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Erlebnisse einer TA: Spitzen-Meditation

(08.02.2022) Spitzenstecken ist wie Rosenkohl, sagt unsere TA: Man liebt es oder man verabscheut es aus tiefstem Herzen. Eine Grauzone gibt es selten.
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Das Wiederauffüllen leerer Spitzenboxen zählt bei vielen Kollegen zu den ungeliebtesten Aufgaben im Laboralltag. Es wird so lange aufgeschoben, bis auch die allerletzte Spitze verbraucht ist. Danach schnorrt man sich durch das halbe Labor – und erst dann greift man selbst zum Spitzenbeutel.

Ich mag Spitzenstecken!

Es ist eine wunderbar repetitive, monotone, selbst­erklärende Tätigkeit.

Anders als zum Beispiel qPCRs, bei denen man sich jedes Mal einen Knoten ins Hirn konzentriert, um nur ja keine einzige Probe oder Kontrolle zu vergessen – denn dann kann man eigentlich gleich den gesamten Ansatz verwerfen und von vorne beginnen.

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Spitzenstecken dagegen gehört zu den geistig anspruchs­losesten Tätigkeiten im Labor. Beim Spitzen­stecken denke ich an anstehende oder auszuwertende Experimente, Makramee-Muster für Blumen­ampeln, die Flugrouten der Weißkopf­ruderente oder die letzten Intrigen in der Seifenoper „Blaue Blumen“. Kurz gesagt, ich denke über vieles nach – nur nicht übers Spitzen­stecken.

Muss ich auch nicht.

Wenn die Box voll ist, merke ich das. Und wenn ich mal ein Loch vergesse, stecke ich es eben später. Völlig einerlei.

Eine nachgerade meditative Tätigkeit: Greifen, zielen, versenken – greifen, zielen, versenken – ...

Man kann sich dabei in eine derartige Selbst­vergessenheit hineinsteigern, dass man nach der letzten Box geradezu erfrischt aus den Untiefen seines Geistes auftaucht. Und dies gar nicht mal selten mit neuen Ideen.

Spitzenstecken ist also quasi die Meditation des Laboralltags. Zwar kenne ich keinen, der dabei „Ooomm“ macht, aber das steht natürlich jedem frei.

Es bedarf auch keinerlei Vorbereitung. Die allermeisten meiner Experimente muss ich planen. Impfe ich die Kultur am Vortag oder in der Vorwoche an? Brauche ich ein Gerät, das es zu reservieren gilt? Wie viel Medium brauche ich? Und so weiter.

Fürs Spitzenstecken muss ich nur kalkulieren, wie viele Beutel von welcher Spitzengröße ich in etwa brauche. Und wenn ich mich dabei verschätze, passiert auch nichts Schlimmes.

Das Ergebnis ist immer reprodu­zierbar und sofort mit bloßem Auge sichtbar. Ich muss keine Proben nehmen und kein Gel beladen, keine Messdaten in den Computer eintippen oder ein Mikroskop bemühen. Ich muss nur hingucken! Ich muss nichts tarieren, runterladen, kalibrieren, hochfahren, aktualisieren oder jemanden fragen, wie es funktioniert.

So einfach, so unkompliziert.

Man kann auch nach einem Tag harter Arbeit noch Spitzen stecken – ja, man sollte es sogar! Als „Cool down“ oder zum Trost. Denn ist der Tag auch noch so enttäuschend gewesen, Spitzenstecken gelingt immer! Dann hat man zu guter Letzt doch etwas geschafft, und schon ist der Tag wieder ein bisschen schöner.

Maike Ruprecht


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Letzte Änderungen: 08.02.2022