Editorial

Buchbesprechung

Larissa Tetsch


Buch-Cover Das Rationale Tier

Ludwig Huber:
Das rationale Tier - Eine kognitionsbiologische Spurensuche
Herausgeber: Suhrkamp Verlag; 3. Edition (13. Dezember 2021)
Sprache: Deutsch
Gebundene Ausgabe: 671 Seiten
ISBN-10: 3518587714
ISBN-13: 978-3518587713
Preis: 20 Euro (Paperback), 14,99 Euro (Kindle)

(Wie) denken Tiere?

(12.12.2022) Der österreichische Verhaltensforscher Ludwig Huber begibt sich auf kognitionsbiologische Spurensuche, um sich der Beantwortung der obigen und vieler weiterer Fragen anzunähern.

Die Fähigkeit zur Kognition ist häufig das Argument, das Menschen hervorbringen, um sich über die (anderen) Tiere zu erheben. Immerhin werden unter diesem Überbegriff alle Prozesse zusammengefasst, die irgendwie mit Bewusstsein, Denken, Gedächtnis und Lernen zu tun haben – also all die Fähigkeiten, in denen sich der Mensch seiner Meinung nach besonders auszeichnet.

Anspruchsvolle Lektüre

Allerdings ist inzwischen längst bekannt, dass nicht nur Menschen zur Kognition fähig sind, sondern auch verschiedene Tierarten zielgerichtet handeln und dazulernen können. Es gibt also keine klare Abstufung zwischen Mensch und Tier, sondern vielmehr einen graduellen Übergang. Eine der spannendsten Forschungsfragen der Kognitionsbiologie beschäftigt sich deshalb damit, in welchem Maße man unterschiedlichen Tierarten Rationalität und Bewusstsein zusprechen kann. Wie weit die Wissenschaft mit der Beantwortung dieser Frage bisher gekommen ist, fasst der österreichische Kognitionsforscher Ludwig Huber in seinem Buch „Das rationale Tier“ zusammen und skizziert dafür auch eine Vielzahl an verhaltensbiologischen Experimenten.

Vorneweg: Das Buch ist keine unterhaltsame Lektüre für kalte Winterabende vor dem Kamin. Dazu ist es auf über 600 Seiten inhaltlich zu anspruchsvoll. Bereits das Literaturverzeichnis mit über tausend Referenzen verdeutlicht die Dimension von dem, was der Wiener Verhaltensforscher zusammengetragen hat. Hinzu kommen zehn Seiten eines kleingedruckten Stichwortregisters sowie jeweils ein Personen- und ein Artenregister. Letzteres listet alle im Buch angesprochenen Tierarten mit den dazugehörigen Seitenzahlen auf – eine wertvolle Hilfe, wenn man Erkenntnisse zur Kognition einzelner Arten im Zusammenhang betrachten möchte.

Sogar der Neandertaler wird angesprochen

Ein Blick auf diese Liste zeigt gleichzeitig, dass sich Kognitionsforschung heute nicht mehr auf wenige Modellarten wie die Neukaledonische Krähe, den Kolkraben, Menschenaffen wie Gibbons oder die Honigbiene als Vertreterin der Insekten beschränkt. Im Gegenteil: Von den Lippfischen zum Kune-Kune-Schwein, von der Spitzmaus zum Sumpfkrokodil, von der Köhlerschildkröte über die Grabwespe bis zur Schwarzkopfameise finden sich aus allen Wirbeltier- und auch einigen Evertebraten-Gruppen Beispiele, zu deren Kognition es nennenswerte Erkenntnisse gibt. Auch ausgestorbene Menschenarten wie der Neandertaler werden im „Rationalen Tier“ angesprochen.

Vielseitiger Forscher und Institutsgründer

Huber, der eine Professur an der Universität Wien innehat, ist selbst thematisch breit aufgestellt. So vergleicht er in seiner Forschung kognitive Leistungen innerhalb der Wirbeltiere, beschäftigt sich mit der Evolution der sozialen Kognition bei Reptilien, forscht an Werkzeuggebrauch bei Papageien und sozialem Lernen, Imitation und Empathie bei Affen und Hunden – um nur einige Beispiele zu nennen. An der Uni Wien etablierte er im Jahr 2005 den Forschungsschwerpunkt Kognitionsbiologie und leitet seit 2010 das dortige von ihm mitgegründete Department für Kognitionsbiologie. Inzwischen kann man in Wien sogar ein internationales und interdisziplinäres Masterstudium Cognitive Science (MEi:CogSci) absolvieren, das neben Uni und Medizinischer Uni Wien die Hochschulen in Bratislava (Slowakei), Budapest (Ungarn) und Zagreb (Kroatien) einbindet.

Respekt vor dem Tier

Die Kognitionswissenschaft bewegt sich an der Schnittstelle zur Philosophie, ohne die sich Fragen nach Erkenntnis, freiem Willen oder dem Bewusstsein von Maschinen nicht bearbeiten lassen. Huber ist nicht nur Zoologe, sondern ebenfalls Philosoph. Eine gewisse Affinität zu dieser Forschungsdisziplin verlangt er auch den Lesern seines Buches ab. Deutlich wird zudem, dass die Forschung am tierischen Bewusstsein für Huber kein Selbstzweck ist, sondern zu Verbesserungen im Tierschutz führen soll. Immerhin hat er an der Veterinärmedizinischen Universität Wien das Messerli-Institut für Mensch-Tier-Beziehung mitgegründet und bekleidet dort eine Professur für Naturwissenschaftliche Grundlagen des Tierschutzes und der Mensch-Tier-Beziehung. Das ergibt Sinn, denn wer versteht, dass Tiere Absichten erkennen und empathisch handeln können, dass sie zielgerichtet Werkzeuge herstellen und Allianzen bilden, dass sie also in vielerlei Hinsicht zumindest in Ansätzen denken und handeln wie wir, wird ihnen anders – vermutlich weniger arrogant und menschbezogen – begegnen.

Kleine Fehler

Ganz fehlerfrei kann wohl ein Werk von 600 Seiten kaum sein. So führt beispielsweise ein Eintrag zum Hauspferd im Artenregister zu einem Abschnitt über Selbsterkennungsversuche bei Vögeln – dem klassischen Spiegeltest. Ob Pferde diesen wohl bestehen? Da hilft wohl nur selber ausprobieren! Das Rüstzeug dazu hat man nach der Lektüre des „Rationalen Tiers“.





Letzte Änderungen: 12.12.2022