Editorial

Priorität vor Qualität

(25.03.2022) Erst durch Bestätigung wird ein Ergebnis wirklich valide. Dafür werden Bestätigungsstudien allerdings kaum angemessen wertgeschätzt.
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Worum geht es eigentlich vor allem in der Wissenschaft? Okay, zunächst um das Formulieren der richtigen Fragen – das hatten wir unter anderem bereits hier. Was am Ende aber am meisten zählt, sind natürlich Entdeckungen. Doch ganz so einfach, wie es klingt, ist es damit nicht: Denn damit aus Entdeckung auch Erkenntnis wird, braucht sie zwingend Überprüfung und Bestätigung. Validierung nennt man das heute.

Ein schönes Beispiel ereignete sich 1919, also vor mehr als hundert Jahren. Damals kam es zur ersten Sonnenfinsternis nach Formulierung der speziellen Relativitätstheorie. Eine wunderbare Gelegenheit, einige von deren Voraussagen zu testen. Die Tests bestätigten die Theorie rundum – und die Forscher waren begeistert und feierten.

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Den ganzen Fluss aufwärts wandern

In der gleichen Situation, dass sie ja "nur" bereits Verkündetes bestätigten – wenn auch zwar durch unabhängige Experimente –, würden heute wohl viele eher übellaunig grummeln: „Zu dumm, dass dieser Einstein die Theorie schon veröffentlicht hat.“ Eindeutig, da hat sich was verändert zwischen 1919 und heute. Sauberes Überprüfen und Validieren wird heute deutlich geringer geschätzt. Klar, unabhängige Bestätigungen zählen nicht nichts, und inzwischen wird auch wieder mehr Wertschätzung für reine „Confirmational Studies“ eingefordert – dennoch stehen sie diesbezüglich weiterhin deutlich hinter der jeweiligen Erstmeldung einer Entdeckung zurück.

Indizien für diese „The-Winner-Takes-It-All“-Mentalität gibt es genug im Wissenschaftsgeschäft: Die einschlägigen Journals überschlagen sich geradezu in ihrem Eifer, vermeintlich „bahnbrechende“ Entdeckungen zuerst zu veröffentlichen. Und auch ein Mitglied des Nobelpreiskomitees machte vor einiger Zeit unmissverständlich klar: „Die Essenz des Nobelpreises ist, dass wir den ganzen Fluss aufwärts wandern um zu sehen, wo er entspringt.“

Priorität per Schnellschuss

Priorität als Non-plus-ultra also, weniger die reine Qualität. Denn wie oft läuft es eher folgendermaßen: Eine Gruppe ist dran an etwas wirklich Neuem, macht viele sorgfältige Experimente, kontrolliert, validiert. Doch gerade als sie ihr Manuskript verfasst, veröffentlicht eine andere Gruppe lediglich das Kernexperiment als Schnellschuss in einem der dafür bekannten Blätter. Die Arbeit der ersten Gruppe kommt erst Monate später heraus. Doch erst diese Veröffentlichung überzeugt die Kollegen durch ihre Sorgfalt und eleganten Kontrollversuche – und erstickt alle nach dem Pionier-Paper aufkeimenden Zweifel. Erst dieser zweite Artikel eröffnet und etabliert das neue Feld tatsächlich.

Und jetzt raten wir mal, welche der beiden Gruppen mehr Preise und Zitierungen scheffelt...

Ralf Neumann

(Illustr.: CuteWallpaper)

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Letzte Änderungen: 24.03.2022