Auf der Spur des
guten Geschmacks
(24.11.2022) … befindet sich das Münchner Start-up-Projekt Harmonize. Die Jungunternehmer wollen Lebens- und Genussmitteln ihre Geschmackssignatur entlocken.
Geschmack ist eine vielschichtige Eigenschaft. Damit die Produkte, die wir kennen, stets gleich schmecken, setzt die Lebensmittelindustrie auch heute noch auf Experten und Expertinnen mit jahrelanger Erfahrung und sensiblen Sinnen. Das Projekt Harmonize des Max-Planck-Instituts für Biochemie tritt nun an, diese menschlichen „Feinschmecker“ mit Technologie zu unterstützen.
„Am Anfang stand die Kommunikation“, beginnt Christoph Wichmann zu erzählen. Wichmann ist Theoretischer Physiker und Mitgründer von Harmonize. Dabei gehe es vor allem darum, über den eigenen wissenschaftlichen Tellerrand zu schauen. „Mein Kollege und Mitgründer Hamid Hamzeiy war auf einer Tagung zum Thema Metabolomics in Australien und hat sich dort über andere Anwendungsfelder für die Software-gestützte Massenspektrometrie informiert.“ Schnell fiel Hamzeiy auf, dass die Lebensmittelindustrie zwar auch auf diese Technologie setzt, technisch allerdings hinterherhinkt. Hier erkannte der Bioinformatiker das Potenzial für einen Technologietransfer. „Er hatte dann die grundlegende Idee, dass man komplexen Geschmack auch messen kann“, fährt Wichmann fort. Wie viele gute Ideen, musste sie jedoch erst ein wenig reifen.
Enttäuschendes Geschmackserlebnis
Auf einer anderen Tagung lernte Hamzeiy dann den Molekularbiologen Daniil Pokrovsky kennen. Als die beiden während eines gemeinsamen Symposiums in Schottland in eine Flasche Whisky des gehobenen Preissegments investierten, waren sie vom Geschmack enttäuscht. Also fassten Pokrovsky und Hamzeiy den Entschluss, das schottische Nationalgetränk als Proof-of-Concept-Produkt für ihre Geschmacksanalyse zu verwenden. „Die Auswahl von Whisky als ‚Testobjekt‘ hat noch weitere Gründe. Zum einen hat Whisky einen sehr komplexen Geschmack, zum anderen bedient es einen Luxusmarkt, in dem Produzenten oft eher an Innovationen interessiert sind“, sagt Wichmann.
An diesem Punkt stößt der Physiker, damals am selben Institut wie Hamzeiy, als Experte für die Computer-gestützte Analyse von Massenspektrometrie-Daten zu dem jungen Team. Gemeinsam treiben sie ihre Idee von der „Geschmacksmessung“ voran.
Einfach mal machen
Damit allein ist es jedoch nicht getan. „Ideen haben viele. Daher haben wir zunächst ein Geschäftsmodell entwickelt“, erinnert sich der Mitgründer. So planten die Münchner individuelle Geschmacksprofile komplexer Lebensmittel zu erstellen. Mit denen, so die Idee der Gründer, sollten Lebensmittel-Unternehmen den Geschmack ihrer Produkte besser überwachen und kontrollieren können. Mit ihrem Geschäftsmodell im Gepäck bewarben sich die drei um eine EXIST-Förderung – zunächst ohne Erfolg.
„Unsere erste Bewerbung war recht sportlich geplant. Von der Entscheidung zur Antragstellung bis zur Deadline blieb uns ein Monat“, erzählt der Physiker. Das sei jedoch auch ein wichtiger Teil der Start-up-Mentalität: „Einfach mal machen.“ Als Antwort auf ihren Antrag erhielten die Gründungswilligen eine „Mängelliste“. „Das war sehr hilfreich“, erinnert sich Wichmann. „Ein Punkt der Liste war etwa unser Mangel an Industrieerfahrung“. Also holten die drei Münchner die Lebensmittelchemikerin Paulyna Mendoza Quintero ins Team. Für die zweite Bewerbung arbeitete das nun vierköpfige Team alle bemängelten Punkte des ersten Antrags ab und bewarb sich erneut. Diesmal mit Erfolg.
Wie misst man Geschmack?
Mittlerweile arbeitet das Start-up-Projekt des MPI in Martinsried eng mit einem deutschen Whisky-Produzenten zusammen, um ihre Technologie zur Marktreife zu bringen. Dabei nutzt das Team Flüssigchromatographie mit Massenspektrometrie (LC-MS). Dies sei nichts Neues in der Lebensmittelindustrie, wirft Wichmann ein. „Neu an unserer Herangehensweise ist, dass wir einen holistischen Ansatz verfolgen. Uns geht es nicht um einzelne Komponenten, sondern um ein breites Profil des Geschmacks.“
Dieser Ansatz erzeuge große Datenmengen, in denen die Münchner mithilfe von maschinellem Lernen Muster für unterschiedliche Geschmacksnoten identifizieren wollen. Am Ende sollen sich mit ihrer Software auch komplexe Nuancen wie „blumig“, „ledrig“ oder „fruchtig“ maschinell erfassen lassen. „Das ist bisher technisch nicht möglich. Auch in der Industrie werden ‚objektive‘ Geschmacksprofile immer noch von Menschen erstellt“, erklärt Wichmann. „Darunter leidet die Reproduzierbarkeit der Analyse.“
Investor gesucht
Derzeit sucht das vierköpfige Team um Wichmann nach Investoren, um nach Auslaufen der EXIST-Förderung im März nahtlos weitermachen zu können. „Wir befinden uns dafür in Kontakt mit Venture-Capital-Gesellschaften und anderen Fördertöpfen. Das hat für uns gerade Priorität“, sagt Wichmann. Im Frühjahr des kommenden Jahres will das Start-up in Gründung auch ein marktreifes Produkt in ihrem Portfolio haben. Zudem gehe es gerade um viele administrative Aufgaben, wie die Gründung der Firma und die Regelung der Verantwortlichkeiten und Anteile. Das Abenteuer „Start-up“ hat für die Münchner Jungunternehmer also gerade erst begonnen.
Tobias Ludwig
Bild: MPG/Axel Griesch
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