Editorial

Buchbesprechung

Larissa Tetsch


Buchcover: Toxin

Kathrin Lange und Susanne Thiele:
Toxin
Herausgeber: Lübbe; 1. Aufl. 2023 Edition (28. Juli 2023)
Sprache: Deutsch
Broschiert: 464 Seiten
ISBN-10: 3785728395
ISBN-13: 978-3785728390
Preis Paperback: 17,- Euro
Preis eBook: 14,99 Euro

Gefahr aus dem Eis

(11.10.2023) Im Permafrost schlummern nicht nur Bodenschätze, sondern auch uralte Krankheitserreger. Was geschehen könnte, wenn der Boden taut, skizziert der spannende und wissenschaftlich fundierte Bio-Thriller „Toxin“.

Romane, vor allem Krimis oder Thriller, die sich vor einem vermeintlich (natur-)wissenschaftlichen Hintergrund entfalten, sind oft ohne tieferes Verständnis für Wissenschaft und Forschung geschrieben und orientieren sich gerne am Schock-Effekt von radioaktiver Verstrahlung oder tödlichen Seuchen. Anders der Bio-Thriller „Toxin“ des Autorinnen-Duos Lange und Thiele. Kathrin Lange schreibt hauptsächlich politische Krimis und Jugendbücher; Susanne Thiele steuert als Mikrobiologin und Leiterin der Presse- und Kommunikationsstelle des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung in Braunschweig das Fachwissen bei, um der Geschichte über einen hochpathogenen und gleichzeitig als Krebsmedikament genutzten Stamm des Milzbranderregers Bacillus anthracis Glaubwürdigkeit zu verleihen. Im Anhang des Buches legen die Autorinnen sogar Rechenschaft darüber ab, welche wissenschaftlichen Erkenntnisse sie für ihre Geschichte verwendet haben, und wo sie dem Spannungsaufbau zuliebe von den Fakten abgewichen sind. Für die Rezensentin eine Überraschung: Es gab tatsächlich schon Versuche, das Anthrax-Toxin zur Bekämpfung von Krebszellen einzusetzen.
Spürbarer Klimawandel

„Toxin“ ist der zweite Roman des Duos, in gewisser Weise sogar der Nachfolger zum Erstlingswerk „Probe 12“, da einige der Hauptpersonen in beiden Büchern auftreten. Dennoch lässt sich „Toxin“ auch für sich alleine lesen, da die Geschichte in sich abgeschlossen ist. Sie spielt parallel in Berlin und in Alaska – zwei Orte, die unterschiedlicher nicht sein können, und doch bekommen beide die Folgen des Klimawandels zu spüren. Die Berliner Bevölkerung leidet unter einer extremen Hitzewelle und hat sich noch nicht von einer vorangegangenen Überschwemmung erholt; Demonstrationen von Klimaaktivisten sind allgegenwärtig ebenso wie Gegenangriffe von Klimawandelleugnern. Die Spaltung der Gesellschaft ist unübersehbar. In der Arktis sind die Folgen des Klimawandels sogar noch viel greifbarer: Durch die Erwärmung taut der Permafrostboden, sodass Gebäude einstürzen und sich auf Straßen urplötzlich lebensgefährliche Löcher auftun. Der tauende Permafrost ist in gewisser Weise auch der Dreh- und Angelpunkt der Geschichte. Er hat zehn Jahre zuvor Kadaver von Karibus freigegeben, die mit einem tödlichen Milzbrand-Stamm infiziert waren. Die anschließend ausgebrochene Milzbrand-Epidemie hat mehrere Bewohner von Arctic Village das Leben gekostet – was für die spätere Handlung immer wieder aus unterschiedlichen Blickwinkeln wichtig wird.

Vom Tod- zum Hoffnungsbringer

Denn heute ist genau dieser B.-anthracis-Stamm – besser sein Anthrax-Toxin – Hoffnungsträger für ein neuartiges Krebsmedikament, das die Berliner Firma Janus Therapeutics entwickelt hat und aktuell in einer klinischen Studie erprobt. Der Janus-Kopf im Firmenlogo soll auf die Zweischneidigkeit dieser Forschung hinweisen: In den richtigen Händen kann das Anthrax-Toxin Leben retten, in den falschen wird es zur gefährlichen Waffe. Und plötzlich sterben in unmittelbarer Nähe des Firmengebäudes zwei Obdachlose an schnell voranschreitendem Lungenmilzbrand – Ärzte und Polizei stehen zunächst vor einem Rätsel. Handelt es sich um einen Unfall, bei dem Anthrax-Sporen unbeabsichtigt ins Freie gelangt sind, oder doch eher um einen terroristischen Anschlag?

Während in Berlin die Polizei ermittelt und Janus Therapeutics zunehmend unter Druck gerät, versucht Firmengründer Gereon Kirchner in einem Forschungscamp in Alaska Nachschub für die klinische Studie zu besorgen. Denn was in Berlin noch niemand weiß: Ein überaktives Sicherheitssystem hat die gesamten Bestände des Wirkstoffs „JanuThrax“ vernichtet – das Krebsmedikament, das tausende Leben retten soll, steht vor dem Aus. Zum Glück sind im tauenden Permafrost erneut Karibu-Kadaver gefunden worden, die den hochpathogenen Milzbranderreger enthalten. Doch die Reise nach Alaska wird zum Fiasko: Kirchner deckt ein dunkles Geheimnis auf und wird bald selbst als Mörder gesucht. Voller Angst um den Freund, aber auch um die wertvolle Probe organisieren sowohl Kirchners Freundin Nina als auch sein Firmenpartner Mike jeweils einen „Helfer“, der in Alaska nach Kirchner suchen soll.

Unerwartetes Finale

„Toxin“ ist spannend geschrieben und hält insbesondere auf den letzten Seiten nochmals eine Überraschung bereit. Die verschiedenen Handlungsstränge zwischen Berlin und Alaska sind glaubhaft miteinander verknüpft und führen immer wieder zurück zum kleinen Dorf Arctic Village mit seiner Milzbrand-Katastrophe. Am Ende lässt einen der Thriller mit einem unguten Gefühl zurück – beim Gedanken an die Unmengen an tauendem Permafrostboden genauso wie bei der Frage, wie weit Klimaschützer einerseits und Klimawandelleugner andererseits bereit sein könnten zu gehen, wenn es um die Erfüllung ihrer Ziele geht. Immer wieder wird auf die Janusköpfigkeit von wissenschaftlichem Fortschritt angespielt, die auch für den tauenden Permafrostboden gilt: So kann er Krankheitserreger freisetzen, aber auch Mikroben mit neuen biotechnologisch nutzbaren Eigenschaften sowie dringend benötigte Bodenschätze. Durch die freigesetzten Treibhausgase wird er aber auf jeden Fall den Klimawandel weiter anheizen und „Toxin“ bietet einen kleinen Ausblick darauf, was das für die Menschheit bedeuten kann.





Letzte Änderungen: 11.10.2023