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Journal Impact Factor, Science Score und Co. – die Daten-gesteuerte Wissenschaft droht sich am Ende zu Tode zu perfektionieren.
Wie sollte Blissett dem Research Invest Manager seiner Universität diese Pleite erklären? Hätte er sich doch nicht auf das Projekt mit dem Kollegen Bourbaki eingelassen. Das Ziel war höchst ambitioniert, die Forschung versprach einen revolutionären Durchbruch, der Partner war blitzgescheit, jedoch mit abschreckend niedrigem Science Score versehen. Science Grower ratete Bourbaki damals mit B und Science Partner riet Blissett zu einer Kooperation mit dem AAA+ bewerteten Monty Cantsin.
Blissett entschied sich gegen die Empfehlung und für Bourbaki, hoffend, Neues erforschen zu können, abseits des Findens immer kleinteiligerer Details in einer erlahmten Mainstream-Forschung. Die Ergebnisse waren tatsächlich atemberaubend und neuartig – so neuartig leider, dass sie nicht zur Kenntnis genommen wurden. Blissetts Score rauschte von AAA auf BB+, alleine wieder AA zu erlangen, erforderte eine Ochsentour: Rasch helfen würde das Einwerben von Projekten, ein Weg, der mit seinem derzeitigen Score nahezu versperrt war. Blissetts Chance, die erste, maschinelle Prüfrunde durch Funding Targeter zu überstehen, war gering. Er war zudem kein sonderlich attraktiver Partner. Nur ein Hasardeur würde sich darauf einlassen, mit einem BB+-gerateten Wissenschaftler zu kooperieren – zumal Blissett beileibe kein Aufsteiger war: Seine Trendanalyse wies einen massiven Kursverfall aus.
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Ihm blieb der steinige Weg: Artikel produzieren auf Teufel komm raus, auch kein Zuckerschlecken. Journale mit hohen Ratings bewerteten Einreichungen mit dem Automatic Assessment Assistent, schwach eingestufte Texte wurden umgehend aussortiert. Die Bewertungskriterien waren unbekannt, klar war nur, dass der Science Score der Autoren sowie der Inhalt der Einreichung zählten. Blissetts Score verhieß nichts Gutes, demnach musste er durch den Inhalt glänzen.
Glücklicherweise konnte seine Universität sich den Emerging Trends Checker leisten. Dieser unterstützt Autoren beim Verfassen von Einreichungen, indem er sicherstellte, dass der Text die von Trending Science als zukünftig relevant ermittelten Forschungsfragen ebenso widerspiegelte wie Themen der AAA+-Autoren. Ein Luxus, den sich die Universität nur erlauben konnte, solange sie ausreichend Geld verdiente. Ein BB+-ler wie Blissett war da keine große Hilfe, dachte der Research Invest Manager, als er jenen begrüßte: „Ich hoffe, Sie haben Zeit mitgebracht, wir müssen einen Dreijahresplan für Ihren Score entwerfen.“
Sollte Blissett weiter underperformen, nun ja: SciHunter hatte ihm eben einen Shooting Star in dessen Fach als neuen Kandidaten für eine Professur vorgeschlagen, der in zwei Jahren von B+ auf A gestiegen war...
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Zurück ins Hier und Jetzt. Allerdings – Blissetts Welt kennt mehr Gegenwart, als man denken oder fürchten mag. Anbieter der Dystopie sind zum Beispiel Elsevier, Digital Science (früher zur Nature Publishing Group gehörend, trotz deren Merger mit Springer noch im Besitz von Holtzbrinck) und Clarivate Analytics. Clarivate bietet zum Beispiel seit 2017 die Zitationsdatenbank Web of Science inklusive der Journal Citation Reports an, anhand derer Journal Impact Factor-Werte berechnet werden.
ÜberResearch aus dem Digital-Science-Portfolio bietet Entscheidungshilfen für Wissenschaftsförderer und stand Pate für den Funding Targeter.
Auch der Emerging Trends Checker hat ein Pendant bei Digital Science: Peerwith „is a marketplace connecting researchers to experts in their field offering a plethora of author services to ensure their academic work is ready to be communicated in the best possible way to enhance its scientific impact“ (Digital Science, 2018b).
SciHunter, Science Partner und Trending Science gemahnen an Clarivates’ Professional Services, angepriesen wie folgt: „Gain powerful insights into cutting-edge science and the contributions made by researchers, institutions and funding bodies. Use this data to plan your recruitment, retention, collaborative outreach, and funding investment strategies“ (Clarivate Analytics, 2018b). Starke Ähnlichkeiten finden sich auch bei Clarivates dieserart beworbenen Essential Science Indicators: „Essential Science Indicators delivers the in-depth coverage you need to effectively analyze and benchmark research performance, identify significant trends, rank top performers, and evaluate potential employees and collaborators“ (Clarivate Analytics, 2018a).
Selbst der Science Grower ist kein Fantasieprodukt, Elsevier vermarktet „SciVal“, eine der Blaupausen für ihn, unter anderem durch Nennung dieser Features (Elsevier, 2018b):
Digital Science kennt mit Dimensions ein ähnliches Angebot zur Strategie-Entwicklung; das Gleiche gilt für Clarivate Analytics mit InCites. Ausrichtungsentscheidungen müssen informiert sein, die benötigten Daten fallen in einer Vielzahl von Systemen an, die etwa Elsevier über die Jahre gekauft oder gelauncht hat, und können in SciVal aufbereitet und ausgewertet werden (eine detaillierte Darstellung findet sich in Herb, 2018). Zum Portfolio Elseviers gehören heute unter anderem:
Gesucht werden Patienten mit ungeklärter Entwicklungsstörung, Epilepsie und Sprachschwierigkeiten mehr
Die anfallenden Daten sind erstaunlich vielfältig: Scopus steuert klassische Impact-Informationen bei; PLUM X liefert Altmetrics-Scores dazu; PURE wertet diese intern zusammen mit Projekt-/Finanzdaten aus; Mendeley beinhaltet Informationen über die Häufigkeit, mit der Publikationen als wichtig erachtet werden; Newsflo erfasst den medialen Impact. Auch die anderen Dienste können wertvolle Daten abwerfen (siehe Herb, 2018, im Detail). Kurzum: SciVals Empfehlungen basieren auf einer fundierten Datenbasis. Folgerichtig sieht sich Elsevier längst nicht mehr als Verlag, sondern als Anbieter von „Global Information Analytics“ (Elsevier, 2018a).
Digital Science und Clarivate Analytics mühen sich, mit Elseviers Ausdifferenzierung Schritt zu halten, und bieten teils ähnliche Services an: Digital Science kennt mit Figshare ein Repository zur Publikation von Forschungsergebnissen (zum Beispiel als Texte, Daten, Software oder Präsentationen); mit Symplectic ein System zu deren Sammlung, Verwaltung und Analyse; mit Labguru eine Labordatenverwaltung, mit Readcube ein Literaturverwaltungs- und -recherche-Tool; mit Overleaf ein kollaboratives Schreibwerkzeug im Stile von „Google Docs“; mit Transcriptic einen Dienst zur ortsungebundenen Durchführung und Kontrolle von Experimenten; sowie mit Altmetric.com ein Werkzeug zur Messung alternativen Impacts. Dazu kommen die bereits erwähnten Angebote ÜberResearch, Peerwith und Dimensions.
Auch Clarivate Analytics baut (oder kauft) ähnliche Angebote auf. Neben Web of Science und Journal Citation Reports bietet man eine Literaturverwaltungssoftware (Endnote) und ein Forschungsinformationssystem (Converis) an. Dazu kommen zum Beispiel Publons zum Tracking von Peer-Review-Aktivitäten sowie die erwähnten Essential Science Indicators und Professional Services.
Es ist allerdings nicht gesagt, dass Daten aus allen Systemen in SciVal oder Dimensions analysiert werden. Aber selbst Dienste, deren Daten nicht aggregiert ausgewertet werden, haben eine wichtige Funktion, da sie Wissenschaftler (oder deren Universitäten) an das Betriebssystem des Anbieters binden, in welchem sie eben an anderer Stelle verwertbare Daten hinterlassen.
Elsevier, Digital Science und Clarivate Analytics geben Wissenschaftlern bei jedem Arbeitsschritt ein Werkzeug zur Hand und schaffen zugleich Betriebssysteme mit hochintegrierten Apps. Diese sind in der Regel äußerst funktional sowie ähnlich verführerisch wie proprietäre Anwendungen von Google oder Apple und halten längst Einzug in die Hochschulen: An vielen Standorten nutzt man beispielsweise nicht mehr das Videokonferenzstudio, sondern Google Hangout zur visuellen Projektkommunikation.
Die Anwendungen sind jedoch genau wie Mac OS oder Windows proprietär: Der Wert einzelner Apps potenziert sich in Kombination mit anderen Apps desselben Anbieters, die integrierte Nutzung von Apps verschiedener Anbieter hingegen ist kompliziert bis unmöglich. Eine Einrichtung, die sich zum Beispiel für Figshare als Repository entschied, wird klar dazu tendieren, Symplectic als Forschungsinformationssystem zu nutzen.
Selbst bei ausgeprägten Vorbehalten gegen die Steuerungsinstanzen gibt es auch für einzelne Wissenschaftler kein Entkommen: Herausgeber von Journalen sind erpicht darauf, dass diese in Zitationsdatenbanken wie dem Web of Science und Scopus indexiert oder durch PLUM X und Altmetric.com ausgewertet werden. Autoren müssen geradezu in Journalen mit hohem Impact Factor oder anderen Reputationsinsignien wie der Indexierung in angesehenen Datenbanken publizieren. Verweigerern drohen Nachteile durch niedrige Bewertungen in InCites, Essential Science Indicators, Professional Services, NewsFlo und SciVal.
Sogar wer in einer selbstmörderischen Attitüde die Betriebssysteme boykottiert, kann der Bewertung seiner Forschung nicht entgehen (darum ist der Vergleich zu Facebook und Google fehl am Platz; beide kann man umgehen, wenn auch durch Verlust an Komfort oder Vernetzung). Wer etwa vorsätzlich nicht in einem Elsevier-Journal publiziert, sondern in einer Zeitschrift, die zudem nicht in Scopus oder dem Web of Science indexiert ist, wird dem Tracking nicht entkommen: Irgendwann wird der Text in Mendeley oder Endnote gespeichert, in PLUM X beziehungsweise Altmetric.com erfasst oder taucht in einer anderen Quelle auf. Jede Tätigkeit kann Objekt einer Bewertung oder eines strategischen Kalküls werden.
Verschont bleibt selbst die Open Science nicht, ihre Vermessung scheint gar besonders bedeutsam: Elsevier ist Auftragnehmer der Europäischen Union bei der Implementierung des Open Science Monitor (Moody, 2018). Zu den Aufgaben der Auftragnehmer zählen zum Beispiel der Entwurf und der Betrieb eines umfassenden Überwachungssystems („full-fledged monitoring system“), um die Auswirkungen von Open Science auf Wissenschaft, Gesellschaft und Wirtschaft zu erfassen (European Union, 2018, S. 1-2). Auch die European Commission (2016, S. 50) nennt Elsevier, Springer Nature, Digital Science, Google und Wikimedia als Aufbereiter und Verwalter wissenschaftlicher Informationen – und zwar besonders im Kontext von Open Science (siehe zu den Implikationen Haider, 2018). Da Elsevier und Springer Nature mittlerweile auch den kostenpflichtigen Open-Access-Publikationsmarkt dominieren (Herb, 2017), lässt sich hier gleich doppelt verdienen: durch Publikationsgebühren und Monitoring.
Ziele der Datenanbieter sind noch mehr und weitreichendere Prognosen durch zunehmende Verfeinerung der Analysen. Elsevier (2018c) etwa verkündet, SciVal werde zu einer Planungsinstanz mit Predicitve-Analysis-Funktionen: „We are expanding SciVal from being a purely evaluative and analytical tool to being an integral part of your research planning process [...]. You are now able [...] to see which Topics your institution is currently active in, and which Topics have high momentum, those therefore more likely to be well-funded.” (Elsevier, 2018c). Ähnlich wirbt Digital Science (2018a): „Dimensions [...] makes it easier [...] to [...] gather insights to inform future strategy.”
Die Angebotsbeschreibungen sind wahlweise orchestriert mit Wettbewerbs-, Markt-, Kampf- oder Zucht-Metaphern (Ausführlicher dazu Herb, 2018, ab Seite 87): „Showcasing research is critical as competition increases among institutions“ verlautbarte Elsevier anlässlich der Bepress-Akquise (Elsevier, 2017). Und Clarivate Analytics (2018b) zufolge erlaubt „Professional Services“ die Planung von „funding investment strategies”. Man spricht recht viel von Strategien, einem einst vornehmlich militärischen Terminus: „We will show you how to get the most out of Topic Prominence in Science and utilize it in the development and execution of your research strategy“ (Elsevier, 2018c). Auch die biologische Metapher der Auswahl und Zucht findet sich mehrfach, etwa im Werbetext zu SciVal (Elsevier, 2018b): „Identify and analyze [...] potential collaboration opportunities based on publication output and citation impact” beziehungsweise „test scenarios by modeling [...] groups of researchers to apply for a large-scale grant program”.
Kooperationen werden, so das Szenario, softwaregestützt von Research-Intelligence-Anbietern bestimmt: Strategie und Zucht treten an die Stelle freier Wissenschaft.
Die Gegenwart zeigt: Uns blüht eine Daten-gesteuerte Wissenschaft. Projizierte Zitationsrenditen, kalkulierte Kooperationen und datengestützte Selektion schicken sich an, wissenschaftliches Interesse und die Libido Sciendi (Bourdieu, 1997, S. 55) zu beseitigen.
Die Perspektive ist unschön: Blissetts Wissenschaftswelt lässt an Designer-Babys, Inzucht, Degeneration, Uniformität und Sterilität denken. Eine solche Wissenschaft perfektioniert sich am Ende womöglich zu Tode, denn die Evolution lehrt, dass jeder Verbesserung und jedem Selektionsvorteil eine Abweichung vom genetischen Plan, eine Mutation, ein Regelbruch, kurzum: ein Fehler vorhergehen muss.
Die neue Wissenschaftswelt mag ähnlich fade daher kommen wie heutige Musikproduktionen, bei denen Dienstleister-Teams softwaregestützt vergangene Top-Hits kreuzen, um den zu komponierenden (oder zu designenden) Songs Merkmale zu vererben, die ihre Vorlagen zu finanziellen Erfolgen werden ließen (Kühl, 2017). Mittlerweile gibt es einen wahren Markt an konkurrierenden Anwendungen zur Produktion musikalischer Bestseller, vergleichbar SciVal und Co. zur Produktion wissenschaftlicher Hits. Taryn Southern etwa veröffentlichte 2017 ein ganzes, maßgeblich KI-gestützt produziertes Album, und um die Jahreswende wurde mit „Daddy‘s Car“ ein KI-produzierter Song veröffentlicht, der wie ein Beatles-Stück klingt. Keine sonderlich originelle Angelegenheit. Innovation? Fehlanzeige. Dafür produziert die Maschinerie kommerzielle Erfolge am Fließband – was auch die Steuerungsinstanzen der Wissenschaftsdienstleister versprechen.
Zuweilen floppt jedoch das Prinzip, Publikumserfolge durch Verwursten des Bekannten zu generieren. Der Streaming-Dienst Netflix blamierte sich arg beim Versuch, aus typischen Merkmalen von in der Zuschauergunst oben rangierender Serien einen Blockbuster zu destillieren. Da half es auch nichts, mit Will Smith einen Top-Star für die Hauptrolle engagiertv zu haben. Der Musikexpress unkte in seiner Kritik das Opus sei „eine kreative Bankrotterklärung“ (Krüger, 2017).
Das wäre in der Analogie eine traurig-schaurige Perspektive für eine Big-Data-gestützte Wissenschaftssteuerung.
Bibliographie
Ulrich Herb ist Soziologe und Informationswissenschaftler. Er arbeitet als Bibliothekar an der Universität des Saarlandes.