Editorial

Das fantastische Institut

(10.11.2023) Lasst uns einmal träumen, unter welchen Rahmenbedingungen biomedizinische Forschung auch stattfinden könnte ...
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(Der folgende Text ist die Übersetzung und Adaption einer Fantasie der Bloggerin YoungFemaleScientist aus dem Jahr 2010, die leider fünf Jahre später ihren letzten Beitrag postete.)

In Fantasien haben Wissenschaftsfunktionäre die Eröffnung eines neuen Forschungsinstituts angekündigt. Angesiedelt werden soll es auf einer Insel in Weitweitwegland. Das Institut wird durch Zuschüsse von Bill Gates, Jeff Bezos und Mark Zuckerberg finanziert und sich der Heilung menschlicher Krankheiten widmen – weil die Pharmakonzerne dies ja nicht wirklich tun wollen und das stockende Gesundheitswesen kaum noch jemandem hilft.

Das Fantasia-Institut (FI) wird 24 Stunden am Tag und sieben Tage die Woche geöffnet sein und rund um die Uhr Bestellungen, Lieferungen und Supportpersonal für hochmoderne Geräte bereitstellen. Aufgrund dieser 24/7-Politik wird das FI in der Lage sein, drei volle Schichten von Forscherinnen und Forschern zu beschäftigen, die alle kommen und gehen können, wie es ihre Experimente erfordern. Die Geräte werden in ausreichendem Maße verfügbar, gewartet und auf dem neuesten Stand der Technik sein, sodass alle Forschenden jedes Gerät zu jeder Zeit benutzen können. Niemand muss sich dazu anmelden oder sich darum sorgen, dass die Person vor ihnen das Gerät kaputt gemacht und vergessen hat, dies mitzuteilen. Ebenso muss niemand befürchten, dass die Software womöglich nicht mehr kompatibel ist, oder dass der alte Windows-Rechner, auf dem es immer lief, das Zeitliche gesegnet hat, weil jemand Radioaktivität darauf verschüttet hat.

Editorial

Hilfe statt Wettbewerb

Die Institutsangehörigen werden lediglich nach zwei Kriterien beurteilt:

(1) Datenpunkte. Alle Daten werden in das Wiki des Instituts hochgeladen und weltweit in Echtzeit ausgetauscht. Die Weiterbeschäftigung hängt demnach davon ab, dass sämtliche Datenpunkte samt allen Hinweisen, die für andere nützlich sind, hinterlegt werden.

(2) Gegenseitiges Training. Die Zeit, die damit verbracht wird, andere Forscher anzuleiten oder ihnen zu helfen, wird unabhängig vom Ergebnis protokolliert. Jedes Jahr muss ein gewisses Minimum an Zeit damit verbracht werden, mindestens fünf verschiedenen Personen zu helfen. Bei dieser Mindestanzahl von fünf Personen sind keine Überschneidungen von Jahr zu Jahr erlaubt. Damit wird verhindert, dass einzelne sich aus der Verpflichtung herauswinden, indem sie nur ihren Kumpels helfen – und umgekehrt.

Alle Mitarbeiter werden auf derselben Hierarchieebene eingestellt und gleich behandelt, bezahlt und finanziert, unabhängig von der Dauer oder Höhe ihrer vorherigen Beschäftigung oder Finanzierung. Es gibt keinen internen Wettbewerb unter den Forschenden und keine Beförderungen. Kooperationen und gegenseitige Hilfe geschehen somit völlig freiwillig, mit Ausnahme der oben erwähnten Verpflichtung zur gegenseitigen Weiterbildung.

Erstklassige Fürsorge

Die Verpflegung ist auf Gourmet-Niveau und steht rund um die Uhr zur Verfügung; auch das Fitnessstudio und die Freizeiteinrichtungen im Freien können rund um die Uhr genutzt werden, einschließlich des Hallenbads und der Skipisten. Die Unterkünfte werden zu Fuß erreichbar sein, und im Fünfminutentakt starten öffentliche Verkehrsmittel vom FI in alle umliegenden Stadtteile.

Für Kinder oder Haustiere wird eine 24/7-Betreuung vor Ort angeboten. In Notfällen wird Urlaub für einen oder beide Partner bis zu zwei Jahre lang bezahlt – egal aus welchem Grund, insbesondere aber bei Geburt, Tod oder Krankheit von Familienangehörigen, Freunden oder Haustieren. Die Gesundheitsfürsorge für alle Mitarbeitenden, ihre Familien und ihre Haustiere wird in Form von Verträgen auf Lebenszeit gewährt, sodass jeder Dienst im FI, der länger als ein Jahr dauert, ihnen eine lebenslange erstklassige Gesundheitsfürsorge garantiert, unabhängig davon, wo sie später leben. Auch die Gehalts- und Rentenpakete werden großzügig ausfallen, einschließlich Urlaubs- und Krankheitstagen.

Alle an einem Strang

Alle Toiletten sind geschlechtsneutral, verfügen über private Duschen und Umkleideräume und sind mit sämtlichen Hygieneartikeln ausgestattet, die benötigt werden.

Sexuelle, religiöse oder ethische Belästigung wird nicht geduldet. Jegliches Unbehagen seitens einer Mitarbeiterin oder eines Mitarbeiters wird dazu führen, dass der oder die Zuwiderhandelnde von der Insel verwiesen wird.

Die Forschenden am FI erwarten in den nächsten zehn Jahren die Entwicklung von Heilmitteln für alle bekannten menschlichen Krankheiten. Das FI bedankt sich bei all seinen wahnsinnig reichen Sponsoren dafür, dass sie sich endlich zusammengetan haben, um all das Geld für eine gemeinsame Mission auszugeben. Auch ist es seinem Kader von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern äußerst dankbar, dass sie endlich erwachsen geworden sind und erkannt haben, dass sie bislang ihre ganze Energie damit verschwendet haben, darüber zu streiten, wer schlauer ist – anstatt gemeinsam etwas zu erreichen.

Übersetzung: Ralf Neumann

(Illustration kreiert mit Dall-E2 von OpenAI)

 

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Letzte Änderungen: 08.11.2023