Editorial

Oh, sorry — nur eine Verwechslung!?

(20.08.2021) Die Korrekturen von fehlerhaften Abbildungen in bereits publizierten Artikeln haben deutlich zugenommen. Doch kann es tatsächlich so viel unabsichtliches Vertauschen und Verdoppeln geben?
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Geht es nur uns so? Uns jedenfalls scheint es, dass immer mehr Errata und Corrections zu Papern erscheinen, in denen die Autoren aufgedeckte "Fehler" in Abbildungen nach dem folgenden Muster entschuldigen:

„Uuups, Verzeihung – da ist uns beim Zusammenstellen der Abbildungen etwas durcheinander geraten. Und jetzt ist dummerweise Bande X, Scan Y oder Gewebeschnitt Z nochmals in eine zweite Abbildung hineingerutscht, die ja ein ganz anderes Experiment zeigt. Aber keine Angst, wir haben die richtige Bande U, Scan V oder Gewebeschnitt W natürlich wieder gefunden – und zeigen sie Euch jetzt hier im Erratum. Vergesst also die alte Abbildung, nehmt diese hier – und Ihr werdet ganz schnell sehen, dass alles, was wir geschrieben haben, trotzdem unverändert richtig ist. Die Daten im Erratum zeigen das ja jetzt auch viel schöner. Nicht böse sein, kann ja mal passieren. Und wenn Euch in anderen Abbildungen wieder etwas auffällt, meldet Euch einfach – wir kriegen das hin!“

Editorial
Zwei echte Corrigenda

Okay, das war die Persiflage. Nehmen wir ein echtes Beispiel. In Oncology Reports (46(1): 103) erschien im Juli ein Corrigendum mit folgendem Text: 

„Following the publication of this article, an interested reader contacted the authors about some possible anomalies in the presentation of the data in Table I, and they have realized that this Table contained some errors. Two different entries for the miRNA hsa‑miR‑886‑3p were inadvertently included in the Table, due to there being two different microarray IDs for this miRNA when performing differential analysis by GEO2R […] A corrected version of the Table is shown opposite (the corrected data row entry is highlighted in bold). The authors sincerely apologize for the errors that were introduced during the preparation of this Table, and thank the reader of their article who drew this matter to their attention […]“

Und einen Monat später folgendes Corrigendum, wiederum in Oncology Reports (46(3): 205):

„[…] Owing to mistakes made during the preparation and revision of the manuscript, the invasion assay data images selected to show both the 'Control' and 'shRNA2' groups of the invasion and migration experiments were derived from the same original sources. A corrected version of the Fig. 4, showing the correct data for the invasion and migration assay experiments with the Control and shRNA2 groups, is shown below. These inadvertent errors did not affect the conclusions reported in this paper […]“

Wie schlampig wird da gearbeitet?

Aha, beim Zusammenstellen der Abbildungen sind den Autoren also unabsichtlich Fehler passiert. Doch jetzt mal ehrlich: Wenn derartige Verdopplungen, Verdrehungen und Falschzuweisungen beim Zusammenstellen der Abbildungen von teilweise verschiedenen Experimenten aus Versehen („inadvertently“) geschehen sein sollen – ja, wie schlampig wird denn da gearbeitet? Kann man den Autoren dann überhaupt bei irgendetwas trauen, wenn solche gravierenden Dinge aus Versehen passieren?

Zumal es doch normalerweise vielmehr so ist, dass gerade die Ergebnisse, die man nach langer, mühevoller Arbeit am Ende tatsächlich in einem Paper präsentieren kann, fast schon „heilig“ sind – dass man sie hütet wie kleine Schätze und auf fast schon paranoide Weise aufpasst, dass nichts Schlimmes mit ihnen passiert? Vor allem, dass man da um Himmels willen nichts verwechselt?

Eine Geschichte ist falsch

In der Kolumne „Observations of the Owl“ unserer ehemaligen englischsprachigen Schwesterzeitschrift Lab Times thematisierten wir einmal einen ähnlichen Fall (4/2013: 14) – wobei Protagonist „Eule“ damals mit folgendem Monolog schloss:

»Es war geradezu bewundernswert, wie Falke verzweifelt versuchte, seinen Glauben an das Gute im Forscher aufrechtzuerhalten. Für mich war der Fall jedoch klar, und so musste ich ihn leider desillusionieren:

„Sieh mal, Falke, fotografische Abbildungen von Zellen sind Primärdaten. Wenn die also ein Bild von einigen Zellen zeigen und sagen, dass es sich um Zellen A nach Behandlung B handelt, und später dasselbe Bild zeigen und sagen, dass es sich um Zellen C nach Behandlung D handelt, fälschen sie die Daten.

Im dem vorliegenden Fall kann ich einfach nicht glauben, dass es sich nur um einen schlampigen Fehler gehandelt haben könnte. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, wie so etwas passieren kann.

Sagen wir mal, du hast am Ende etwa 30 Bilder, die du zeigen willst. Wenn du die zugehörigen Experimente gemacht hast, kennst du sie auswendig – und du kennst die Geschichte hinter jedem einzelnen Bild. Daher wirst du sie auch nicht durcheinanderbringen. Du kannst vielleicht aus Versehen ‚Vergrößerung x200‘ statt ‚Vergrößerung x100‘ schreiben, aber du wirst ganz sicher nicht aus Versehen das gleiche Bild zweimal für verschiedene Experimente verwenden.

Es ist der Zusammenhang zwischen einem Bild und der Geschichte dahinter, der entscheidend ist. Wir müssen dem Autor stets vertrauen, dass diese Zusammenhänge wahr sind, denn wir haben keine Möglichkeit, dies nachzuprüfen oder zu beweisen. Eine Wiederverwendung ein und desselben Bildes für verschiedene Geschichten zerstört daher automatisch dieses Vertrauen, da es offensichtlich ist, dass mindestens eine Geschichte hinter dem Bild nicht wahr ist.

Von daher ist so etwas unentschuldbar. Und deshalb sind auch die oft gehörten Ausflüchte, dass solche ‚kleinen Fehler‘ die zentralen Aussagen einer Studie letztlich nicht beeinträchtigen würden, einfach lächerlich. Wer so einen Unsinn glaubt, hat von Wissenschaft keine Ahnung.“«

Macht man sich diese sicherlich gängige „Psychologie“ hinter dem Erstellen eines Papers klar, fällt es doch arg schwer, in Fällen wie den geschilderten ausschließlich an reine Verwechslungen zu glauben.

Ralf Neumann

(Illustr.: Pixabay / Tumisu)

 

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Letzte Änderungen: 19.08.2021