Editorial

Organellen-Neulinge

Ralf Neumann


Schöne Biologie

(14.06.2023) Nach welchen Kriterien gilt eine Zellstruktur als Organell – und eine andere nicht? Im Internet bekommt man dazu als Definition nahezu durchweg Sätze wie diesen: „Organellen sind strukturell abgegrenzte Kompartimente einer Zelle, die spezialisierte Aufgaben ausführen.“ Manchmal wird dann noch unterschieden zwischen membranumschlossenen Organellen wie etwa Mitochondrien, Plastiden und Co. sowie membranlosen Organellen wie Ribosomen, Geißeln usw. Genauere Kriterien sucht man in den Definitionen von Organellen vergeblich.

Kein Wunder sind daher die Grenzen zwischen Organell und Nicht-Organell ziemlich „fuzzy“. Einige wenige Puristen beharren etwa darauf, dass eine funktionelle Zellstruktur zwingend durch eine Membran vom Rest der Zelle abkompartimentiert sein muss, damit sie als Organell gelten kann. Für sie gehören daher etwa Ribosomen, Phagosomen und Proteasomen gar nicht wirklich dazu. Dem gegenüber steht jedoch die große Mehrheit derer, denen das Kriterium „Membran oder nicht“ egal ist – Hauptsache es ist eine räumlich abgegrenzte Struktur, die eine klar spezialisierte Funktion erfüllt. Womit Ribosom et al. wieder dazugehören.

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Noch mehr verschwimmt das Ganze, wenn man den Faktor Zeit dazunimmt. Sicher – Kern, Mitos und Co. beherbergt eine Zelle in aller Regel ihr ganzes Leben lang. Doch insbesondere durch die immer ausgefuchsteren Methoden zur Beobachtung lebender Einzelzellen wurde zuletzt klar: Manche „abgegrenzte Struktur mit spezialisierter Funktion“ bildet sich in ihrem Innern nur vorübergehend – und/oder nur unter bestimmten physiologischen Bedingungen.

Nicht zuletzt deshalb wurden in den letzten Jahren deutlich mehr „neue Organellen“ postuliert als in der ganzen Zeit davor. Unter den vielen Beispielen seien kurz die folgenden sehr frischen erwähnt:

  • „Kontraktomere“ – bewegliche und kontraktile Aktomyosin-Strukturen, die laut einem Team der University of Illinois die Geometrie und Ausrichtung von Epithelzellen mechanisch instand halten (J. Cell Biol. 221 (5): e202011162).

  • „Frodosomen“ – klecksartige Kondensate, die eine US-Gruppe von der Princeton University in Knochenkrebszellen fand, wo sie offenbar den Übergang ins metastasierende Zellstadium mitsteuern (Nat. Cell Biol. 23: 257-67).

  • „Multivesikuläre Transducosomen“ – membranumhüllte Bläschen, die eine schwedische Forscher-Crew in Riechzellen der Maus aufspürte und als Speicher und Transportvehikel für Proteine charakterisierte, die in olfaktorischen Signalketten mitwirken (Nat. Commun. 13, 6889).

Sicher, alle drei Neulinge spielen lediglich bei sehr speziellen Funktionen in ganz bestimmten Zellarten mit – im Gegensatz zu den altbekannten Mitochondrien oder Ribosomen, die grundlegende Aufgaben zum Funktionieren jeder eukaryotischen Zelle übernehmen. Wer daraus aber schließt, dass man nur noch solche „Spezialfälle“ findet, liegt falsch.

Eben erst haben beispielsweise Genetiker der Rockefeller University in New York ein Organell im Darm von Drosophila entdeckt, das sie vorerst „PXo-Körper“ tauften (Nature, doi.org/gr7fdm). Dessen ovale Struktur besteht aus mehreren Membranschichten, durch die das PXo-Protein anorganisches Phosphat ins Innere transportiert. Dort wird es in Phospholipide umgewandelt – die Hauptbausteine der Zellmembranen. Mangelte es den Fliegen allerdings an Phosphat, brachen die PXo-Körper auseinander und setzten die Lipide frei – woraus die New Yorker schlossen, dass diese als Phosphatspeicher den zytosolischen Phosphatspiegel stabil halten.

Angesichts der zwingenden Abhängigkeit vieler universeller Zellprozesse von Phosphat würde es nicht wundern, wenn nicht nur Fliegen-Darmzellen das essentielle Molekül in PXo-Körpern speichern würden.

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