Editorial

Klare „physikalische Evidenz“ für die Maske

(15.04.2024) Die RKI-Files werden derzeit als Argument gegen die Wirksamkeit von FFP2-Masken zitiert. Aerosol-Forscher Eberhard Bodenschatz widerspricht und stellt klar.
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Die Maskenempfehlungen durch das RKI erfolgten ohne Evidenz – das suggerierten sogar die Meldungen der Hauptnachrichten im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Wenige Tage später ruderte die Tagesschau zwar zurück und schrieb von einem „Skandal, der keiner ist“, aber da rannte die Sau bereits durchs Dorf und die sozialen Medien.

Nun ist eine kritische Aufarbeitung rund um die Pandemiemaßnahmen sicher notwendig und sinnvoll – einerseits um besser auf die nächste Pandemie vorbereitet zu sein, andererseits um das Vertrauen der Bevölkerung zurückzugewinnen. Aber jenseits der politischen Entscheidungen wollen wir auf die medizinischen und physikalischen Fakten hinter der FFP2-Maske schauen: Stimmt es überhaupt, dass die Maskenempfehlungen ins Blaue hinein ausgesprochen wurden? Wie ist der Satz in den Dokumenten des RKI zu verstehen, es habe „keine Evidenz für die Nutzung von FFP2-Masken außerhalb des Arbeitsschutzes“ gegeben?

Aus diesem Anlass haben wir erneut Eberhard Bodenschatz (im Bild) kontaktiert. Der Physiker ist Direktor am Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation in Göttingen und erforscht eigentlich Strömungen und Aerosole in Wolken. Mit Beginn der Pandemie hat sein Team systematisch untersucht, wie man sich durch Masken schützen kann und wie sich Aerosole etwa durch Sprechen, Singen oder Blasinstrumente im Raum anreichern. Einblicke in seine Arbeit gab uns Bodenschatz bereits vor zwei Jahren in einem Corona-Gespräch.

Editorial

Sie haben in unserem Gespräch vor zwei Jahren erläutert, warum man mit einer Maske gut geschützt ist vor SARS-CoV-2. Aber in den Nachrichten hörte man im März nun, dass diese Schutzwirkung gegen das Virus damals gar nicht belegt war. Wie schauen Sie heute zurück?
Eberhard Bodenschatz: Die Gemengelage zu Beginn der Pandemie war ja sehr unklar. Man wusste zwar, was es für ein Virus ist und auch, dass das Virus ungefähr 100 Nanometer groß ist; und man wusste, dass es eine Erkrankung der Lunge hervorruft. Man kannte aber noch nicht die relevanten Übertragungswege. Natürlich wusste man aber, dass Masken vor Tröpfchen­infektionen schützen. Deshalb gibt es ja die medizinische Maske, die verhindert, dass der Arzt den Patienten beim Sprechen mit Tröpfchen bespritzt. Im OP sind die Standard.

Dann gab es aber mehr und mehr Hinweise, dass die Schmierinfektion kaum eine Rolle spielt und vor allem Tröpfchen und Aerosole für die Übertragung relevant sind.
Bodenschatz: Ich denke, spätestens ab der Delta-Variante war klar, dass man sich dieses ganze Desinfizieren mit Alkohol eigentlich sparen kann. Es wurde im Laufe der Pandemie dann immer deutlicher, dass die Ansteckung wahrscheinlich auch in einem Raum stattfinden kann, in dem sich gar keine infizierte Person mehr aufhält. Wir wissen, dass 10-Mikrometer-Partikel etwa eine halbe Stunde im Raum schweben, bevor sie sich absetzen. Ich habe ganz am Anfang eine E-Mail geschickt an das RKI und darauf hingewiesen, dass wir über Masken oder Stoffmasken nachdenken sollten. Selbst die Stoffmaske nimmt ja die großen Tröpfchen weg.

Und schützt vor allem die anderen, falls der Maskenträger infiziert ist.
Bodenschatz: Wenn der Träger infiziert ist, dann ist der Schutz der anderen Person sehr hoch. Aber Sie haben auch einen Eigenschutz durch die Stoffmaske, weil die großen Tröpfchen ja gar nicht Ihr Gesicht und Ihre Schleimhäute erreichen. Aber die Stoffmaske schützt eben nicht vor Aerosolen, die kleiner als 3 bis 5 Mikrometer sind. Es gab Untersuchungen, wonach Masken funktionieren – das RKI hatte sogar eigene Publikationen, die besagen, dass Masken vor Infektionskrankheiten schützen. Warum das RKI so lange gebraucht hat, zum Beispiel die Stoffmasken zu empfehlen, weiß ich nicht. Möglicherweise hatte das auch mit der Sorge zu tun, dass dann Stoffmasken auf den Markt kommen könnten mit irgendwelchen gesundheitsschädlichen Farbstoffen, die ausdampfen. Vielleicht also wollte man da zunächst besonders vorsichtig sein.

Momentan lautet der Vorwurf ja umgekehrt: Das RKI habe die Maske empfohlen, und das trotz fehlender Evidenz.
Bodenschatz: Aber das RKI hatte Evidenz. Das RKI hatte Publikationen aus der Zeit vor Corona vorliegen, aus denen hervorgeht, dass die Masken schützen. Das ist auch vollkommen klar, denn eine Maske filtert Aerosole und Tröpfchen. Und die Viren sind in Aerosolen und Tröpfchen und werden folglich herausgefiltert. Es gibt ja all die Erfahrungen aus dem Gesundheitsschutz, und aus dem Arbeitsschutz zu radioaktiven Substanzen, Abfällen, Stäuben. Das RKI hatte eine physikalische Evidenz, dass Masken funktionieren. Allerdings ist es praktisch unmöglich, eine kontrollierte Studie durchzuführen, bei der man die einen Personen immer mit Maske und die anderen immer ohne Maske rausschickt, um zu schauen, wer krank wird und wer nicht.

Eine epidemiologische Evidenz für die Wirksamkeit der Masken speziell zu SARS-CoV-2 konnte es ja anfangs auch gar nicht geben.
Bodenschatz: Auch später konnte man das natürlich nicht zeigen. Wenn Sie sich die Cochrane-Studien anschauen, da gibt es Studien, die sagen, es funktioniert, und andere sagen, es funktioniert nicht. Es gibt also keine Evidenz dafür, aber auch keine Evidenz dagegen. Aber einfach deshalb, weil die Variabilität von Studie zu Studie gigantisch ist. Die Personen sind im Haushalt ohne Maske, das Verhalten kann anders sein; man lebt mit Personen in der Familie, die völlig anderen Lebenssituationen ausgesetzt sind und vielleicht keine Masken tragen. Es ist also einfach extrem schwierig, so eine Art Studie so durchzuführen, dass sie aussagekräftige Ergebnisse liefert. Andererseits hat man in Bangladesch Masken verteilt, und das Infektionsgeschehen hat sich eindeutig erniedrigt. Also gab es sehr wohl Hinweise, dass die Masken sinnvoll sind.

Klar, man kann nicht einfach eine Doppelblindstudie speziell zu Masken gegen SARS-CoV-2 unter realen Bedingungen durchführen, und man kann auch nicht all die anderen Störfaktoren ausklammern.
Bodenschatz: Und trotzdem sagt mir die Physik: Wenn ich ein Objekt filtere, atme ich es nicht ein. Wenn ich es nicht einatme, kann es mich nicht krankmachen. Physikalisch argumentiert funktioniert die Maske, wenn sie gut sitzt.

Mir kommt dabei eine Analogie in den Sinn: Man weiß, dass man sich wahrscheinlich ernsthaft verletzt, wenn man aus dem zweiten Stockwerk fällt. Nun entwickelt jemand eine neue Art von Gebäude und argumentiert, dass man hierfür aber noch nicht gezeigt habe, ob ein Sturz aus dem zweiten Stock gefährlich ist. Obwohl man ja die Erdbeschleunigung kennt und diese unabhängig vom Gebäudetyp wirkt.
Bodenschatz: Das Beispiel finde ich super. Man kennt ja die Höhe und kann ausrechnen, welche Kraft wirkt. Und man weiß, dass es durch ein Sprungtuch eine Dämpfung gibt. Es wäre ja schrecklich, wenn wir erst Menschen springen lassen, um herauszufinden, ob ein Sprungtuch funktioniert. Leider wurden die Krankheitsaerosole aber seit den 1990ern praktisch nicht mehr an den Universitäten gelehrt. Aber es gibt ja noch die Umweltwissenschaftler, die sich natürlich mit Aerosolen und Feinstaub beschäftigen. Dazu gab es vor Corona schon Literatur.

Also ist es sachlich falsch, dass zum damaligen Zeitpunkt Evidenz für die Wirksamkeit der Masken gefehlt habe – so wie es in den nun veröffentlichten RKI-Doku­menten zu lesen ist.
Bodenschatz: Die Frage ist, wie man das formuliert. Wenn das RKI sagt, es fehlt eine epidemiologische Evidenz: Ja, die hat vielleicht gefehlt. Weil dieser Nachweis extrem schwierig ist. Ich glaube aber, da gibt es einfach eine Miss­inter­pretation dessen was da steht. Was das RKI meinte, war eine klinische Evidenz.

Fairerweise sollten wir aber noch mal betonen: So stand es in einem internen Dokument. Und später kam das RKI ja sehr wohl zu einer anderen Schlussfolgerung und hat einen Nutzen der Masken gesehen und Empfehlungen ausgesprochen. Und hier setzt ja derzeit die öffentliche Kritik an.
Bodenschatz: Das RKI hatte sich dann natürlich auch viel mit anderen Leuten ausgetauscht – auch mit denen, die sich mit Aerosolen auskennen. In dem Moment, wo klar war, dass das Virus sich über Aerosole verbreitet, war schon aus dem Arbeitsschutz heraus unstrittig, dass die Maske hilft. Es gibt vielleicht einen Kritikpunkt speziell an der FFP2-Maske: Sie hat einen überdurchschnittlichen Atemwiderstand. Das liegt daran, dass sie auch an Öldämpfen getestet wird, und daher sind dort zwei Schichten verarbeitet. Bezogen auf luft­gebundene Aerosole filtert eine dünnere medizinische Maske aber fast genauso gut. Corona ist ja kein Öl. Allerdings hat die FFP2-Maske eine bessere Passform für das Gesicht und dichtet besser ab. Dadurch ergab sich dann ein höherer Schutz. Das hätte man aber auch mit einem dünneren Material erreichen können.

Das Gespräch führte Mario Rembold

Bild: MPI-DS (Porträt) & Pixabay/dianakuehn30010 (Virus)


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Letzte Änderungen: 15.04.2024