Editorial

Buchbesprechung

Karin Hollricher


Buch-Cover Bakteriophagen

Thomas Häusler und Christian Kühn:
Bakteriophagen: Wenn Antibiotika nicht mehr helfen – mit Viren gegen multiresistente Keime
Herausgeber: Südwest Verlag (14. September 2022)
Sprache: Deutsch
Broschiert: 224 Seiten
ISBN-10: 3517100439
ISBN-13: 978-3517100432
Preis: 20 Euro (Paperback), 14,99 Euro (Kindle)

Heilsame Viren

(12.12.2022) Ein neues Buch über Phagentherapie erscheint – und unsere Rezensentin verteilt fleißig Komplimente.

Aktuell erlebt die Phagentherapie eine Renaissance – insbesondere bei solchen Infektionen, gegen die Antibiotika nicht helfen. Eine Behandlung mit Phagen ist jedoch in der EU bisher nicht zugelassen. Hilfesuchende können sich daher nur an eines der wenigen Zentren für Phagentherapie in Europa wenden und auf Heilversuche hoffen. In Deutschland gibt es ein solches „Nationales Zentrum für Phagentherapie“ an der Medizinischen Hochschule Hannover. Christian Kühn, Facharzt für Herzchirurgie und einer der beiden Autoren des vorliegenden Buchs, arbeitet dort.

Die Phagentherapie ist immer noch eine experimentelle Methode, sodass man in jedem Einzelfall einiges ausprobieren muss. Aus dem gleichen Grund ist bisher nicht jede Behandlung schwerer Fälle erfolgreich gewesen, bei denen Antibiotika versagt haben. Allerdings existiert diese Behandlungsmöglichkeit – und vermutlich wird augenblicklich mehr daran geforscht als je zuvor. Womit wir bei dem wären, worüber Kühn und sein Co-Autor, der Biochemiker und Wissenschaftsjournalist Thomas Häusler, auf den gut zweihundert Seiten ihres Werks mit dem Titel „Wenn Antibiotika nicht mehr helfen – mit Viren gegen multiresistente Keime“ berichten – ein Werk, das Ratgeber und Aufklärungsbuch zugleich sein will.

Selten habe ich ein Buch in der Hand gehabt, dessen Inhalt dermaßen gut strukturiert und didaktisch aufbereitet ist. Kompliment dafür! Und gleich noch eines für die bei aller notwendigen Ausführlichkeit erreichten Verkürzung der Themen, die von der Biologie der Phagen, der Forschung daran, über Heilversuche und klinische Prüfungen bis zu den (Un)tiefen der Bürokratie hinsichtlich der Zulassung einer Therapie reichen. Auch Ansprechpartner für Hilfe suchende Patienten fehlen nicht. Und – aller guten Dinge sind drei – noch ein Kompliment für die kritische Gelassenheit, mit der sich die Autoren unbeirrt zwischen dem Hype für die Lösung eines großen Problems und der Hyperängstlichkeit vor möglichen medizinischen Risiken bewegen.

Kästen für Wissbegierige

Auf Seite 11 heißt es: „Wie man das Buch am besten nutzt.” Das ist gut zu wissen, denn das Werk richtet sich sowohl an Ärzte, die hier fachliche Information finden, wie auch an Patienten, die nach Hilfe suchen – und nicht zuletzt auch an wissenschaftlich Interessierte, die sich up to date bringen wollen, weil ihnen Phagen zuletzt im Studium begegnet sind. Für jede dieser Lesergruppen ist eine spezifische Informationstiefe nötig. Mit kurzen Inhaltsangaben vor jedem Kapitel, Markierungen für Eilige, Kästen für Wissbegierige und einem sehr brauchbaren Anhang für diejenigen, die noch weitere Quellen suchen, werden die Autoren den unterschiedlichen Informationsansprüchen gerecht. In der Kindle-Version sind übrigens viele Links enthalten, die entweder Inhalte innerhalb des Buches miteinander verbinden oder auf Webseiten und andere Informationsquellen verweisen.

Besonders gut gefielen mir die auf einen Satz eingedampften Inhaltsangaben für jedes der acht Kapitel – von den „Grenzen der Medizin” über die Evolution von Bakterien und Phagen, verschiedene Aspekte der Therapie bis hin zu „It’s a phage world”. Jedes Kapitel steht für sich, man kann das Buch auch von hinten nach vorne lesen. Wenn mich gerade nicht interessiert, „warum die Entwicklung von Antibiotika-Alternativen dringend nötig ist”, und ebenso wenig, „welche kritischen Punkte man bei der Phagentherapie bedenken muss” – dann kann ich beispielsweise zu Kapitel 4 springen und studieren, „wie intensive Forschung die Phagentherapie voranbringt.”

Die Phagentherapie blickt auf hundert Jahre Geschichte zurück (siehe Laborjournal 11/2019: 16-19, Link). Doch wurde eine Behandlung bis vor kurzem nur in Georgien, Russland und Polen angeboten. Inzwischen hat sie auch in Westeuropa eine – wenn auch kleine – Anhängerschaft.

Erfreulicher Realismus

Eines der größten Probleme ist: Um eine hartnäckige Infektion zu bekämpfen, wie sie etwa nicht selten bei Patienten mit cystischer Fibrose, Diabetes oder mit Transplantaten vorkommt, muss man den passenden Phagentyp identifizieren, der die jeweiligen Bakterien tatsächlich vernichten kann. Klinische Studien gibt es nur wenige, da hierfür ein standardisiertes Therapeutikum verwendet werden müsste. Die Phagentherapie ist jedoch eine höchst personalisierte Sache – deshalb gibt es nur Einzelfallstudien. Doch langsam geht es vorwärts, bei clinicaltrials.gov sind, Stand November 2022, etwa dreißig klinische Studien gelistet.

Um das richtige Virus oder – bei multibakteriellen Infektionen – mehrere passende Phagen zu finden und zu vermehren, müssen sich die behandelnden Ärzte an die Betreiber von Phagen-Bibliotheken wenden. Etwa an das Leibniz-Institut DSMZ in Braunschweig; oder an Zentren in Belgien, Georgien, USA oder Polen; oder an eine der wenigen Firmen, die Phagen-Sammlungen aufgebaut haben.

Nicht immer findet man schnell genug die wirklich passenden Helfer. Daher testet man, ob und wie man mit Hochdurchsatzmethoden schneller und effizienter screenen kann – sowie ob und wie man mit gentechnischen Methoden die therapeutische Wirkung der Phagen verbessern kann.

Es geht voran, freuen sich die Autoren. Doch bei allem Optimismus bleiben sie erfreulich realistisch. Phagen werden Antibiotika nicht ersetzen, denn schließlich funktionieren Antibiotika ja meistens. Aber sie können eine antibiotische Therapie ergänzen beziehungsweise als letzte Waffe gegen resistente Keime eingesetzt werden. Mit gutem Willen bei den Zulassungsbehörden und weiterem wissenschaftlichen Einsatz könnte die Phagentherapie daher bald zum festen Repertoire der Infektiologie gehören.





Letzte Änderungen: 12.12.2022