Editorial

Hölzerne Philosophien

Ralf Neumann


Schöne Biologie

(18.04.2023) Alles beginnt mit der Beobachtung. Durch Beobachtung erhalten wir Informationen und Erkenntnisse über unsere Welt. Erst mit dem Bewusstmachen von Beobachtungen kann der Wissenschaftler beginnen, gezielt Fragen zu dem betreffenden Phänomen zu stellen und Experimente zu ihrer Beantwortung zu entwerfen. Und erreichen die gesammelten Daten dann eine gewisse Stringenz, wird es ihm möglich, Hypothesen und Theorien zu entwickeln, die er wiederum durch weitere Tests überprüfen kann.

Auf diese Weise bildet die Beobachtung das Fundament der sogenannten wissenschaftlichen Methode. Wobei dem Wissenschaftler letztlich egal ist, ob er seine Beobachtung mit den eigenen Sinnen macht (Feuer tut weh!), ob er Dinge durch Hilfsmittel überhaupt erst beobachtbar macht (Zellen haben Membranen!) oder ob er durch Intervention eine neue Beobachtung herbeiführt (Streue ich Salz auf die Schnecke, trocknet sie aus – und stirbt). Hauptsache, er kann mit dem Beobachteten schließlich sinnvolle Fragen stellen, Experimente entwerfen, Hypothesen formulieren, ... – siehe oben.

Editorial

Philosophen ist das interessanterweise nicht egal. Unter ihnen läuft bis heute eine Debatte darüber, ob wir etwas nur dann Beobachtung nennen können, wenn wir es tatsächlich wahrnehmen können. Nervenimpulse oder Metagenome können wir demnach nicht beobachten, Mitochondrien oder Mycoplasmen schon – allerdings nur mit Hilfsmitteln, in dem Fall Mikroskopen.

Die Grenze zwischen dem, was als beobachtbar gilt, und dem, was nicht mehr dazu zählt, muss folglich stets neu entlang des Spektrums immer komplizierterer Instrumente gezogen werden. Wobei einige Philosophen sich dadurch behelfen, dass sie die Instrumenten-gestützte empirische Forschung vielmehr als Werkzeuggebrauch vom Wahrnehmungsprozess abkoppeln. So argumentierte 1981 etwa deren Vertreter Ian Hacking, dass wir kleine Dinge ja nicht aufgrund eines Mikroskops sehen, sondern dass wir sie mit ihm sehen. Der Beobachter kann damit also prinzipiell sichtbare Objekte lediglich genauer betrachten.

Das Dumme an dem Ganzen ist, dass gerade Naturwissenschaftler mittlerweile die meisten Dinge auf eine Weise untersuchen, die unseren Wahrnehmungssystemen keinerlei Zugang erlauben. Womit sich der Einwand der Philosophen eigentlich erledigt haben sollte, dass wir lediglich Beobachtung nennen dürfen, was wir nicht nur messen, sondern auch wahrnehmen können.

Für Naturwissenschaftler dürfte dieser Philosophen-Einwand wohl allenfalls semantischer Natur sein. Behalten wir aber dennoch mal deren Brille auf und schauen uns die folgende Beobachtung an, die auch philosophisch unbedenklich sein dürfte: Via korrekter Wahrnehmung weiß man schon lange, dass Licht den Abbau von Pflanzenmaterial und anderer Biomasse beschleunigt – ein Phänomen, das insbesondere bei Holz sehr deutliche Effekte zeigt. Wie Licht allerdings genau den Holzabbau antreibt, war bislang nicht bekannt.

Die Frage war aufgrund der Beobachtungen also lange gestellt, doch an die richtigen Daten kam man irgendwie nicht dran. Offenbar waren die methodischen Werkzeuge dafür bislang zu schwach. Erst jetzt hat ein norwegisches Team mit einer Kombination von Hightech-Methoden entschlüsselt, dass die Bestrahlung von Lignin mit sichtbarem Licht zur Produktion von Wasserstoffperoxid führt (Nat. Commun.14:1063). Als „Sonnenkollektor“ sorgt es damit für genau die Substanz, die viele Enzyme zum Abbau von Pflanzenmaterial brauchen – darunter etwa die lytischen Polysaccharid-Monooxygenasen (LPMOs), die die oxidative Spaltung kristalliner Polysaccharide wie Cellulose besorgen.

Zwölfmal sprechen die Norweger im Zusammenhang mit diesen Ergebnissen von „Beobachtungen“. Wenn da mal nicht der eine oder andere Philosoph was zu meckern hat.

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