Editorial

Gerne genauer nachschauen

Ralf Neumann


Schöne Biologie

(09.03.2023) Vor etwa zehn Jahren konnte man in dem Essay eines Forschers [Name und Referenz sind uns leider entfallen] sinngemäß folgenden Vorwurf lesen:

„Immer ausgefuchster und kraftvoller werden unsere Methoden, aber was machen wir daraus? Gerade unsere wissenschaftlichen Edelblätter sind voll von Studien, die mit immer umfassenderen Analysen und noch schöneren Bildchen am Ende doch nur bereits Bekanntes zeigen. Weil es jetzt eben geht. Zugegeben, die Resultate schauen damit oftmals deutlich eindrucksvoller aus. Aber wirklich neue Erkenntnisse liefert die neue Methoden-Power auf diese Weise jedenfalls nicht.“

Da ist sicher was dran. Aber genauso sicher ist es nur die halbe Wahrheit. Oft genug enthüllt der „größere Blick“ auf Altbekanntes mit nunmehr besseren Werkzeugen tatsächlich bislang Verborgenes – das vielleicht nicht immer gleich neue Erkenntnisse liefert, aber zumindest den Weg zu neuen Fragen eröffnet.

Editorial

Schauen wir uns vor diesem Hintergrund das folgende Zitat aus einer Pressemeldung der Johns Hopkins University in Baltimore, USA, an:

„Aus jahrzehntelanger Forschung zur Proteinfaltung wissen wir eine Menge über eine kleine Anzahl sehr einfacher Proteine, eben weil gerade diese für die Experimente der Biophysiker über lange Zeit am besten geeignet waren. Jetzt haben wir all diese wirklich erstaunlichen Technologien, um Zehntausende von Proteinen in einer Probe zu analysieren, aber bislang wurden sie nicht eingesetzt, um Proteinfaltung wirklich umfassend zu untersuchen.“

Warum nicht? Weil man dachte, über die Mechanismen der Proteinfaltung sei bereits alles Wichtige bekannt? Und weil man daher eben nicht einfach nur umfassendere Daten und schönere Bilder ohne echten Erkenntniszugewinn liefern wollte?

Zum Glück haben Johns-Hopkins-Biochemiker um Stephen Fried, den die Pressemitteilung mit obiger Aussage zitierte, es kürzlich trotzdem gemacht...

Seit über drei Jahrzehnten falten Biochemiker gereinigte Proteine nach Denaturierung mithilfe von Chaperonen wieder in ihre aktive Form zurück. Dies klappte mit schlichten Proteinen in einfachen Settings offenbar so gut, dass sich niemand motiviert fühlte, mal systematisch nachzuschauen, welche Proteine tatsächlich Chaperone zur Rückfaltung benötigen und welche nicht – auch nicht, als es methodisch längst ohne allzu großen Aufwand möglich war.

Fried und Co. taten es jetzt. Sie nutzten einen Ansatz aus limitierter Proteolyse und Massenspektrometrie, um die Rückfaltungsprozesse im gesamten Proteom von E.-coli-Extrakten quasi in einem Rutsch zu untersuchen (PNAS, doi.org/grnb9x). Als Resultat erhielten sie eine Art Rückfaltungskarte, die entlarvte, welche Proteinfamilien sich mit oder oder Chaperone zurückfalten. Überdies enthüllte sie aber auch Gruppen von Proteinen, die überhaupt nicht mehr in die aktive Struktur zurückfanden, selbst wenn die Chaperone DnaK und GroEL als Faltungshelfer zugeführt wurden. Und diese letzte Gruppe war mit einem Anteil von 15 Prozent am Gesamtprotein überraschend groß.

Diese Proteine seien für die Rückfaltung verloren, ob mit oder ohne Chaperone – folgerte das Autorenteam. Und tatsächlich zeigten Fried et al. bereits in einer parallel initiierten Kooperations-Studie, dass zumindest drei der betreffenden E.-coli-Proteine sich nur ein einziges Mal richtig falten können – nämlich nur dann, wenn das Ribosom sie initial produziert (Nat. Chem., doi.org/jvt5).

Sicher, keine bahnbrechend neuen Erkenntnisse. Aber dass der methodenmächtigere Blick kaum mehr als ein schöneres Bild von einer bereits gut bekannten Sache gezeichnet hätte, würde es noch weniger treffen. Auch in diesem Fall heißt es also wieder einmal: Gut, dass jemand doch noch genauer nachgeschaut hat!

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