Editorial

Kompostierbares Surfbrett aus Polyurethan

(27.03.2024) Auch bioabbaubare Kunststoffe können Mikroorganismen oft nur grob zerlegen. Vollständig abgebaut wird dagegen ein mit Algenkulturen hergestelltes Polyurethan.
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Endlich Frühling! Ein erdiger Duft strömt durch die Lande. Allerorten buddeln Hobbygärtner in Beeten und Balkonkästen. Dabei gleiten mit dem Boden aber nicht nur unzählige Mikroorganismen durch ihre Hände, sondern auch stattliche Mengen Mikroplastik. Letzteres ist omnipräsent und auch fester Nahrungsbestandteil – pro Woche essen wir etwa fünf Gramm Mikroplastik, das entspricht ungefähr dem Gewicht einer Kreditkarte (Expo Health, 15: 33–51).

Plastik aus dem Alltag zu verbannen, ist aber genauso illusorisch, wie seinen Zerfall zu Mikroplastik zu verhindern. So wird etwa ein Schuh aus synthetischem Material beim „Ablatschen“ immer Spuren hinterlassen, die zunächst in der Umwelt, und danach über die Nahrungskette oder andere Aufnahmewege letztlich auch im Körper von Menschen landen.

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Monomere aus Mikroalgenkulturen

Würde Mikroplastik rückstandslos verrotten, käme man der Lösung des Problems einen großen Schritt näher. Stephen Mayfields Team hat an der University of California, San Diego, mit der Unterstützung von Algen und einem kleinen bodenbewohnenden „Plastikfresser“ eine biologisch abbaubare Variante des häufig eingesetzten Kunststoffmaterials Poly­urethan (PU) entwickelt, die kein Mikroplastik hinterlässt.

Poly­urethan lässt sich aus ganz unterschiedlichen Monomeren synthetisieren, die über Urethan- beziehungsweise Carbamat-Bindungen zu einem Polymer verknüpft werden. Je nach Monomeren erhält man unterschiedlich biegsame, harte oder schaum­artige Polyurethane. Die klassische Poly­urethan-Synthese nutzt Erdöl als Grundstoff und liefert nicht biologisch abbaubares PU. Forschende haben sich aber auch Methoden ausgedacht, mit denen sich die Monomere für die Poly­urethan-Synthese aus Mikroalgenkulturen gewinnen lassen.

Mayfields Mannschaft nutzte zum Beispiel Algenkulturen für die Synthese von Polyester und verknüpfte diese zu einem Poly­urethan, aus dem die Kalifornier – klar, was sonst, Surfbretter und Flip-Flops – herstellten (Bioresour Technol Rep, 11: 100513). Ursprünglich verwendete die Gruppe für die Kopplungsreaktion Diiso­cyanat aus Erdöl, inzwischen ist das PU des Teams zu einhundert Prozent aus Algen und wird von dem Start-up Algenesis vermarktet, das Mayfield gründete.

Partikel im Kompost

Die Flip-Flops und Sneaker von Algenesis gehen zwar als biobasiert durch. Aber wie steht es um den Abbau der Mikropartikel, die auch von den Flip-Flops und Surfbrettern aus Algen-PU in der Umwelt landen? Um den Verbleib des Mikroplastiks im Boden zu untersuchen, zermahlten die Forschenden ein thermoplastisches Algen-Poly­urethan (TPU) zu 0,35 bis 5 Millimeter großem Mikroplastik. Die Partikel vermischten sie 1:12 mit herkömmlichem Kompost einer Gärtnerei und schauten 200 Tage später nach, was davon noch übrig war. Als Positiv-Kontrolle diente Zellulose, als Negativ-Kontrolle das nicht-abbaubare Polymer Ethyl­vinyl­acetat (EVA).

Im Respirometer verfolgte die Gruppe unter standardisierten aeroben Bedingungen, wie aus den Kompost­proben CO2 entwich. Sowohl im TPU- als auch im Zellulose-haltigen Boden war die CO2-Produktion deutlich erhöht. Drei Viertel der theoretisch zu erwartenden CO2-Menge entstand in der Zellulose-Probe binnen 45 Tagen, in der TPU-Probe innerhalb von 200 Tagen. In der EVA-Probe tat sich absolut nichts.

Wie gefräßig die Mikroorganismen waren, zeigte sich nach entsprechender Aufbereitung des Komposts und Anfärbung der Proben auch optisch. TPU war nach 90 Tagen zu 68 Prozent verschwunden, nach 200 Tagen zu 97 Prozent. Im Gegensatz dazu hatten sich die EVA-Partikel über den gesamten Zeitraum überhaupt nicht verändert.

Gefräßige Rhodococcus

Blieb nur noch die Frage, welche Mikroorganismen das TPU auseinandernahmen. Um diesen auf die Spur zu kommen, impften die Forschenden ein Minimalmedium, das als einzige Kohlenstoffquelle zerriebenes TPU enthielt, mit Kompost­proben, die eine bioabbauende Aktivität zeigten. Anschließend verdünnten sie die Kulturen jede Woche im Verhältnis von 1:100. Nach fünf Wochen plattierten die Forschenden die Kulturen auf LB aus und päppelten Einzelkolonien in Flüssigkulturen hoch. Per 16S-rRNA-Sequenzierung identifizierte die Gruppe in den Kulturen die Bodenbakterien Rhodo­coccus fascians sowie Bacillus altitudinis.

Der Rhodo­coccus-Stamm erwies sich als besonders gefräßig. Wie GC-MS-Analysen zeigten, kann er TPU innerhalb von zwei Tagen in TPU-Oligomere und Diol-Monomere zerlegen und – das ist der Knackpunkt – Urethan-Bindungen spalten. Eigentlich wären auch Dicarboxy­säuren unter den Spaltprodukten zu erwarten gewesen und traten bei anderen Bakterienstämmen auch auf, doch dieser besondere Rhodo­coccus-Vertreter scheint diese sofort zu verstoffwechseln.

Auch größere Objekte aus TPU sind für die natürlich vorkommenden Bodenbewohner kein Problem. Die kalifornische Gruppe vergrub ein TPU-beschichtetes Kleidungsstück sowie eine Handy-Hülle aus TPU im Kompost. Nach einem Jahr buddelten sie die Teile aus und untersuchten sie in einem Rasterelektronenmikroskop. Von der TPU-Beschichtung war quasi nichts mehr übrig. Bis sich die Handyhülle vollständig aufgelöst haben wird, werden zwar noch ein paar Jahre vergehen, doch auch ihr Schicksal ist vorgezeichnet. Beide Proben waren von einem Biofilm überzogen. Das ist ein guter Hinweis darauf, dass Mikroorganismen bereits fleißig am Werk sind.

Andrea Pitzschke

Allemann, M. et al. (2024): Rapid biodegradation of microplastics generated from bio-based thermoplastic polyurethane. Sci Rep, 14: 6036.

Bild: Pixabay/JPataG




Letzte Änderungen: 27.03.2024