Editorial

DNA-Zeitkapsel aus Lehm

(30.08.2023) In einem dänischen Museum zerbricht ein antiker Lehmziegel. Forschende nutzen die Chance und extrahieren aus dem Ziegel uralte Pflanzen-DNA.
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Der Lehmziegel des mesopotamischen Ziegelbrenners.

Es war einmal ein Ziegelbrenner, der vor beinahe dreitausend Jahren aus Lehm Ziegel herstellte, die für einen Königspalast nahe des Tigris bestimmt waren ... Was wie ein Märchen aus „Tausendundeiner Nacht“ beginnt, ist keine Kindergeschichte, sondern Inhalt eines wissenschaftlichen Papers, das für Geschichts- wie Bioforscher gleichsam interessant ist. 1949 traten bei Ausgrabungen in den Ruinen der heute im Irak liegenden antiken Stadt Kalchud (heute: Nimrud), an denen Briten und Dänen beteiligt waren, Relikte vom Palast des assyrischen Königs Ashurnasirpal des Zweiten zutage, der hier von 883 bis 859 v. u. Z. regierte. Die nahe Mossul liegende Gegend Mesopotamiens lockt seit jeher Ausgräber an, damals unter anderem auch den bekannten britischen Archäologen Max Mallowan mitsamt seiner Frau Agatha Christie.

1959 landete ein Ziegel des Palastes im Nationalmuseum Dänemarks – und fiel in der Längsrichtung auseinander. 2020 zerbrach er erneut, diesmal in Querrichtung (siehe Bild). Für Museen sind antike Schätze, die zu Bruch gehen ein schlimmer Verlust, für molekular­biologische Analysen sind sie aber potenziell hochinteressant. Der poröse, weitgehend aus Lehm gefertigte ungebrannte Ziegel enthält jede Menge Informationen darüber, was sich an seinem Entstehungsort zu einer bestimmten Zeit im Boden befand – etwa Pflanzen.

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Gießform mit Keilschrift

Der einzigartige Vorteil des Ziegels aus Nimrud ist seine Beschriftung – die stammt nicht etwa vom Museumsdirektor, sondern vom Hersteller selbst. Er hatte eine Gießform verwendet, die Aussparungen in Form der damals verwendeten Keilschrift trug. Die sonnen­getrockneten Ziegel lassen sich durch die Beschriftung eindeutig dem Palast des Königs Ashurnasirpal zuordnen. Aus diversen Tontafeln kennt man dessen Regierungszeit und die Bauperiode des Palastes sehr genau – der Ziegelstein ist daher für die Forschenden wie eine Zeitkapsel, die genetische Informationen beherbergt.

1984 war es einem kalifornischen Team erstmals gelungen, antike DNA-Sequenzen zu extrahieren, und zwar aus dem Muskelgewebe der im 19. Jahrhundert ausgestorbenen Zebra-Art Quagga (Nature, 312: 282-4). Das war ein schwieriges Unterfangen – und ist es auch heute noch – da DNA in antikem Material nur in äußerst geringen Konzentrationen und stark fragmentiert vorliegt. Mehr Ausgangs­material zu verwenden, um mehr DNA extrahieren zu können, ist tabu, würden dadurch doch archäologische Schätze unwiderruflich beschädigt.

Unspektakuläre Methoden-Kombination

Jeppe Lund Nielsens Gruppe von der Aalborg University in Dänemark schabte mit einem Skalpell an verschiedenen Stellen der frischen Bruchstelle des Ziegels fünf Proben ab, die zwischen 88 und 421 Milligramm wogen. In gewisser Weise ähneln sich Ziegel- und Knochen­material. Beide sind porös und sehr affin zu Nukleinsäuren – entsprechend schwer ist es, an die darin enthaltene DNA heranzukommen. Für die DNA-Extraktion aus Knochen haben die Methoden­entwickler, allen voran Svante Pääbos Gruppe am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig, aber schon gute Vorarbeit geleistet.

Das dänische Team kombinierte zwei dieser Techniken und verwendete sie für die DNA-Extraktion aus dem Lehmziegel. Das relativ unspektakuläre Prozedere bestand aus der einstündigen Lyse bei 56 Grad Celsius in einem Detergenz, das EDTA sowie Proteinase K enthielt, gefolgt von einer zweiten Lyse bei 37 Grad Celsius. Die vereinten Lysate versetzten die Forschenden mit Tris-EDTA, danach konzentrierten sie die Lösungen mit kommerziellen Säulen auf. Mit einer anschließenden Amplikon-Sequenzierung zielten sie auf hochkonservierte Chloroplasten- und Mitochondrien-Gene (trnL, 12S rRNA). Mit den zwei konzentriertesten Proben, die immer noch weniger als 0,1 Nanogramm DNA pro Mikroliter aufwiesen, versuchte das Team Metagenom-Sequenzierungen mit der Nanoporen-Technik. Es erhielt 105.000 Reads mit Längen von 50 bis 300 Basenpaaren (bp), die die Ergebnisse der Amplikon-Sequenzierung bestätigten, ansonsten aber nicht viel mehr verrieten.

Der Kohlpflanzen-Irrtum

Ganze 34 taxonomische Gruppen aus insgesamt sieben Pflanzen­familien konnten die Forscher und Forscherinnen anhand der 30 bis 140 bp kurzen DNA-Abschnitte identifizieren. Die meisten stammten aus den Familien der Kreuzblütler (Brassicacae) und Heidekraut­gewächse (Ericaceae). Auf konkrete Pflanzenarten konnten sich die Dänen aber nicht festlegen, da die Sequenzen für eine sichere Zuordnung zu kurz waren. Sie repräsentieren die damalige Flora aber teils vollständiger, als aus Aufzeichnungen bekannt war – in antiken Schrifttafeln blieben wirtschaftlich bedeutungslose Spezies meist unerwähnt. Die Sequenzanalyse der Gruppe räumt auch mit einem bisherigen Irrtum auf: Dass in alten Schriften Kohlgewächse nicht erwähnt werden und auch alte Zeichnungen keine klaren Hinweise auf diese geben, liegt wahrscheinlich an einer falschen Zuordnung – Kohlgewächse wurden damals aufgrund der starken Ähnlichkeit offenbar einfach als Salat bezeichnet.

Der Versuch der Gruppe, die charakteristische Deaminierung antiker DNA nachzuweisen, scheiterte aufgrund des zu knappen Probenmaterials. Wäre er erfolgreich gewesen, hätte das Team den ultimativen Beweis erbracht, dass die ermittelten Sequenzen tatsächlich aus Mesopotamien, der Wiege der Zivilisation, stammen – und nicht etwa von Kontaminationen, die sich erst in jüngerer Zeit auf dem Ziegel niedergelassen haben, zum Beispiel während des Transports, im Museum oder im Labor. Die peniblen, in separaten Reinräumen von Einzelpersonen in Schutzanzügen durchgeführten Analysen sprechen jedoch genauso wie die diversen Kontrollen für die antike Herkunft der DNA-Sequenzen.

Andrea Pitzschke

Arbøll, T. et al. (2023): Revealing the secrets of a 2900-year-old clay brick, discovering a time capsule of ancient DNA. Sci Rep, 13: 13092.

Bild: Arnold Mikkelsen & Jens Lauridsen




Letzte Änderungen: 30.08.2023