Editorial

Vielfältiger mit Glück

(22.04.2024) Von 2017 bis 2021 wählte die Volks­wagenStiftung einen Teil ihrer Geförderten per Los. Der Abschlussbericht zeigt, vor allem junge Forscherinnen profitierten.
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„Eigentlich beantragt man oft ein bisschen an der Wahrheit vorbei“. Diese ehrliche Aussage eines Senior Scientist der Lebenswissenschaften können wohl viele unterschreiben, denn so richtig ideal geht es bei der Fördermittelvergabe in Deutschland nicht zu. Der allseits bekannte Matthäus-Effekt (Wer hat, dem wird gegeben), bevorzugte Mainstream-Themen wie Krebs oder oftmals eher konservativ eingestellte Begutachter lassen Forschungstreibende bisweilen kreativer werden, als ihnen lieb ist, um ihr Projekt „durchzukriegen“. Andere gehen viel zu oft leer aus.

Die VolkswagenStiftung wollte mit ihrer Förderlinie „Experiment!“ deshalb etwas Neues ausprobieren. Der Name ist sogar im doppelten Sinne Programm, oder vielmehr war, denn die Förderlinie ist inzwischen beendet. Gefördert werden sollten ausschließlich risikoreiche Projekte, „gewagte Forschungsideen mit ungewissem Ausgang“. Die Antragsprozedur war dabei ebenso experimentell: mit ultrakurzen (eine 3-seitige Projektbeschreibung plus eine 1-seitige Selbsteinschätzung des Projekts), anonymisierten Anträgen und bewertet von einer eher kleinen, multi­disziplinär besetzten Jury. Bereits im ersten Jahr (2013) erreichten die Stiftung 704 Anträge, von denen 13 bewilligt wurden.

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Mehr Frauen gewünscht

Ab 2017 ging die Stiftung noch einen Schritt weiter ins Experimentelle. Die Hälfte der Geförderten wurde per Los ermittelt, nach vorheriger wissenschaftlicher Begutachtung des Antrags. „[…] Der Stiftung war (und ist) es wichtig, mehr Diversität unter den Geförderten zu erreichen. Auf ‚Experiment!‘ bezogen heißt das: Mehr Frauen und mehr Nachwuchswissenschaftler:innen als bislang sollten mit ihren Ideen zum Zuge kommen können“, erklärt die VolkswagenStiftung dazu auf ihrer Website.

Insgesamt wählte die Stiftung in diesem teilrandomisierten Verfahren 117 Projekte aus, 46 davon per Los. In der letzten Runde 2021 waren darunter etwa Christina Karsten vom Uniklinikum Essen, die sich mit Zuckern auf viralen Hüllenproteinen beschäftigt als möglichen Verteidigungsmechanismus der Viren, und Ina Gruh von der Medizinischen Hochschule Hannover. Sie experimentiert mit iPS-Zelllinien, die sich nur in ihren Geschlechtschromosomen unterscheiden.

Nach Beendigung der Förderlinie „Experiment!“ liegt nun der Abschlussbericht vor, aus dem auch das obige Zitat des Senior Scientist stammt. Über Online-Fragebögen und Interviews bewerteten die Geförderten das Verfahren und kamen zu einem überwiegend positiven Urteil.

Viel Lob, ein bisschen Kritik

Die Befragten lobten dabei insbesondere die übersichtliche Antragstellung, die sie von anderen Fördermittelgebern so nicht kennen. Ein Geförderter aus den Ingenieurwissenschaften vergleicht: „Bei der DFG, da schreiben Sie am Ende 20, 30 Seiten und Sie müssen so viel darstellen und so viel Vorarbeiten schon angeben und wenn Sie nicht wenigstens zehn Begutachtungen in den Veröffentlichungen in dem Bereich haben, dann werden Sie deswegen rausgekickt.“ Auch die Anonymisierung sehen viele als Vorteil: „ja, ich habe häufig das Gefühl, (…) dass eben die Person selbst, die den Antrag stellt, mitbewertet wird.“

Das Losverfahren im Besonderen würde, so die Befragten, die individuelle Chancengleichheit gewährleisten, Interessenkonflikte bzw. unbewussten Bias vermeiden und dazu ermutigen, Anträge mit riskanter Forschung überhaupt erst zu stellen. Außerdem würden die Chancen für Disziplinen steigen, die in der Jury nur schwach vertreten sind. Tatsächlich hat die Auswahl per Los ganz konkret die Diversität der Geförderten erhöht, so wie es sich die Stiftung auch erhofft hatte.

Befanden sich unter den Geförderten vor Einführung des Losverfahrens keine Wissenschaftlerinnen über 50 Jahre und unter 35 Jahre, änderte sich das ab 2017. Ihre Zahlen stiegen auf 21,1 Prozent bei den über 50-jährigen Forscherinnen und auf 26,3 Prozent bei den unter 35-jährigen Wissenschaftlerinnen. Insgesamt hat sich der Anteil der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in frühen Karrierephasen (Postdocs und Juniorprofessuren) leicht erhöht. „Losverfahren haben somit ein gewisses Potenzial, einem Alters- und Geschlechterbias entgegenzuwirken“, resümieren die Autorinnen des Abschlussberichts.

BMW, Dacia oder VolkswagenStiftung?

Dem Losverfahren haftet jedoch noch ein gewisser Makel an. So glauben nicht wenige Befragte, dass dadurch Projekte mit geringerer Qualität gefördert würden oder eine Bewilligung per Losverfahren die Reputation schmälert. Zumindest ein Geförderter, Gerhard Fischerauer vom Lehrstuhl für Mess- und Regelungstechnik der Universität Bayreuth, kann beruhigen. Bei einer Veranstaltung der VolkswagenStiftung sagte er, er habe noch nie das Argument gehört, „Kollege A bekommt Geld von BMW, Kollege B nur von Dacia oder Kollegin C hatte ja nur Losglück bei der VolkswagenStiftung“. Die Autorinnen empfehlen daher eine klarere Kommunikation, um „Vorbehalte zu überwinden“. Denn ganz zufällig war die Förderung per Los nicht. Alle eingegangenen Anträge kontrollierte die Stiftung im Vorfeld auf inhaltliche und formale Mindeststandards, und auch die Gutachter-Jury siebte weiter aus.

Einige Befragte hätten allerdings gern gewusst, ob ihr Projekt per Los oder Jury ausgewählt wurde. So sagte ein Geförderter aus den Lebenswissenschaften: „Ich würd’s schon schön finden, wenn man das im Nachhinein rausfindet. (…) Einfach, dass man einschätzen kann, ob das Projekt auch unter normalen Funding-Bedingungen eine Chance gehabt hätte (…) man hat als Wissenschaftler nicht so viele Möglichkeiten, ein Feedback zu bekommen, ehrliches Feedback“.

Insgesamt empfehlen die Autorinnen des Abschlussberichts das Förder-Experiment – besonders für risikoreiche Forschung – zur Nachahmung. Auch weil in Deutschland die VolkswagenStiftung ihr Experiment vorerst beendet hat. Die Stiftung zeigt sich unterdessen sehr zufrieden mit dem Ergebnis. Denn die Auswertung offenbart auch: ganz egal, ob ein Projekt per Los oder Jury ausgewählt wurde, bei der Zahl der daraus resultierenden Patentanmeldungen und wissenschaftlichen Artikel macht das keinen Unterschied. „In beiden Fällen lag die Quote derjenigen, die etwas publiziert haben, bei 60 Prozent. Das zeigt: Wir haben mehr Diversität und Fairness nicht um den Preis einer Verminderung der Qualität bekommen“, so die ehemalige „Experiment!“-Koordinatorin Ulrike Bischler.

Kathleen Gransalke

Bild: Pixabay/analogicus


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Letzte Änderungen: 22.04.2024