Editorial

Buchbesprechung

Ralf Neumann


Buch-Cover: Leben mit Licht und Farbe: Ein Biochemisches Gespräch

Dieter Oesterhelt und Mathias Grote:
Leben mit Licht und Farbe: Ein Biochemisches Gespräch
(Lives in Chemistry – Lebenswerke in der Chemie: ISSN 2747-8696. Band 4)
Herausgeber: GNT-Verlag GmbH; Erstauflage, im Schuber (29. August 2022)
Sprache: Deutsch
Gebundene Ausgabe: 288 Seiten
ISBN-10: 3862251284
ISBN-13: 978-3862251285
Preis: Preis: 39,80 Euro (gebunden)

Lichtgestalt

(15.05.2023) Würde man den Biochemiker und Bacteriorhodopsin-Entdecker Dieter Oesterhelt heute als „Nerd“ bezeichnen? Liest man seine „erfragte“ Autobiographie, liegt der Gedanke nicht fern.

Worin liegt der besondere Reiz von Biographien erfolgreicher Persönlichkeiten? Eines der Hauptmotive ist sicherlich, Ursachen und Muster für ihren Erfolg herauszuarbeiten.

Der Ende letzten Jahres verstorbene Dieter Oesterhelt, ehemals Direktor am Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried, war zweifellos ein besonders Erfolgreicher seiner Zunft. In den frühen 1970ern identifizierte er ein Retinalprotein als Hauptbestandteil der Purpurmembran des Archaeons Halobacterium salinarum und charakterisierte es als lichtgetriebene Protonenpumpe. In den Jahrzehnten darauf sollte sich die Entdeckung dieses Bacteriorhodopsins quasi als „Urknall“ für die Entwicklung der Optogenetik erweisen – eine Entwicklung, die mit der später folgenden Entdeckung des Kanalrhodopsins in der Grünalge Chlamydomonas rheinhardtii durch Oesterhelts Doktoranden und späteren Gruppenleiter Peter Hegemann endgültig Fahrt aufnahm.

Unter Oesterhelts Fittichen liefen durchaus noch weitere sehr erfolgreiche Projekte. Allen voran etwa die Strukturaufklärung des photosynthetischen Reaktionszentrums aus dem Purpurbakterium Rhodopseudomonas viridis durch seinen damaligen Gruppenleiter Hartmut Michel, wofür dieser 1988 zusammen mit seinen Martinsrieder Kollegen Johan Deissenhofer und Robert Huber den Chemie-Nobelpreis erhielt. Verständlicherweise stehen dennoch die Entdeckung und jahrzehntelange Charakterisierung von Oesterhelts ureigenem „Baby“, dem Bacteriorhodopsin, klar im Mittelpunkt, wenn Oesterhelt in dem Buch „Leben mit Licht und Farbe: Ein Biochemisches Gespräch“ seinen Werdegang als Forscher im Spannungsfeld zwischen Biochemie, Biophysik und Bioenergetik sowie Struktur- und Photobiologie reflektiert. In Interview-Form verfasst liefert der Wissenschaftshistoriker Mathias Grote darin mit seinen Fragen die passenden Stichworte, um Oesterhelt eine sehr persönliche Sicht auf seine Entdeckungen und die einzelnen Abschnitte seines Wissenschaftlerlebens zu entlocken. Dass dieser dabei fast schon genussvoll jede Menge Anekdoten preisgibt, die oftmals auch ganz generell den Geist, das Klima und die Regeln des Forschungssystems – samt deren keinesfalls immer positiven Veränderungen – in den Jahren zwischen 1960 und 2010 illustrieren, gehört zu den großen Stärken dieser „erfragten“ Autobiographie.

Moleküle sehen und fühlen

Wenn Oesterhelt hingegen die experimentellen Kniffe und biochemischen Details rund um die mit der Zeit immer aufwändigere und detailreichere Charakterisierung des Bacteriorhodopsins erklärt, wird sein „Stoff“ an einigen Stellen schwer verdaubar. Sogar für den Autor dieser Zeilen, der in den 1990ern selbst an photobiologisch aktiven Membranproteinen von Einzellern gearbeitet hatte.

Glücklicherweise kommt man gut über diese Strecken hinweg, ohne den Faden zu verlieren, entlang dessen sich zunehmend das Bild eines – modern ausgedrückt – positiven Wissenschafts-Nerds formt. Wie ­Oesterhelt diesbezüglich getickt hat, wird natürlich in seinen eigenen Worten am deutlichsten. Einige Beispiele:

» „Ich habe jahrelang gekämpft, bis in den Lehrbüchern stand, dass Bacteriorhodopsin eine Photsynthese der zweiten Art katalysiert, bis dahin vergingen 30 oder 40 Jahre. Es ist unfassbar, wie langsam wissenschaftlicher Fortschritt und Erkenntnis in überraschenden Fällen manchmal ablaufen können.“ (S. 78)

» „ [...] ich erwähnte möglicherweise bereits, dass ich in der Wissenschaft die Verbindung von Zufall und Systematik sehe: Zufall am Anfang, ob Retinal oder Purpurmembran, aber dann, wenn ich merkte, da steckt etwas dahinter – dann ließ ich nicht mehr los.“ (S. 81)

» „Publizieren hat mich einfach nicht interessiert, ich wollte arbeiten, ich wollte begreifen und erklären [...].“ (S. 115)

» „Diese Strategie hat mich daran gehindert, sehr große Zusammenhänge und Theorien zu bearbeiten, mit denen ich ohnehin nicht viel anfangen konnte – sie interessierten mich nicht. Ich wollte eine Frage stellen und sie dann beantworten.“ (S. 126)

» „Mein Prinzip war grundsätzliche Offenheit, [...] und ich glaube, diese Offenheit tat allen gut.“ (S. 136)

» „ [...] weil ich als Wissenschaftler ein eiserner Verfechter der Maxime bin: Was ich weiß, teile ich mit.“ (S. 150)

» „Was die Kristallisation betrifft, möchte ich kurz an meine [...] Erfahrungen mit dieser Leidenschaft erinnern: [...] Wann auch immer ich etwas kristallisieren konnte, tat ich es.“ (S.156)

» „Dazu kam die wahnsinnige Freude und das gewaltige Erlebnis, das Molekül nun sehen zu können. [...] Bei mir ist das extrem – ich muss auch Moleküle sehen und fühlen.“ (S. 156)

» „Ich nenne das einen ‚schlimmen Trend‘ in der Wissenschaft: Alle rennen einem Haufen hinterher. Das Wagnis, etwas Neues zu machen, auch gegen Widerstand, das ist die eigentliche Wissenschaft – zu behaupten, etwas könne und müsse gehen, dieses Ziel zu verfolgen und sich damit bis zum Verspotten belächeln lassen.“ (S. 161)

» „Ich bin immer Grundlagenforscher geblieben, wollte allerdings auch gerne sehen, dass diese Grundlagenforschung noch in meinem Labor zu einem gewissen praktischen Nutzen führte. [...] Trotzdem: Erst Grundlage, dann Anwendung, und nicht auf Anwendung schielen und dann Grundlage dazu betreiben oder schaffen.“ (S. 184)

Es lohnt sich also, diesen Nerd in dem Buch posthum kennenzulernen. Auch – oder gerade weil – sich dabei der Eindruck verfestigt, dass das heutige Wissenschaftssystem es Oesterhelt mit seiner ganz eigenen Art viel schwerer machen würde, derartige Erfolge zu erzielen, wie sie ihm eben zu seiner Zeit gelangen.

Bleibt zum Schluss allerdings doch noch ein Wermutstropfen: Der Text des Buches enthält überdurchschnittlich viele Fehler. Und auch das abgebildete Schema der ATPase-Funktion ist falsch. Aber vielleicht stört das ja nur einen langjährigen Wissenschaftsredakteur derart stark.





Letzte Änderungen: 15.05.2023