Editorial

Uni, Firma oder
ganz was anderes?

(22.02.2024) Nach Promotion oder Postdoc-Zeit stehen Lebenswissenschaftlern viele Karrierewege offen. Eine Metastudie hat diese Wege für EMBL-Absol­venten nachverfolgt.
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Lange Zeit war eine Festanstellung als Universitätsprofessor das erklärte Ziel der meisten Biologen und Biologinnen, die sich für eine Promotion entschieden. Doch mit den Jahren kamen immer mehr Bewerber auf diese raren Stellen, während auf der anderen Seite die Jobmöglichkeiten für Lebenswissenschaftler außerhalb der Hochschulen stark zugenommen haben. Und auch die universitäre Forschung selbst hat sich in den letzten Jahrzehnten deutlich verändert: Wo klassische „Hausstellen“ immer seltener wurden, existieren heute vor allem Drittmittel-finanzierte Projektstellen; unbefristete Verträge sind für den wissenschaftlichen Nachwuchs die Ausnahme und internationale Kollaborationen machen Projektteams immer größer und intradisziplinärer. Wie beeinflusst all das die Berufswahl von Absolventen?

Diese Frage stellte sich ein Team um Rachel Coulthard-Graf vom International Centre for Advanced Training des European Molecular Biology Laboratory (EMBL), einer internationalen Großforschungseinrichtung mit Hauptsitz in Heidelberg. Die in Elife veröffentlichte Metastudie fasst zusammen, was das Forschungsteam durch Nachforschungen im Internet über die Karrierewege von 2.284 EMBL-Angehörigen herausgefunden hat, die dort zwischen 1997 und 2020 eine Promotion oder Postdoc-Phase abgeschlossen haben (Elife, 12:e78706).

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Unis als Hauptarbeitgeber

Das EMBL mit seinen über tausend wissenschaftlichen Mitarbeitern ist für eine solche Studie prädestiniert: Derzeit arbeiten in den sechs europäischen Standorten – hierzulande in Heidelberg und in Hamburg – mehr als 200 Doktoranden, 240 Postdocs und rund 80 unabhängige Arbeitsgruppenleiter (Principal Investigators, PIs). Durch die Internetrecherchen konnte immerhin für 89 Prozent der 2.284 Absolventen die derzeitige Jobposition ermittelt werden.

Rund zwei Drittel von ihnen arbeiteten zum Zeitpunkt der Analyse in der Europäischen Union, weitere 20 Prozent in anderen europäischen Ländern wie der Schweiz und dem Vereinigten Königreich und 11 Prozent in den USA. Für drei Viertel konnte der Karriereweg sogar detailliert nachgezeichnet werden. Mehr als die Hälfte aller Absolventen aus den Jahren 1997 bis 2020 war an der Universität geblieben – als PI oder Postdoc oder in einem anderen wissenschaftlichen Betätigungsfeld wie der Lehre oder der Betreuung einer Technologieplattform. Jeweils rund 15 Prozent der Absolventen forschten in der Industrie oder hatten die Forschung verlassen. Sie arbeiteten als Wissenschaftsmanager, im Technologietransfer oder in der Unternehmenskommunikation. Mit 4 Prozent hatte nur ein Bruchteil der Absolventen die Welt der Wissenschaft komplett hinter sich gelassen. Aus den ermittelten Berufsbezeichnungen ließ sich schließen, dass ein Großteil der Absolventen auch außerhalb der Universität schnell in Führungspositionen gelangt ist.

Frauen noch immer benachteiligt

Um Trends besser vergleichen zu können, wurden die Absolventen in drei Kohorten von jeweils acht Jahren aufgeteilt. Dabei fiel auf, dass die Kohorten mit der Zeit größer geworden sind und der Frauenanteil darin zugenommen hat. Wenig überraschend war, dass über die Zeit der Anteil an PIs gestiegen ist, während gleichzeitig Absolventen zunehmend in Jobs außerhalb der Universität wechselten – ein Trend, den die Forscher durch den Vergleich mit Datensätzen verschiedener US-amerikanischer Universitäten bestätigen konnten. Obwohl also die Wahrscheinlichkeit eine Stelle als PI zu finden über die Jahre abgenommen hat, handelt es sich dabei bis heute um den Hauptkarriereweg für EMBL-Absolventen.

Die rekonstruierten Lebensläufe spiegeln wider, dass es für Frauen immer noch schwieriger ist, sich als unabhängige Gruppenleiterinnen in der Forschung zu etablieren. So sind Männer mit höherer Wahrscheinlichkeit als PI oder in der industriellen Forschung untergekommen, während Frauen eher außerhalb der Forschung arbeiteten. Auch bei den 11 Prozent der Absolventen, über deren heutige Position nichts in Erfahrung gebracht werden konnte, waren Frauen überrepräsentiert. Möglicherweise sind einige von ihnen aus familiären Gründen aus dem Job ausgestiegen oder sie arbeiten in Branchen, die im Internet nicht ausreichend repräsentiert sind. Die gängige Praxis, bei Heirat den Familiennamen des Mannes anzunehmen, könnte die Auffindbarkeit speziell von Frauen zusätzlich erschwert haben.

Publish or perish

Die Metastudie deckt außerdem einen Faktor auf, der hochprognostisch für ein späteres PI-Dasein ist: die Publikationsmetrik. So hatten PIs durchschnittlich mehr und auch in hochrangigeren Journals veröffentlicht. Durch eine Publikation als Erstautor stieg die Wahrscheinlichkeit, dass ein Postdoc später PI wurde, um mehr als das Dreifache, und durch zwei Erstautorenschaften sogar auf das fast Siebenfache.

Selbst der Publikationserfolg der Arbeitsgruppe, aus der der Absolvent kam, korrelierte mit der Wahrscheinlichkeit als PI zu enden. Das könnte bedeuten, dass alleine der Ruf der Arbeitsgruppe schon manchen Weg ebnet. Andererseits ist es aber auch möglich, dass Absolventen in Arbeitsgruppen mit entsprechendem Publikationserfolg einfach zu besonders guten Forschern ausgebildet werden. Da Erstautorenschaft offensichtlich noch immer für eine Forschungskarriere entscheidend ist, ist eine weitere Beobachtung interessant: Durch zunehmende Kollaborationen wurden die Autorenlisten der Absolventen mit der Zeit immer länger, wodurch zwangsläufig die Zahl der Erstautorenschaften für die einzelnen Absolventen abnahm.

Die Karriere richtig planen

Coulthart-Graf und ihr Team vom International Centre for Advanced Training möchten die Erkenntnisse der Metastudie nun nutzen, um EMBL-Doktoranden und -Postdocs noch besser zu unterstützen. Die Auswirkungen von Kollaborationen auf wissenschaftliche Publikationen zeigen, dass in der Qualifizierungsphase gut abgewogen werden muss: Ist es besser, die eigene Arbeit mit wenigen Koautoren als Erstautor zu veröffentlichen? Oder lieber gemeinsam mit einem großen Projektteam den Sprung in ein hochrangiges Journal schaffen, selbst wenn der eigene Name dann erst an dritter oder vierter Stelle auftaucht? Hier gibt es sicher kein Richtig und Falsch, zumal sich bei zukünftigen Bewerbungen auch mit Fähigkeiten punkten lässt, die durch die Abstimmung in einem internationalen Team erworben wurden. Um diese Zusammenhänge weiter zu untersuchen, soll die Karriereweg-Datenbank weitergeführt werden. Ziel ist es, den Berufsweg von möglichst vielen Absolventen für insgesamt 24 Jahre nach ihrem Ausscheiden aus dem EMBL zu verfolgen.

Larissa Tetsch

Bild: Pixabay/djoanis


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Letzte Änderungen: 22.02.2024