocs kein Projekt schmackhaft machen können.

Und, als persönliche Meinung des Autors: Ein reformiertes WissZeitVG sollte frei sein von „Soll“-Bestimmungen. Sie kosten nur unnötig Druckerschwärze.