Editorial

Bienenstock mit
Heizfunktion

(24.04.2023) Mit Honigbienen zu interagieren, ist nicht ungefährlich. Grazer Forscher designten daher eine Hightech-Wabe mit integrierten Temperatursensoren.
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Auf „Los“ geht’s los! Überall herrscht wieder buntes Treiben. Ob Gastgarten, Obstbaum oder Bienenvolk – ein paar warme Tage haben sie allesamt aus der Winterstarre geholt. Wobei „Winterstarre“ zumindest bei Bienen keine ganz treffende Bezeichnung ist. Bienen bewegen sich auch im Winter, da sie sonst erfrieren würden.

In einem Bienenstock tummeln sie sich zu tausenden, hochkoordiniert, als „Super­organismus“ mit kollektiver Wärme­regulation. Bis zu einem gewissen Punkt können Bienen­kolonien tiefen Außen­temperaturen standhalten. Wachstum und Reproduktion stellen sie ein und formieren sich zu Clustern, um mehr Energie zum Heizen verwenden und die Wärme bewahren zu können. Wenn nämlich die Temperatur im Bienenstock auf unter 10°C fällt, setzt ein „chill coma“ und bald darauf der Kältetod ein. Winter ist Hochsaison für das Bienensterben.

Editorial

Warme Sprache

Forscher des Artificial Life Lab der Uni Graz sowie der Mobile Robotic Systems Group der École polytechnique fédérale de Lausanne (EFPL) Lausanne schwebte vor Augen, mit den Bienen zu kommunizieren, um ihr kollektives Verhalten zu erforschen. Temperatur ist jedenfalls biokompatibel und war die geeignete Sprache für diese Kommunikation. Zuallererst war aber wichtig zu wissen, was im Bienenstock bei welcher Temperatur genau vor sich geht.

Nun kann man einzelnen Bienchen kaum ein Fieber­thermometer unter die Flügel klemmen. Vielmehr platzierten die Forscher in einem eigens konstruierten Bienenstock Temperatur­sensoren. Der Hightech-Bienenstock hat, analog herkömmlichen Exemplaren, herausnehmbare Rahmen, welche eine rechteckige Fläche aus Waben zwischen zwei Glasplatten halten. Insgesamt 64 Sensoren platzierten Thomas Schmickl von der Uni Graz und Kollegen in gitterartiger Anordnung mit jeweils ca. 3,6 cm Abstand zueinander in der Waben-Fläche (18 x 40 cm). Den zugehörigen Kabelsalat verstauten sie an der oberen Rahmenkante.

Bienen in der Traube

Der verwendete silikonbasierte Sensor (2 x 2 x 0,8 mm) findet in einer Wabenzelle (Durchmesser: ca. 5,5 mm, Tiefe: ca. 12 mm) locker Platz, ohne die Bienen merklich einzuschränken. Ein Überzug aus Acrylharz schützt die Sensoren vor dem Anknabbern. Über eine Microcontroller-Komponente sind die Sensoren­daten (auf ein Zehntel Grad genau) abrufbar.

Die erfassten Temperatur­daten legten die Forscher anschließend mit den Bilddaten übereinander. Hierbei zeigte sich, dass sich aus der Temperatur­verteilung auf die Position der Bienen rückschließen lässt. Sinken die Außen­temperaturen auf 8 °C, sitzen die Bienen nicht mehr über die Waben verteilt im Bienenstock, sondern formieren sich zu einem ellipsoid­förmigen Cluster, der sogenannten „Wintertraube“. Unmittelbar im Clusterzentrum ist es am wärmsten (27 °C), mit wachsender Entfernung wird es immer kühler (Kern: 21 °C) und kühler (Mantel: 15 °C).

Endotherme (gleichwarme) Bienen im Zentrum heizen mit Zitter­bewegungen ihren Thorax. Ihre produzierte Wärme strahlt auf umliegende ektotherme (wechselwarme) Individuen ab. Der gute Heiz- und Dämmeffekt einer Wintertraube zeigt sich daran, dass sich Unterschiede in der Umgebungs­temperatur kaum auf die Temperatur im Kern auswirken.

Schonender Standortwechsel

Drei Bienenkolonien á 4.000 Tiere in ihren Stöcken, platziert im Freien, standen im Winter 2020/21 mit Außen­temperaturen zwischen -7 und +7°C unter Beobachtung. Welch wildes Treiben darin herrscht, ist unbedingt sehenswert. Noch spannender aber wird es, wenn sanfte, definierte Temperatur­reize gesetzt werden. In den Rahmen mit den Waben verlegten die Forscher zwei Reihen mit je fünf kleinen Heizfeldern und schalteten jeweils ein Paar davon für drei Tage ein. Die Heizfeld­temperatur (25 °C) lag über jener im Clusterzentrum, um schonend und attraktiv für einen Standort­wechsel zu sein.

Erst einmal tat sich ziemlich wenig. Doch nach einem halben Tag setzte sich das Völkchen in Bewegung. Die jeweiligen Cluster wanderten innerhalb von 5-25 Stunden zur beheizten Region und etablierten sich dort, bis dieses Heizfeld aus- und ein anderes eingeschaltet wurde. Die nötige Heizenergie hängt nicht nur von der Außen­temperatur ab, sondern wird auch von den Bienen und ihrem Verhalten beeinflusst. Ist es wärmer, generieren die Bienen selbst weniger Wärme. Dank externer Beheizung sparten die Bienen über den 51-tägigen Beobachtungs­zeitraum 15 Prozent ihres Energiebedarfs. Phänomen Couchpotato.

Stilles Volk im Kälte-Koma

Aus ethischen Gründen verbietet es sich, Bienenvölker unerträglichen Temperaturen absichtlich auszusetzen. Eine natürliche Kältewelle kam den Forschern zugute, und ihr Heizroboter wurde zum Lebensretter. In einem der drei Bienenstöcke war aufgrund eines Befalls mit der Varroamilbe eine Behandlung mit Oxalsäure nötig gewesen. Offenbar hatte die Behandlung das Volk geschwächt, denn bald darauf wurde es still. Zu still, denn die endotherme Aktivität war ausgefallen, die Bienen gingen ins „Kälte-Koma“. Im Cluster­inneren war es nicht sehr viel wärmer als am Clusterrand. Nach fünf Stunden griffen die Forscher ein, indem sie die Heizfelder aktivierten. Ein Großteil der Bienen blieb am Leben, auch noch Monate später.

Diese Reanimierung wäre für Imker, die immer wieder große Verluste einstecken müssen, eine feine Sache. Allerdings müssten sie immer beobachtend daneben­stehen, um rechtzeitig reagieren zu können. Cleverer wäre es, wenn das Roboter-Biene-Hybridsystem ganz eigenständig interagiert. Die Bienen sagen, wann geheizt werden soll. Sie geben das Heizkommando. Beispielhaft haben Schmickl und Kollegen demonstriert, wie ein solches eigenständiges System funktionieren kann. Für den Fall, dass sich ein Bienencluster für mindestens 12 Stunden nicht vom Fleck bewegt, geht an anderer Stelle ein Heizfeld an. Daraufhin setzt sich das Völkchen in Bewegung, und das Spiel kann von Neuem beginnen.

Nebenbei warf das übergeordnete EU-Projekt „HIVEOPOLIS – Bienenstock der Zukunft“ noch eine interessante Erkenntnis ab: Individuelle Thermotaxis, wonach jedes Tier einfach in sein Vorzugs­gebiet wandert, spielt bei Bienen keine Rolle. Vielmehr kundschaften Individuen in Zufalls­bewegungen die Cluster­umgebung aus und nehmen vorübergehendes Frieren in Kauf. Mehrere Male hatten die Forscher beobachtet, dass ein Bienencluster an einen neuen, wärmeren Standort wechselte und auf dem Weg dorthin lokale Temperatur­minima passieren musste.

Andrea Pitzschke

Barmak R. et al. (2023): A robotic honeycomb for interaction with a honeybee colony. Sci Robot, 8(76):eadd7385.

Bild: Artificial Life Lab/Universität Graz/Hiveopolis


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Letzte Änderungen: 24.04.2023