Editorial

Geschichtenerzähler

(13.01.2023) Jedes Forschungs-Paper enthält kleine Lügen. Ohne Ausnahme, wetten!
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Nehmen wir ein typisches Paper. Das liest sich – ohne die jeweils spezifischen Details – etwa nach folgendem Muster:

„Wir wollten wissen, ob […] Dazu gab es bereits diese und jene Beobachtung […] Wir folgerten daher, dass […] Um dies zu testen, führten wir zunächst das Experiment durch, dessen Ergebnisse in Abbildung 1 zusammengefasst sind […] Aufgrund dieser Daten vermuteten wir weiter, dass […] Die Ergebnisse der Experimente in den Abbildungen 2 und 3 erhärteten diesen Verdacht […] Da zudem Kollege Müller vor einiger Zeit XYZ beobachtete, lag nun nahe, dass Faktor A diesen Effekt vermittelt […] Wir verifizierten diese Annahme anschließend in den Experimenten der Abbildungen 4 und 5 […] Um die Beteiligung von A und damit den gesamten Mechanismus abzusichern, entwarfen wir schließlich das Experiment in Abbildung 6, welches den Mechanismus nochmals bestätigt […] Damit zeigen die Daten insgesamt klar, dass […] Abschließend schlagen wir angesichts dieser Erkenntnisse vor, dass […] Was man beispielsweise konkret auf die folgende Weise experimentell überprüfen könnte [...]

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Messerscharfe Logik

Klingt nach einer guten Story, oder? Und genau das ist es auch – eine Story! Eine Story, in der messerscharf eins aus dem anderen folgt – die sich so aber nie abgespielt hat. Die Wahrheit würde wohl eher so klingen:

„Als wir diese bestimmte Sache untersuchten, erhielten wir immer wieder seltsame Daten […] Kollege Meier brachte uns schließlich darauf, dass es damit vielmehr jenes auf sich haben könnte […] Also machten wir die folgenden zwei Experimente, wodurch sich der Verdacht schließlich erhärtete […] Den Beweis lieferte dann das nächste Experiment […] Allerdings erklärte es (dummerweise) nicht das Problem aus den früheren Experimenten X und Y […] Der Antwort darauf kamen wir nach einigen Irrwegen schließlich mit folgendem Test auf die Spur […] Jetzt fehlten uns nur noch die Daten um das Ausgangsproblem überhaupt anschaulich darstellen zu können […] Aber da wir ja jetzt wussten, worum es ging und was herauskam, war es letztlich kein Problem mehr, dazu das folgende passende Experiment zu designen [...] 

Lügen für den Sinn

Übliches experimentelles Herumgetappe also. Ehrlich zwar, aber grausam zu lesen – und wahrscheinlich auch schwer zu verstehen. Und genau deswegen sind die „kleinen Lügen“ erlaubt. Weil die Experimente erst dann einen klaren Sinn ergeben, wenn man sie neu zu einer schlüssigen Story ordnet.

Forscher sind daher immer auch irgendwie Geschichtenerzähler.

Ralf Neumann

(Foto: AdobeStock / vegefox.com)

 

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Letzte Änderungen: 12.01.2023