Finanziell
unter Druck
(22.08.2022) Um mit den steigenden Lebenshaltungskosten zurechtzukommen, benötigen Studierende und Unis mehr Unterstützung von Bund und Ländern.
Derzeit versucht die Politik, bei den Studierenden große Löcher mit kleinen Pflästerchen zu stopfen – in Form eines Heizkostenzuschusses für BAföG- und Wohngeld-Empfänger, einer BAföG-Erhöhung und mit dem vorübergehend verfügbaren 9-Euro-Ticket. Die Armutsquote liegt bei den Studierenden in Deutschland dennoch bei 30 Prozent und ist damit doppelt so hoch wie in der Gesamtbevölkerung.
Die Möglichkeiten von Studierenden, Kosten einzusparen, seien gering, finanzielle Rücklagen bestünden kaum. Studierende seien zudem zeitlich im Rahmen von Vollzeitstudien so eingespannt, dass eine mögliche Ausweitung der Erwerbstätigkeit in Konflikt mit Anforderungen an das Studium geraten kann, gibt der Deutsche Paritätische Wohlfahrtsverband in seiner kürzlich veröffentlichten Expertise zu bedenken. Zudem sind im Laufe der Corona-Pandemie ohnehin viele Möglichkeiten zum Nebenverdienst weggefallen. Das Akademische Förderungswerk (AKAFÖ) Bochum beobachtet beispielsweise, dass Studierende länger im Wohnheim wohnen bleiben möchten. Gleichzeitig kommt auch das AKAFÖ um Preiserhöhungen nicht herum. Ab Mitte August kosten Menüs in ihren Gastro-Einrichtungen bis zu 60 Cent mehr, die Wohnheim-Mieten steigen ab Oktober um 40 Euro pro Monat.
Günstig wohnen und essen
Die Studierendenschaft der Universität Lübeck hat bereits 2019 eine Härtefallregelung eingeführt, sodass notleidenden Studierenden auf Antrag der Semesterbeitrag erstattet werden kann. „Studierende müssen sich das Studium auch weiterhin leisten können“, fordert Florian Marwitz vom AStA der Universität Lübeck. „Wer BAföG bezieht, muss das Studium innerhalb der Regelstudienzeit abschließen, sodass hier ein zusätzlicher Verdienst äußerst schwierig ist. Abgesehen davon ist der BAföG-Satz trotz Erhöhung viel zu niedrig, um die gestiegenen Kosten zu decken.“ Zentral für das Studieren seien neben dem Campus-Alltag auch kostengünstiges Wohnen und Essen. Für Studierende in finanziellen Notlagen wären darüber hinaus Frei-Essen denkbar, so Marwitz.
Die Vorsitzenden der Verfassten Studierendenschaft der Universität Heidelberg Michèle Pfister und Peter Abelmann empfehlen Studierenden, sich bei unverschuldeten Notlagen an die Härtefall-Kommission des Studierendenrats zu wenden, die Beratungsstunde des Sozialreferats beziehungsweise die Sprechstunde des Referats für internationale Studierende in Anspruch zu nehmen oder die Rechtsberatung des Studierendenrats zu konsultieren. „Die Härtefall-Kommission des Studierendenrats kann tätig werden, um eine kurzfristige Notlage abzuwenden und mit einer Art Stipendium zu gewährleisten, dass das Studium nicht wegen finanzieller Engpässe aufgegeben werden muss. Auch Zuschüsse zu Exkursionen sind möglich. Dabei beträgt die Förderung maximal den BAföG-Höchstsatz für maximal drei Monate, insgesamt also etwa 2.800 Euro”, so die beiden Vorsitzenden.
Die Gemeinschaft der Studierenden hilft sich durch Aktivismus und Solidarbeiträge auch selbst, so zum Beispiel durch eine kostenlose Fahrradwerkstatt, sehr günstige Mieträder, mitfinanzierte Foodsharing-Projekte und viele andere Info- und Service-Angebote. Dennoch ist die Situation vieler Studierender prekär. In der aktuellen Situation umso mehr. Deshalb fordern Pfister und Abelmann eine umfassende Reform des BAföG, sodass wesentlich mehr Studierende erreicht werden und das Geld auch zum Leben und für die Miete in Universitätsstädten reicht.
Zwiebelprinzip für die Vorlesung
Auch die Universitäten, die sich seit Jahrzehnten bemühen, Strom- und Energiekosten einzusparen, müssen aufgrund der Kostenexplosion zu noch strengeren Maßnahmen greifen. „Wir sammeln gerade an den Schools, Fakultäten und Lehrstühlen Daten und Fakten, wo wir Strom und Energie sparen können, beispielsweise indem wir zeitweise Geräte abschalten oder Gebäude schließen“, berichtet Pressesprecher Ulrich Meyer von der TU München (TUM).
Auch der Personalrat hat ein Wort dabei mitzureden, was vertretbar ist. „Durch Corona war der normale Studienbetrieb, der direkte und persönliche Kontakt, der Austausch mit den anderen Studierenden sowie den Professorinnen und Professoren extrem eingeschränkt. Die TUM wird nach vier Corona-Semestern nicht wieder in den Remote-Unterricht gehen. Wir dürfen nicht jede Krise auf dem Rücken der nächsten Generation austragen. Wenn wir weniger heizen können, muss jeder eben einen Hoodie mehr anziehen“, fügt er hinzu.
Psychische und finanzielle Ausnahmesituation
Die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) und das Deutsche Studentenwerk (DSW) fordern in einer Presseerklärung vom 21. Juli 2022 Unterstützung durch Bund und Länder, damit Hochschulbetrieb und die sozialen Angebote der Studierendenwerke wie Mensen, Wohnheime und Kitas im kommenden Wintersemester auch bei einer möglichen Energie- beziehungsweise Gas-Knappheit grundsätzlich aufrechterhalten werden können. Langfristige, oft mit Qualifikationszielen verbundene Forschungsprozesse und die akademische Lehre in Präsenz sollten so weit wie möglich gewährleistet bleiben. „Zudem benötigen die Studierenden für das kommende Wintersemester existenzielle Sicherheit“, so HRK-Präsident Peter-André Alt. Wenn die Politik Hilfen für Familien beziehungsweise Menschen mit geringen Einkommen erwägt, wie beispielsweise Miethilfen, dann müssen die rund 2,9 Millionen Studierenden in Deutschland unbedingt davon profitieren können, fordert der DSW-Präsident Rolf-Dieter Postlep.
In den Sozialberatungsstellen der Studenten- und Studierendenwerke seien finanzielle Fragen das Top-Thema, berichtet Stefan Grob, Stellvertreter des Generalsekretärs des DSW. Jenseits des Materiellen setzen Pandemie, der Krieg gegen die Ukraine und die multiplen Krisen den Studierenden aber auch psychisch zu. Die psychosozialen Beratungsstellen der Studierendenwerke würden förmlich überrannt. Besorgniserregend sei auch die qualitative Dimension dieser Entwicklung bis hin zur grundsätzlichen Infragestellung des Studiums und Hoffnungslosigkeit.
Fachbuch oder Heizung?
Die Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW) fordert von der Bundesregierung ein drittes Entlastungspaket, und zwar explizit auch für diejenigen, die nicht erwerbstätig sind, etwa Studierende oder Promotionsstipendiaten/innen. „Es ist inakzeptabel, dass Menschen wegen ihrer hohen Strom- und Gasrechnung überlegen müssen, welches Obst und Gemüse sie sich noch leisten können und auf die Anschaffung von Fachliteratur und Arbeitsmitteln verzichten“, kritisiert der stellvertretende GEW-Vorsitzende Andreas Keller. „Statt die Energiepreise durch eine Gasumlage weiter in die Höhe zu treiben, muss die Regierung einen Energiepreisdeckel für Privathaushalte festlegen. Das würde bedeuten, dass für jeden Erwachsenen und jedes Kind ein Grundbedarf für Strom und Gas festgelegt wird, für den eine Preisgarantie gilt. Studierende und Stipendiaten/-innen müssen eine direkte Unterstützung etwa über einen Heizkostenzuschuss erhalten.“
Die GEW fordert Bund und Länder auf, durch die Wiedereinführung der Gemeinschaftsaufgabe Hochschulbau den Sanierungsstau in den Hochschulbauten aufzulösen und im Zuge dessen auch Investitionen für mehr Energieeffizienz und die Erzeugung erneuerbarer Energien zu fördern. Kurzfristig sind die Länder aufgefordert, die Budgets der Hochschulen aufzustocken, damit diese die höheren Energiekosten auffangen können und nicht durch Einsparungen in Lehre und Forschung kompensieren müssen.
Hochschulen hätten als Bildungseinrichtungen eine besondere Bedeutung für die Zukunftschancen junger Menschen und für die Sicherstellung des Fachkräftebedarfs, so Keller. Bei der Gas- und Energieversorgung müssten sie daher als vorrangig eingestuft werden. „Abgesehen davon dient es nicht unbedingt der Energieeinsparung, wenn die Heizungen in Hörsälen runtergefahren werden und Studierende und Beschäftigte stattdessen im Homeoffice arbeiten und dort heizen müssen“, kommentiert der GEW-Vorsitzende.
Bettina Dupont
Bild: Pixabay/1820796
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